Aus Banker wird Bäcker, aus Schüler Servicekraft
Der Geist der Vesperkirche: Sich begegnen, kennenlernen und eine freundliche Atmosphäre spüren
AALEN-WASSERALFINGEN - Es ist mehr als nur eine warme Mahlzeit inklusive Kaffee und Kuchen für Einsfünfzig. Vier Wochen lang rücken die Menschen zusammen. Ganz sprichwörtlich. Fast könnte man das Kirchenschiff mit einer Arche vergleichen. „An Bord“ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Hier sitzt der Firmenchef neben dem ehemaligen Obdachlosen, die ältere Dame mit der kleinen Rente neben dem Lehrling in Arbeitsmontur, der Katholik neben dem Moslem. Hier kommen Fremde ins Gespräch, wie sie es außerhalb der Kirchenmauern nicht gekommen wären. Das ist der Geist der Vesperkirche.
Für andere da sein. Solidarität mit denen zeigen, denen es nicht so gut geht in dieser eigentlich so reichen Gesellschaft. Bereits eine Stunde vor der Essensausgabe läuft’s hier auf Hochtouren. Bis zu 280 Essen pro Tag, Kaffeekochen, Abwasch, Service, Kleiderbasar und jede Menge Details, an die man zunächst gar nicht denkt. Das alles muss gestemmt werden. Rund 120 Ehrenamtliche und Schüler helfen an den vier Wochen mit. Es gibt aber auch viele, die einfach so vorbeikommen und etwas spenden. Wie zum Beispiel Roland Uhl. Gerade trägt er eine selbst gebackene Kirsch-Mandel-Torte die Kir- chentreppe hoch. Jede Woche liefert er eine ab. Vier Wochen Vesperkirche macht also vier mal Torte oder Kuchen. „Ich will einfach anderen ein bisschen helfen“, sagt er, weil das Leben ein Geben und Nehmen ist – „ich bin gerne der Geber“. Früher war er bei der Bank: „Vom Banker zum Bäcker“, lächelt er.
Auch Bernhard Pöltl gibt gerne etwas zurück. Er ist VesperkirchenStammgast und praktisch jeden Tag hier, um in der Gemeinschaft zu es- sen. Nur an seinem Geburtstag ist und isst er woanders. Er wäre, erklärt er, sehr traurig, wenn es die Vesperkirche nicht geben würde. Nach dem Essen greift er zu seiner E-Harfe und stimmt „Gott ist gegenwärtig“an.
Das Miteinander ist einfach schön
Rolle, Herkunft, Status: Das spielt hier alles keine Rolle. Die Kontakte, das Miteinander, die freundlichen Bedienungen, das sind beispielsweise für Doris Neumann aus Bopfingen die Gründe, hier seit drei Jahren immer wieder vorbeizuschauen. Neben ihrem Freund Günter Bosch aus Bohlheim sitzt der Chauffeur einer Dame, die er am Morgen von Sigmaringen nach Wasseralfingen gefahren hat. Auf ihrem Namensschild steht „Frau Kretschmann“, sie hat eine Schürze um und ist mit den ehrenamtlichen Frauen im Gespräch. Dann teilt sie freundlich und schwäbischcharmant Essen aus, ganz nach ihrem Geschmack: „Oh, Maultaschen und Kartoffelsalat. Schön, wie der aussieht….“
Der Fahrer mit dem Baden-Württembergischen Wappen am Revers kommt gleich ins Gespräch mit seinem Tischnachbarn – der eine erzählt von der gepanzerten E-Klasse, mit der er schon manchen Landesvater übers Land gefahren hat. Sein Gegenüber berichtet, dass er seit 14 Tagen ohne Auto ist: Beim TÜV haben sich die Bremsen verabschiedet, die Reparatur kostet 350 Euro. Ein ziemlicher Batzen, den er jetzt auftreiben muss.
So gemischt wie die Leute hier ist auch das Alter. Mit die Jüngsten sind die Schüler der Schloss-Schule, eine betagte Rentnerin strahlt, als sie von ihnen bedient wird. Danach sagt sie: „Allein ist es nicht schön. Deshalb ist es hier so schön.“
„Frau Kretschmann“in ihrer roten Schürze ist übrigens die Gattin des Ministerpräsidenten und Schirmherrin der Vesperkirchen im Land. Das haben auch die drei Schüler von der R 8C an Karl-Kessler-Schule gleich mitbekommen. Tobi findet die Vesperkirche ein „schönes soziales Projekt“, Vinzenz meint, hier können die Leute essen, die sich kein teures Restaurant leisten können. Moritz hatte vorhin im Service geholfen, so wie Gerlinde Kretschmann. Und so sagt er: „Toll, wenn man mit einer Prominenten zusammenarbeiten kann.“