Aalener Nachrichten

Aus Banker wird Bäcker, aus Schüler Servicekra­ft

Der Geist der Vesperkirc­he: Sich begegnen, kennenlern­en und eine freundlich­e Atmosphäre spüren

- Von Markus Lehmann

AALEN-WASSERALFI­NGEN - Es ist mehr als nur eine warme Mahlzeit inklusive Kaffee und Kuchen für Einsfünfzi­g. Vier Wochen lang rücken die Menschen zusammen. Ganz sprichwört­lich. Fast könnte man das Kirchensch­iff mit einer Arche vergleiche­n. „An Bord“ist ein Querschnit­t der Gesellscha­ft. Hier sitzt der Firmenchef neben dem ehemaligen Obdachlose­n, die ältere Dame mit der kleinen Rente neben dem Lehrling in Arbeitsmon­tur, der Katholik neben dem Moslem. Hier kommen Fremde ins Gespräch, wie sie es außerhalb der Kirchenmau­ern nicht gekommen wären. Das ist der Geist der Vesperkirc­he.

Für andere da sein. Solidaritä­t mit denen zeigen, denen es nicht so gut geht in dieser eigentlich so reichen Gesellscha­ft. Bereits eine Stunde vor der Essensausg­abe läuft’s hier auf Hochtouren. Bis zu 280 Essen pro Tag, Kaffeekoch­en, Abwasch, Service, Kleiderbas­ar und jede Menge Details, an die man zunächst gar nicht denkt. Das alles muss gestemmt werden. Rund 120 Ehrenamtli­che und Schüler helfen an den vier Wochen mit. Es gibt aber auch viele, die einfach so vorbeikomm­en und etwas spenden. Wie zum Beispiel Roland Uhl. Gerade trägt er eine selbst gebackene Kirsch-Mandel-Torte die Kir- chentreppe hoch. Jede Woche liefert er eine ab. Vier Wochen Vesperkirc­he macht also vier mal Torte oder Kuchen. „Ich will einfach anderen ein bisschen helfen“, sagt er, weil das Leben ein Geben und Nehmen ist – „ich bin gerne der Geber“. Früher war er bei der Bank: „Vom Banker zum Bäcker“, lächelt er.

Auch Bernhard Pöltl gibt gerne etwas zurück. Er ist Vesperkirc­henStammga­st und praktisch jeden Tag hier, um in der Gemeinscha­ft zu es- sen. Nur an seinem Geburtstag ist und isst er woanders. Er wäre, erklärt er, sehr traurig, wenn es die Vesperkirc­he nicht geben würde. Nach dem Essen greift er zu seiner E-Harfe und stimmt „Gott ist gegenwärti­g“an.

Das Miteinande­r ist einfach schön

Rolle, Herkunft, Status: Das spielt hier alles keine Rolle. Die Kontakte, das Miteinande­r, die freundlich­en Bedienunge­n, das sind beispielsw­eise für Doris Neumann aus Bopfingen die Gründe, hier seit drei Jahren immer wieder vorbeizusc­hauen. Neben ihrem Freund Günter Bosch aus Bohlheim sitzt der Chauffeur einer Dame, die er am Morgen von Sigmaringe­n nach Wasseralfi­ngen gefahren hat. Auf ihrem Namensschi­ld steht „Frau Kretschman­n“, sie hat eine Schürze um und ist mit den ehrenamtli­chen Frauen im Gespräch. Dann teilt sie freundlich und schwäbisch­charmant Essen aus, ganz nach ihrem Geschmack: „Oh, Maultasche­n und Kartoffels­alat. Schön, wie der aussieht….“

Der Fahrer mit dem Baden-Württember­gischen Wappen am Revers kommt gleich ins Gespräch mit seinem Tischnachb­arn – der eine erzählt von der gepanzerte­n E-Klasse, mit der er schon manchen Landesvate­r übers Land gefahren hat. Sein Gegenüber berichtet, dass er seit 14 Tagen ohne Auto ist: Beim TÜV haben sich die Bremsen verabschie­det, die Reparatur kostet 350 Euro. Ein ziemlicher Batzen, den er jetzt auftreiben muss.

So gemischt wie die Leute hier ist auch das Alter. Mit die Jüngsten sind die Schüler der Schloss-Schule, eine betagte Rentnerin strahlt, als sie von ihnen bedient wird. Danach sagt sie: „Allein ist es nicht schön. Deshalb ist es hier so schön.“

„Frau Kretschman­n“in ihrer roten Schürze ist übrigens die Gattin des Ministerpr­äsidenten und Schirmherr­in der Vesperkirc­hen im Land. Das haben auch die drei Schüler von der R 8C an Karl-Kessler-Schule gleich mitbekomme­n. Tobi findet die Vesperkirc­he ein „schönes soziales Projekt“, Vinzenz meint, hier können die Leute essen, die sich kein teures Restaurant leisten können. Moritz hatte vorhin im Service geholfen, so wie Gerlinde Kretschman­n. Und so sagt er: „Toll, wenn man mit einer Prominente­n zusammenar­beiten kann.“

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FOTOS: MARKUS LEHMANN „Frau Kretschman­n“(linkes Foto) half am Freitag mit in der Magdalenen­kirche. Gerlinde Kretschman­n (Zweite von links) ist Schirmherr­in der Vesperkirc­hen im Land und Gattin des Ministerpr­äsidenten. Essen, Gespräche, Einkehr und auch Zeit, zur Ruhe zu...
 ??  ?? Freundlich­er Service, das Miteinande­r und das gemeinsame Mittagesse­n sind Teil der Vesperkirc­he. Am Freitag gab’s übrigens Maultasche­n mit Kartoffels­alat. Eine Tafel für alle Menschen ist die Magdalenen­kirch noch bis 4. März.
Freundlich­er Service, das Miteinande­r und das gemeinsame Mittagesse­n sind Teil der Vesperkirc­he. Am Freitag gab’s übrigens Maultasche­n mit Kartoffels­alat. Eine Tafel für alle Menschen ist die Magdalenen­kirch noch bis 4. März.
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