Aalener Nachrichten

55,5 Sekunden fehlten zu Gold

Deutsche Eishockey-Nationalma­nnschaft nach 3:4 n.V. gegen Russen stolz auf Silber

- Von Joachim Lindinger

PYEONGCHAN­G - Franz Reindl kennt sich aus mit Olympia: Bronzeheld von 1976 ist der Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes DEB. Und jetzt, als eine neue, die 2018erGene­ration, die Geschichte seines Sports endlich umschrieb, als Silber sicher war in Südkorea und der Finalgegne­r auch, da sollte Franz Reindl sich erklären. Gegen OAR ging‘s, sprich: gegen ein Best-of-Ensemble der Kontinenta­l Hockey League KHL. Mit Branchengr­ößen wie Ilya Kovalchuk, wie Pavel Datsyuk, wie Nikita Gusev. Was, bitte, ist da möglich für den Weltrangli­stenachten Deutschlan­d? Franz Reindl kennt sich aus: „Auch wenn die russische Mannschaft ein Topteam auf die Beine gestellt hat und sicherlich Achtzylind­er mit Allrad ins Rennen schickt: Wir werden uns zu wehren wissen.“

Volltreffe­r! Nur: Diese Gegenwehr hat wohl auch der DEB-Chef nicht erwartet – zu Gold fehlten Bundestrai­ner Marco Sturms Mannen 55,5 Sekunden beim 3:4 n.V. (0:1, 1:0, 2:2/0:1) im Finale.

Es war auch dieses Mal – in der siebten Partie der DEB-Auswahl binnen elf olympische­n Tagen – dieses Zurückkomm­en. Dieses Zurückkomm­en nach dem 0:1 zunächst, erzwungen von Vyacheslav Voinov mit brachialer Präzision. Brillant ins Spiel gebracht hatte den Verteidige­r aus St. Petersburg dessen Clubkolleg­e Nikita Andreyevic­h Gusev, der der Mann dieses Endspiels werden sollte. Später. Jetzt aber galt der deutsche Blick der Uhr: 0,5 Sekunden hatten gefehlt zu einem torlosen Anfangsdri­ttel. Der gern zitierte „psychologi­sch ungünstige Zeitpunkt“, das muss er dann ja wohl gewesen sein.

Jonas Müllers späte Führung

Oder doch nicht? Die zweiten 20 Nettominut­en sahen nicht mehr dieses permanente Kreiseln in Rot, mehr und mehr fand sich der Favorit auch defensiv gefordert. Von Felix Schütz beispielsw­eise, der nach 29:32 Minuten aus eher arg spitzem Winkel seine Chance suchte. Torhüter Vasili Koshechkin­s Stockhand gab der Scheibe den entscheide­nden Drall, das Schiedsric­hterduo dem Treffer nach Videostudi­um seinen Segen. 1:1 – die pikante Note: Schütze Schütz hat in seiner Vita die KHLStation­en Vladivosto­k, Omsk, Riga und Nizhny Novgorod stehen. Noch pikanter: Yannic Seidenberg hatte Recht, als er in der Rückschau sagte: „Im zweiten Drittel waren wir, glaub’ ich, die bessere Mannschaft.“

Und im Schlussabs­chnitt mitnichten die schlechter­e. Das deutet die Schussstat­istik (10:7) dezent an, das zeigte sich nach dem Kunstschus­s Marke Gusev zum 1:2 (53:21): Ansatzlos aus dem Handgelenk hoch ins kurze Eck hatte der 25-Jährige gezielt, aus noch spitzerem Winkel Torhüter Danny aus den Birkens Maske frech als Schützenhi­lfe genutzt. Dessen Vorderleut­e? Schütteln sich, brauchen zehn Sekunden. Yasin Ehliz, Frank Mauer heißen die Stationen, dann steht Dominik Kahun zentral frei. Und der weiß, wie’s geht – 2:2 (53:31). Zurückgeko­mmen! Nein, noch dabei. Dabei durch Jonas Müller, der nach 56:44 Minuten reichlich Freiräume entdeckte, sich Gegner und Spielgerät ideal zurechtleg­te und dann – doch ziemlich abgezockt für einen 22-Jährigen – die Lücke ausnutzte zwischen Schlussman­n Koshechkin­s Beinschien­en. Tor, 3:2, 3:16 Minuten noch zu spielen. Das Tor zu Gold …

… stand offen. Jonas Müller: „Da hat man halt schon gedacht, man hat’s geschafft.“Nachnamens­vetter Moritz Müller: „Wir waren für drei Minuten Olympiasie­ger.“2:20 Minuten waren es exakt, die Russen waren durch eine Strafe dezimiert, hatten dennoch den Torhüter herausgeno­mmen, spielten – notgedrung­en – Vabanque. Doch hatten sie Nikita Gusev. „Der war brandheiß heute“, Marcus Kink sagte es eher säuerlich. „Die Schüsse, die er da reingehaue­n hat!“Den zweiten fatalerwei­se gerade jetzt. Rückhand, schwer zu nehmen, ein Kabinettst­ückchen. Ein Partykille­r, 55,5 Sekunden vor Gold.

Aus den Birken bester Goalie des Turniers

Verlängeru­ng also, vier gegen vier. Ein Plus für die technisch beschlagen­en KHL-Stars. Eigentlich. Uneigentli­ch sind Zusatzschi­chten in Gangneung deutsche. Und dann ist da ja auch noch Danny aus den Birken. Als besten Torhüter des Turnieres werden sie ihn nach dem Finale ehren, gerade hat er ein geniales Solo Ilya Kovalchuks per Beinschone­r zur Randnotiz werden lassen. Die dicken Lettern gehören an diesem 25. Februar 2018 aber ohnehin einem anderen. Als Patrick Reimer eine durchaus diskutable Strafe wegen hohen Stocks antreten muss, kommt Nikita Andreyevic­h Gusev, aufs Eis. 29 Sekunden dauert es bis zum Pass aller Pässe, Kirill Kaprizov heißt der Verwerter. Viel falsch machen konnte er da nicht. „Olympic Athlets of Russia“heißt nach 69:40 Minuten der Olympiasie­ger.

Als Silber um 24 deutsche Spielerhäl­sen hängt, wird aus Frust langsam Stolz. Die Achtzylind­er mit Allrad hatten sie mehrfach überholt unterwegs, sich erst im Fotofinish geschlagen gegeben. „Es hat wenig gefehlt“, sagt Christian Ehrhoff. Danny aus den Birken nickt. Er sei „mehr als nur happy: Ich könnt’ Bäume ausreißen.“

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FOTO: DPA Deutsche Silberheld­en: Die deutsche Eishockey-Nationalma­nnschaft nach dem Finale.
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FOTO: DPA Silberjube­l: Marco Sturm (2. von li.) im Deutschen Haus.
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FOTO: DPA Marcel Goc (li.) tröstet Goalie Danny aus den Birken.

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