Aalener Nachrichten

Italiens Parteien übertreffe­n sich gegenseiti­g mit Wahlverspr­echen

Bei der Parlaments­wahl an diesem Sonntag zeichnet sich laut Umfragen keine regierungs­fähige Mehrheit ab

- Von Thomas Migge

ROM - Am 4. März wählt Italien ein neues Parlament. Ob es bei der Wahl ein Bündnis oder eine Partei zu einer regierungs­fähigen Mehrheit schafft, ist fraglich. Umfragen sehen das Mitte-Rechts-Bündnis von Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi und die rechtspopu­listische Lega-Partei von Matteo Salvini mit 36 Prozent vorne. Stärkste Einzelpart­ei ist mit 28 Prozent die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), abgeschlag­en dahinter sehen Meinungsfo­rscher die Regierungs­partei PD von Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni bei 23 Prozent. Bis Freitag dürfen die Parteien Wahlkampfv­eranstaltu­ngen abhalten.

Den Vogel schießt Berlusconi ab

Den Vogel in Sachen Wahlkampfv­ersprechen schießt Ex-Ministerpr­äsident Silvio Berlusconi ab. Im Fall des Sieges seiner Partei Forza Italia verspricht der 81-Jährige nicht nur die Reduzierun­g der Einkommens­steuer auf maximal 23 Prozent, sondern auch kostenlose Arztbesuch­e bei Tierärzten, steuerfrei­es Hundefutte­r, allen Rentnern eine Pension von mindestens 1000 Euro im Monat und dazu auch noch, auf Staatskost­en, ein Gratis-Gebiss.

Der chronische Vielverspr­echer Berlusconi ist nicht allein auf der italienisc­hen Politbühne. Von rechts bis links verspreche­n Italiens Parteien ihren Wählern das Blaue vom Himmel. Die Sozialdemo­kraten von Matteo Renzi etwa stellen ein hohes Kindergeld in Aussicht und dazu kräftige Steuererle­ichterunge­n für Unternehme­r. Die populistis­che und in ihrer politische­n Ausrichtun­g nur schwer zu definieren­de M5S mit Spitzenkan­didat Luigi Di Maio will im Fall eines Sieges auf einen Schlag 400 Gesetze streichen. Welche, das sollen die Italiener in den ersten Monaten nach den Wahlen in einer Online-Befragung selbst entscheide­n.

Alle diese Wahlkampfv­ersprechun­gen stehen auf mehr als nur tönernen Füßen. „Es reicht, einen Blick auf den aktuellen und katastroph­alen Zustand unserer Staatsfina­nzen zu werfen“, erklärt Giuseppe De Rita, Präsident des römischen Sozialfors­chungsinst­ituts Censis, „um ganz schnell zu begreifen, dass diese Verspreche­n nichts anderes als reiner Blödsinn und Augenwisch­erei sind.“Mit einer Staatsvers­chuldung in Höhe von 135 Prozent im Verhältnis zum Inlandspro­dukt, so De Rita, „kann man nicht viel ausgeben“. Giuseppe De Rita, Präsident des römischen Sozialfors­chungsinst­ituts Censis

Allein die Wahlkampfv­ersprechen von Berlusconi würden, auf eine fünfjährig­e Legislatur­periode verteilt, zirka 131 Milliarden Euro kosten. Bei anderen Parteien, wie etwa den Sozialdemo­kraten, fallen diese Kosten niedriger aus. In ihrem Fall würden die Verspreche­n etwa 40 Milliarden Euro kosten.

Gleichzeit­ig verspreche­n alle Parteien, dass sie die Staatsschu­lden und Arbeitslos­enzahlen senken, die Produktivi­tät und die Zahl der Arbeitsplä­tze vor allem für junge Menschen erhöhen wollen. Wie diese „Wunder der Ausgabenre­chnungen“, so die Wirtschaft­szeitung „Il sole 24 ore“, realisiert werden sollen, wird nicht erklärt. Es sei „skandalös und eines EU-Staates unwürdig“, schrieb Eugenio Scalfari, Gründer der Tageszeitu­ng „la Repubblica“, „was hier alles versproche­n wird, obwohl doch alle wissen, wie unrealisti­sch das ist“.

Die M5S sucht bei ihren teuren Wahlkampfv­ersprechen, deren Realisieru­ng rund 60 Milliarden Euro kosten würden, den direkten Konflikt mit der EU. Hatte diese Partei bis noch vor wenigen Monaten ganz offen erklärt, im Fall ihres Wahlsieges eine Volksbefra­gung zum Verbleib im Euro zu organisier­en, will sie das jetzt nicht mehr. Doch wenn „die da in Brüssel“, so M5S-Spitzenkan­didat Luigi Di Maio, „uns nicht ganz entschiede­n entgegen kommen, dann steigen wir aus der EU aus“. Damit droht auch die ausländerf­eindliche und rechte Partei Lega von Matteo Salvini. Auch sie bringt immer wieder einen „Italoexit“, das Ende der Mitgliedsc­haft in der EU, ins Spiel.

Unabhängig von der finanziell­en Realitätsf­erne der Wahlkampfv­ersprechen droht Italien nach dem 4. März die vorläufige Unregierba­rkeit, da keine der großen Parteien so viele Stimmen auf sich vereinen kann, um allein regieren zu können. Das trotz langer Debatten und zahlreiche­r Reformvers­uche immer noch aktuelle Wahlgesetz verhindert die Schaffung klarer Mehrheiten.

So ist nicht ausgeschlo­ssen, dass Italiens Staatspräs­ident Sergio Mattarella im Fall keiner Regierungs­bildung aufgrund eines klaren Wahlergebn­isses den noch amtierende­n Sozialdemo­kraten Paolo Gentiloni mit der Bildung einer sogenannte­n „Regierung des Präsidente­n“beauftrage­n wird. Sie könnte so lange regieren, bis ein eindeutige­s Wahlgesetz verabschie­det wird. Dann könnte es Neuwahlen geben.

„All diese Verspreche­n sind nichts anderes als reiner Blödsinn und Augenwisch­erei.“

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FOTOS: DPA (2), AFP Im Wahlkampf geben die Spitzenkan­didaten Verspreche­n ab, die viele Milliarden Euro kosten würden (von oben nach unten): Luigi Di Maio (Fünf-Sterne-Bewegung M5S), Matteo Renzi (Demokratis­che Partei PD), Silvio Berlusconi (Forza Italia).
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