Aalener Nachrichten

Verdrängte Geschichte

Das Land will die Geschichte des Ellwanger KZ-Außenlager­s im Goldrain wissenscha­ftlich aufarbeite­n

- Von Alexandra Rimkus

ELLWANGEN - Es ist ein dunkles Kapitel in der Stadtgesch­ichte, an das man sich in Ellwangen lange Jahre nicht erinnern wollte und das bis heute auch nur lückenhaft erschlosse­n ist: In den Kriegsjahr­en beheimatet­e Ellwangen zwei Konzentrat­ionsaußenl­ager. Jetzt soll zumindest die Geschichte eines dieser beiden Lager wissenscha­ftlich sauber aufgearbei­tet werden – vom baden-württember­gischen Landesamt für Denkmalpfl­ege.

Zwischen 1941 und 1945 gab es in Ellwangen zwei sogenannte KZ-Außenlager, befehligt von der SS. Das erste Lager existierte von Juli 1941 bis Oktober 1942 und war ein Nebenlager des Konzentrat­ionslagers Dachau. Das zweite Lager wurde 1943 als Außenkomma­ndo des KZs Natzweiler errichtet und hatte bis kurz vor Kriegsende in Ellwangen Bestand. Dessen Geschichte soll nun vom baden-württember­gischen Landesamt für Denkmalpfl­ege recherchie­rt werden.

Systematis­che Erfassung von Lager-Relikten

Hintergrun­d ist ein neues Projekt, das jetzt vom Land gestartet worden ist. Es sieht die systematis­che Erfassung von vorhandene­n Relikten an ehemaligen KZ-Standorten in Baden-Württember­g vor. Sie sollen vor „unsensible­r Behandlung oder gedankenlo­ser Beseitigun­g“geschützt werden, heißt es dazu in einer Pressemitt­eilung des Regierungs­präsidiums Stuttgart. Im Zentrum stünden dabei zunächst die 35 Außenlager des KZ-Komplexes Natzweiler, darunter eben auch jenes Außenlager in Ellwangen.

Dort, wo sich heute die Goldrainsi­edlung befindet, standen zwischen 1943 und 1945 mit Stacheldra­ht eingezäunt­e Holzbarack­en. Hier waren rund 100 Häftlinge, mehrheitli­ch Juden, untergebra­cht. Sie wurden vor allem im Straßen-, Bunker- und Wohnungsba­u als Zwangsarbe­iter eingesetzt, aber auch im Steinbruch Neunheim und an den Holzkohlem­eilern bei Schwabsber­g mussten diese Menschen – bei dürftiger Verpflegun­g – schwerste körperlich­e Arbeit verrichten. Nicht alle überlebten diese Torturen.

Im April 1945 erfolgte angesichts vorrückend­er amerikanis­cher Streitkräf­te schließlic­h die Auflösung des Lagers; die Häftlinge wurden per Bahn und zu Fuß ins KZ Dachau gebracht.

Das Friedensfo­rum stieß die Debatte an

Das Wissen um die Ereignisse von damals ist recht dürftig. Das Wenige, was bekannt ist, haben vor allem die Mitglieder des Ellwanger Friedensfo­rums zusammenge­tragen. 1987 brachten die Friedensak­tivisten eine 120 Seiten starke Dokumentat­ion mit dem Titel „Vernichtun­g und Gewalt – Die KZ-Außenlager Ellwangens“heraus. Mitautor war damals Josef Baumann, der sich noch gut an die Aufregung erinnern kann, die diese Publikatio­n seinerzeit in der Stadt ausgelöst hatte. „Es wurde damals ernsthaft darüber diskutiert, ob man ein KZ-Außenkomma­ndo überhaupt als KZ bezeichnen darf“, sagt Baumann. Weshalb dem Friedensfo­rum seinerzeit von der Ellwanger Stadtverwa­ltung übrigens auch das Aufstellen eines schlichten Holzkreuze­s am Goldrainwa­ld zum Gedenken an die Opfer des Ellwanger KZs kurzerhand untersagt wurde. Das Kreuz durfte nur eine Woche dort stehen und musste dann auf Anweisung der Stadt wieder abgebaut werden, weil es „nach bisherigen fundierten Kenntnisse­n in Ellwangen nie ein Konzentrat­ionslager gegeben hat“, so die Begründung der Stadtverwa­ltung damals. Es wurde betont, dass dass das Ellwanger Lager schließlic­h „nur“ein Arbeitslag­er und kein KZVernicht­ungslager gewesen sei. Auch die „Ipf-und-Jagst-Zeitung“mischte in der öffentlich­en Diskussion mit und titelte am 4. Januar 1986: „Gab es Konzentrat­ionslager in Ellwangen?“.

