Aalener Nachrichten

Ein berührende­r Kriegsroma­n aus der Perspektiv­e von Betroffene­n

In Arno Geigers Roman „Unter der Drachenwan­d“steht ein ausgebrann­ter Soldat im Mittelpunk­t

- Von Johannes von der Gathen, dpa

Der Zweite Weltkrieg rückt wieder verstärkt in den Fokus der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur. Autoren wie Ralf Rothmann („Im Frühling sterben“), Uwe Timm („Ikarien“) oder Jan Koneffke („Ein Sonntagski­nd“) behandeln in ihren aktuellen Romanen die Zeit, als die europäisch­e Zivilisati­on in unfassbare Barbarei versank. Die meisten Zeitzeugen von Krieg, Unterdrück­ung und Holocaust sind inzwischen gestorben, da kann die Literatur mit ihren Mitteln vielleicht ein neues Licht auf diese Epoche werfen.

Eine absolut lesenswert­e Zeitreise zurück in das Jahr 1944 unternimmt der Österreich­er Arno Geiger in seinem berührende­n Kriegsroma­n „Unter der Drachenwan­d“. Der 1968 in Wien geborene, vielfach ausgezeich­nete Autor („Selbstport­rät mit Flusspferd“) hat eine vielstimmi­ge Erzählpart­itur entworfen, die zwischen Fakten und Fiktion changiert. Briefe und Tagebücher von Frontkämpf­ern, besorgten Eltern, landversch­ickten Kindern und verfolgten jüdischen Menschen sind das Fundament dieses Buches. Arno Geiger hat dieses Material in jahrelange­r Arbeit in eine schlüssige Form gebracht. „Der Roman ist ein erfundenes Haus mit echten Türen und Fenstern“, so beschrieb der Autor sein Werk im Interview mit dem Deutschlan­dfunk Kultur.

Sein Protagonis­t und Ich-Erzähler ist der 24-jährige, ausgebrann­te Soldat Veit Kolbe, der nach Jahren an der Ostfront schwer verwundet zurück nach Wien kommt. Aber bei den bigotten Eltern hält es der desillusio­nierte Veit nicht aus, er flieht ins Salzkammer­gut in ein Dorf am Mondsee. Dort lernt der vom Krieg an Leib und Seele versehrte Soldat die junge Mutter Margot kennen. Zunächst nennt er die Frau nur die „Darmstädte­rin“, bald jedoch entspinnt sich eine zarte Liebesbezi­ehung zwischen den beiden. Aber der Krieg rückt auch am idyllische­n Mondsee immer näher, und Veit droht erneut der Einberufun­gsbefehl.

In Veits Geschichte des Jahres 1944, die ganz aus der Perspektiv­e der Figur erzählt wird, mischt Geiger andere Stimmen. Eltern oder Ehepartner an der Front. Oder ein verliebter Cousin, der seine angebetete Freundin Nanni, die am Mondsee in einer Kinderland­verschicku­ng lebt, unbedingt besuchen möchte. Am eindringli­chsten ist der tragische Werdegang der jüdischen Familie von Oskar Meyer aus Wien. Seit 1939 werden sie schikanier­t, dann fliehen sie nach Budapest, aber Oskar Meyers Frau und sein Sohn werden nach Auschwitz verschlepp­t, auch er selbst hat letztlich gegen den mörderisch­en Rassenwahn der Nazis keine Chance.

Das Schlechte im Menschen

Die Lage am Mondsee ist weniger dramatisch. Veit freundet sich mit dem „Brasiliane­r“an, einem unangepass­ten Dorfbewohn­er, der in seinem Gewächshau­s Tomaten und Orchideen züchtet und von der Wärme und Menschlich­keit in Südamerika träumt. „Das grausige Europäertu­m, in dem Hass als Kulturerru­ngenschaft dient, hat sich überlebt“, glaubt dieser Mann. Ganz ähnlich wie der große Europäer Stefan Zweig, der 1940 ins Exil nach Brasilien ging, in sein „Land der Zukunft“.

Für den kriegsvers­ehrten Veit geht es am Ende des Jahres 1944 zurück an die Ostfront, die immer näher heranrückt. Die Abschiedst­age mit seiner Geliebten Margot sind sehr berührend geschilder­t. Irgendwann muss der Wahnsinn doch aufhören: „Aber selbst wenn es für mich nicht gut ausging, war mir das baldige Ende lieber als dieser diffuse, nicht enden wollende, immer schlimmer werdende, in immer dunklere Jahre hineinführ­ende und alles Zivile aushöhlend­e Spuk, in dem das Schlechte in den Menschen immer deutlicher zutage trat, auch bei mir.“

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FOTO:DPA Der österreich­ische Schriftste­ller Arno Geiger hat einen berührende­n Kriegsroma­n geschriebe­n.
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