„Es ist Olympia. Da kann alles passieren“
Eishockey-Natonalmannschaft schafft Sensation – nach 4:3 n.V. über Schweden wartet im Halbfinale Kanada
PYEONGCHANG - Auch wenn du dir absolut sicher bist: 45 Sekunden können verdammt lang sein. Patrick Reimer war sich absolut sicher: „Ich wusste ganz genau, dass die Scheibe drin war. Es gab keinen Grund, das Tor nicht zu geben.“Trotzdem Videobeweis. 45 Sekunden sind verdammt lang, wenn es um den Halbfinaleinzug im olympischen Eishockeyturnier geht. Patrick Reimer: „Natürlich ist es noch mal intensiv, wenn man fast ’ne Minute drauf warten muss. Aber da gab’s echt nichts dran zu mäkeln.“45 verdammt lange Sekunden können sich ganz schnell in Sensationen auflösen – jetzt zum Beispiel: Mark Lemelin und Aleksi Rantala sprechen sich ab, Kopfnicken. Dann zeigt ein Schiedsrichterarm in Richtung Anspielpunkt. Patrick Reimers Treffer zählt. Die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft bezwingt Weltmeister Schweden nach 1:30 Minuten Verlängerung mit 4:3 (2:0, 0:0, 1:3/1:0). Halbfinalgegner am Freitag (13.10 Uhr MEZ) ist Olympiasieger Kanada.
Unmöglich, das hat das ärgerliche 0:1 aus der Vorrunde Bundestrainer Marco Sturms Spielern vor Augen gehalten, sollte der große Coup nicht sein. Kapitän Marcel Goc: „Wir müssen die ersten zehn Minuten überstehen.“Dass Schweden die Angelegenheit früh regeln wollte, war zu erwarten gewesen. Einen Tag mehr Regeneration hatten die Skandinavier – und 13:0 Torschüsse nach besagten zehn Minuten. „Schweden“, so Verteidiger Christian Ehrhoff, „ist hart rausgekommen.“Angedeutet allerdings hat sich schon in dieser ersten Phase gegnerischen Drucks, dass die fünf Mann vor Torhüter Danny aus den Birken sehr kompakt stehen, nicht viel zulassen würden. Der Bundestrainer: „Dass Schweden mehr die Scheibe gehabt hat, war ganz klar. Aber trotzdem haben wir sie oft nach außen gedrängt und immer wieder die Schüsse geblockt.“
Und offensiv mehr und mehr Nadelstiche gesetzt. Viele Chancen, auch das war klar, würde der Gegner nicht zulassen. Also war ein Überzahlspiel ein noch höheres Gut als sonst, sollte es tunlichst genutzt werden. Christian Ehrhoff weiß mit am besten wie: Seine Maßarbeit von der Blauen Linie bedeutete das 1:0 (13:48), als Schwedens Everberg zwangspausierte. Nun kam ins Spiel, was die deutsche Mannschaft treu begleitet in Pyeongchang seit dem Penalty-Sieg über Norwegen: das Momentum, die positive Dynamik, die da ist, wenn’s läuft. Wie nun bei Marcel Noebels, 29 Sekunden später nur, freistehend, nachfassend. 2:0 (14:17). Eishockey, hatte Marco Sturm vor dem ersten Bully gesagt, „ist auch eine Kopfsache. Und wenn der Kopf frei ist, wenn der positiv ist . ... Es ist Olympia. Da kann alles passieren.“
Der Glaube an mehr wächst
Im Mitteldrittel passierte zunächst eher wenig. Gleich viermal in kürzester Folge bewahrte dann Schwedens Schlussmann Fasth die Seinen vor dem 0:3, auf der Gegenseite bekam Danny aus den Birken freundliche Unterstützung durch den Torpfosten – 38. Minute. Bertilsson hatte sich versucht. Präziser im Schlussabschnitt war Lander (46:25) per Nachschuss, 2:1 – würde nun das große Zittern kommen? Nein, Dominik Kahun kam, nahm, von Frank Mauer geschickt, Puck und Tempo auf, düpierte Fransson, schoss, traf (48:28). Das 3:1. Ein Sahnestückchen. Die Replik war eher von brachialerer Natur. Felix Schütz hatte sich gerade auf die Strafbank gesetzt, da hieb Hersley das Hartgummi von halblinks zum 3:2 ins Netz (48:35). Auch bei Wikstrands 3:3 (51:37) hat sich Frust offenbar in Wucht entladen. Verlängerung!
Die dritte in Pyeongchang bereits für Marco Sturms Mannschaft. Exakt 130 Sekunden lang wird sie werden nach 26 gegen die Schweiz. Aber genauso angegangen: frechst-offensiv. Merke: „Wir müssen uns ja nicht verstecken.“Sagt Christian Ehrhoff – und setzt noch einen drauf: „Verlängerung gegen Schweden, da kann man ruhig auf alles gehen.“
Um jetzt auf Kanada zu treffen. „Auf eine quirlige Highspeed-Mannschaft“, weiß Eishockey-Bund-Chef Franz Reindl, einst – 1976 – in Innsbruck mit Bronze dekoriert. Bahnt sich da was an, 42 Jahre später? Bei nun immerhin zwei Medaillenchancen à 60 Nettominuten? Patrick Reimer zuckt die Achseln. In einem aber ist sich der Siegtorschütze absolut sicher: „Wir haben Großes erreicht. Aber wir glauben an mehr.“
Fasth - Kronwall, Bertilsson; Hersley, Gustafsson; Wikstrand, Fransson; Dahlin Lindström, Lindholm, Möller; Pettersson, Lundqvist, Axelsson; Everberg, Lander, Omark; Zackrisson, Bergström, Stalberg; Norman. – Aus den Birken (München/40 Länderspiele) - Boyle (München/41), Krupp (Wolfsburg/33); Jonas Müller (Berlin/19), Yannic Seidenberg (München/153); Moritz Müller (Köln/127), Hördler ( Berlin/122); Ehrhoff (Köln/116) - Reimer (Nürnberg/103), Hager (München/128), Schütz (Köln/138); Wolf (Mannheim/41), Marcel Goc (Mannheim/110), Plachta (Mannheim/67); Ehliz (Nürnberg/56), Kahun (München/42), Noebels (Berlin/51); Mauer (München/70), Fauser (Wolfsburg/36), Macek (München/42); Kink (Mannheim/134). – 0:1 Ehrhoff (13:48), 0:2 Noebels (14:17), 1:2 Lander (46:25), 1:3 Kahun (48:28), 2:3 (Hersley (49:35), 3:3 Wikstrand (51:37), 3:4 Reimer (61:30). – 2092. –
Schweden 4 - Deutschland 6