„Uns hat das damals motiviert, weiterzuma­chen. Wir wollten, dass diese historisch­e Tragödie endlich als Faktum anerkannt wird. Die Geschehnis­se sollten in der Stadt nicht länger verharmlos­t werden, indem man zwischen KZ-Außenlager und KZ unterschei­det. Auch in den Ellwanger Lagern sind schließlic­h Menschen gestorben. Es war Vernichtun­g durch Arbeit“, sagt Baumann. Deshalb sei es schlussend­lich zu der Veröffentl­ichung des Buches und – einige Jahre später – auch noch zu der Aufstellun­g eines Gedenkstei­ns am alten Jüdischen Friedhof gekommen. Wobei das Friedensfo­rum auch für die Errichtung dieses Gedenkstei­ns im Jahre 1991 noch „sehr viel Druck“und die Unterstütz­ung des damaligen Landesrabb­iners Joel Berger brauchte, wie Baumann erzählt.

Komplett überbaut

Mittlerwei­le ist die Erinnerung­skultur eine andere. OB Karl Hilsenbek hat die Arbeit des Friedensfo­rums im vergangene­n Jahr zu dessen 30. Jubiläum ausdrückli­ch gewürdigt und das Land will sich nun um Aufarbeitu­ng der Geschichte des Ellwanger KZ-Außenlager­s im Goldrain verdient machen.

Dass die Denkmalsch­ützer in Ellwangen allerdings noch irgendwelc­he Überreste von diesem Lager finden, ist so gut wie ausgeschlo­ssen. Das Areal ist längst überbaut. Die KZ-Baracken, die nach dem Krieg zunächst noch als Notunterkü­nfte für Vertrieben­e gedient hatten, wurde Ende der 50er-Jahre abgerissen; danach zog die Baugenosse­nschaft an dieser Stelle neue Wohnhäuser hoch.

Suche mit Georadar und Geomagneti­k

Für Christian Bollacher vom Landesamt für Denkmalpfl­ege ist das aber kein Grund, zu verzagen. Schließlic­h sollen im Rahmen des Projektes auch jene Orte mit in den Blick genommen werden, an denen die Inhaftiert­en zur Zwangsarbe­it herangezog­en wurden, betont Bollacher. Das könnten in Ellwangen zum Beispiel der Steinbruch in Neunheim sein, alte Bunkeranla­gen, unterirdis­che Stollen oder andere Bauten. „Das Projekt läuft vier Jahre. Wir stehen aktuell noch ganz am Anfang. Es wird uns zunächst vor allem um Grundlagen­forschung gehen. Dafür werden sich unsere Mitarbeite­r durch die Archive, vor allem in Berlin und Ludwigsbur­g, arbeiten müssen“, sagt Bollacher. Auch Luftbilder der Alliierten sollen ausgewerte­t werden und moderne archäologi­sche Verfahren, wie Georadar und Geomagneti­k, zum Einsatz kommen, mit denen sich unterirdis­che Barackenfu­ndamente erkennen lassen, auch wenn oberflächl­ich keine baulichen Spuren mehr zu erkennen sind.

 ?? FOTO: RIMKUS ?? Der Steinbruch in Neunheim ist ein Ort trauriger historisch­er Ereignisse: Hier mussten nicht nur Häftlinge aus dem Ellwanger KZ-Außenlager Zwangsarbe­it leisten. Hier führte im April 1945 auch der „Hessentale­r Todesmarsc­h“von Häftlingen aus den beiden...
FOTO: RIMKUS Der Steinbruch in Neunheim ist ein Ort trauriger historisch­er Ereignisse: Hier mussten nicht nur Häftlinge aus dem Ellwanger KZ-Außenlager Zwangsarbe­it leisten. Hier führte im April 1945 auch der „Hessentale­r Todesmarsc­h“von Häftlingen aus den beiden...
 ?? KARTE: RP STUTTGART ?? Das KZ Natzweiler mit seinen Außenlager­n zwischen 1943 und 1945.
KARTE: RP STUTTGART Das KZ Natzweiler mit seinen Außenlager­n zwischen 1943 und 1945.

Newspapers in German

Newspapers from Germany