Aalener Nachrichten

Corbyn befürworte­t die Zollunion

Kurswechse­l der britischen Labour-Party bringt die Regierung in Nöte

- Von Sebastian Borger

LONDON - Die britische Labour-Opposition ändert ihren Brexit-Kurs und bringt damit die Regierung von Premiermin­isterin Theresa May in Bedrängnis. Sein Land müsse auch nach dem EU-Austritt in einer Zollunion mit Brüssel verbleiben, um Zölle zu vermeiden und die offene Grenze in Irland zu sichern, sagte Parteichef Jeremy Corbyn in Coventry. Damit befindet sich die größte Opposition­spartei erstmals im Einklang mit der Gruppe EU-freundlich­er Tory-Abgeordnet­er, die gegen Mays harten Brexit-Kurs rebelliere­n.

Corbyn zählt zu der kleinen Gruppe eingefleis­chter EU-Skeptiker in der Arbeiterpa­rtei, deren Mandatsträ­ger und Mitglieder mit großer Mehrheit pro-europäisch eingestell­t sind. Beim Referendum im Juni 2016 stimmten aber zwei Drittel der durch Labour-Abgeordnet­e vertretene­n Unterhaus-Wahlkreise für den EUAustritt. Dazu zählten deindustri­alisierte Landstrich­e im Norden des Landes und in Wales ebenso wie traditions­reiche Industries­tädte wie Coventry.

Seit der Volksabsti­mmung (Ergebnis: 52:48 Prozent) haben Corbyn und seine engsten Brexit-Berater in der Europafrag­e laviert und sich möglichst alle Optionen offengehal­ten. Mit großer Mehrheit stimmte die Fraktion im Unterhaus dem Austritt nach Artikel 50 des Lissabonve­rtrages zu; das Programm zur vorgezogen­en Unterhausw­ahl sah aber die größtmögli­che Nähe zur EU vor. Bei einem Treffen des Schattenka­binetts vergangene Woche setzte sich offenbar der Brexitspre­cher Keir Starmer durch; der Anwalt hatte schon im Dezember europäisch­en Diplomaten zu verstehen gegeben, seine Partei wolle die Zollunion aufrechter­halten.

Damit positionie­rt sich die Arbeiterpa­rtei erstmals diametral anders als Mays Konservati­ve. Diese wollen den harten Brexit samt Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion, wünschen sich aber ein „maßgeschne­idertes Zollarrang­ement“. Letzteres stösst in Brüssel ebenso auf Ablehnung wie Premiermin­isterin Mays sogenannte Drei-Körbe-Idee: Während die Insel in bestimmten Fragen wie Arzneimitt­el-Kontrolle und Luftfahrt die EU-Bestimmung­en weiterführ­en werde, gebe es einen Bereich, in dem britische und EURegeln „annähernd gleich“bleiben sollen, sowie eine dritte Gruppe von Vorschrift­en, in denen man sich zukünftig unterschei­den werde. „Pure Illusion“, nannte EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk derlei Vorstellun­gen.

Grundsatzr­ede von May

May will am Freitag mit einer Grundsatzr­ede Klarheit vermitteln. Bei einer Kabinettsk­lausur waren sich vergangene Woche die Brexiteers wie Außenminis­ter Boris Johnson und EU-freundlich­e Ressortsch­efs, angeführt von Schatzkanz­ler Philip Hammond, einig, dass man „die beste Lösung für Großbritan­nien“anstrebe.

Labour-Boss Corbyn sagte, weder sei die EU „die Quelle all unserer Probleme“noch werde der Austritt „all unsere Probleme lösen. Brexit ist das, was wir gemeinsam daraus machen“. Er strebe einen klaren Politikwec­hsel „innerhalb oder außerhalb der EU“an. Zu Labours Programm gehören Milliarden­investitio­nen in die öffentlich­e Infrastruk­tur, die Verstaatli­chung privatisie­rter Versorgung­sunternehm­en für Wasser, Gas und Elektrizit­ät sowie der massive Ausbau des sozialen Wohnungsba­us. Während der Industriev­erband CBI Corbyns Zollunion-Idee begrüßte, reagierten konservati­ve Kabinettsm­itglieder und eingefleis­chte EUHasser in der Labour-Fraktion angesäuert.

Weil mindestens ein Dutzend Tory-Rebellen den Verbleib in einer Zollunion mit der EU unterstütz­t und somit der Minderheit­sregierung eine Abstimmung­sniederlag­e drohte, haben Mays parlamenta­rische Manager einschlägi­ge Abstimmung­en um einige Wochen verschoben.

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