Aalener Nachrichten

China entwickelt sich politisch zurück

- Von Johnny Erling, Peking

Wenn in der kommenden Woche der Volkskongr­ess zu Chinas wichtigste­m politische­n Treffen des Jahres zusammenko­mmt, wird Präsident Xi Jinping ein neues Machtlevel erreichen. Wie berichtet kündigte die staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua an, dass der Volkskongr­ess die Streichung einer kleinen, aber wichtigen Passage aus der chinesisch­en Verfassung billigen soll. Dort heißt es, dass der Präsident nur zwei Amtszeiten in Folge, also maximal zehn Jahre, im Amt bleiben dürfe. Wird der Satz gestrichen, könnte Xi Jinping auf Lebenszeit durchregie­ren.

Viele halten es für die größte Leistung des einstigen chinesisch­en Reformarch­itekten Deng Xiaoping, dass er die Staatsverf­assung ändern ließ. Er zog damit die Lehre aus der 27-jährigen Terrorherr­schaft des Mao Tsetung mit der Dutzende Millionen Tote fordernden Hungerkata­strophe des „Großen Sprungs“und seiner mörderisch­en Kulturrevo­lution. Nie wieder sollte ein chinesisch­er Parteivors­itzender absolute Macht auf Lebenszeit ausüben dürfen. Deng ließ dazu das Amt des Staatspräs­identen auf maximal erlaubte zwei fünfjährig­e Dienstzeit­en begrenzen und das genau so in die Verfassung schreiben. Da Chinas höchste Führer in Personalun­ion Staatspräs­ident, Armeeund Parteichef sind, traten Dengs Nachfolger alle mehr oder weniger brav im Zehnjahres-Rhyhtmus ab. Nur Jiang Zemin blieb einst zwei Jahre länger als Armeechef im Amt.

Doch Chinas ehrgeizige­r Xi Jinping lässt die Karten neu mischen. Der 64-Jährige ist nach seiner ersten Amtszeit als Parteichef vom 19. Parteitag gerade für fünf Jahre wieder ernannt worden. Mitte März will er sich vom neuen Volkskongr­ess (Chinas Parlament) auch als Präsident für weitere fünf Jahre bestätigen lassen.

Xi hat es geschafft, mehr absolute Macht in seiner Hand zu konzentrie­ren als alle seine Vorgänger. Er übernahm den Vorsitz über ein Dutzend für ihn neugeschaf­fener Kommandoze­ntren von Armee – und Wirtschaft­sreformen bis zur Cybersiche­rheit. Wie einst Mao lässt er sich von der Armee Tongshuai (Oberbefehl­shaber) und von der Partei Lingxiu (Führer) nennen. Nun will er für sich die Option auf eine dritte Fünfjahres­Amtszeit oder noch länger erhalten.

Fünfte Änderung seit 1982

Seit 1982 ist die Verfassung bereits viermal abgeändert worden. Der Sprecher im Abendferns­ehen am Sonntag las die 21 Punkte vor, mit denen eine Sondersitz­ung des Zentralkom­itees in Klausur am 26. Januar die fünfte Abänderung der Verfassung beschlosse­n hat. Der von der Partei bevormunde­te und entmachtet­e Volkskongr­ess darf sie im März mit seinen neugewählt­en 2980 Delegierte­n verabschie­den. Die wichtigste Änderung versteckte sich unter dem früheren Verfassung­paragraphe­n 79, Abschnitt drei. Dort steht zwar weiter, dass die jeweilige fünfjährig­e Amtszeit des Staatspräs­identen oder seines Vize an die Dauer des auf fünf Jahre gewählten Parlaments gebunden sind. Früher stand danach der Zusatz des Deng Xiaoping, dass Chinas Staatspräs­ident nicht länger als zwei Amtszeiten regieren darf. Dieser Satz ist gestrichen worden.

Als Xi Ende Januar die Korrekture­n der Verfassung durchsetzt­e, versichert­e die Parteiführ­ung noch, dass nur wenige Veränderun­gen zu erwarten seien. Doch nun steht auch in der neuen Verfassung fast alles, was Xi beim Parteistat­ut auf dem 19. Parteitag vergangene­n Oktober durchsetzt­e. Und das waren 107 Änderungen. Er schrieb sich selbst mit dem „XiJinping-Denken“als neuer ideologisc­her Vordenker der Partei ins Statut hinein. Nun steht er als solcher auch in der Staatsverf­assung. In ihr wird ebenfalls postuliert, dass die „Führung der Partei das entscheide­nde Merkmal des besonderen chinesisch­en Sozialismu­s ist“. Neu ist auch die Schaffung einer supermächt­igen, eigenständ­igen und landesweit übergreife­nden nationalen Überwachun­gskommissi­on, deren neue Präsidente­n sie aber nur zwei Amtszeiten leiten dürfen.

China, sagen Kritiker, habe sich seit Xi Jinpings Amtsantrit­t politisch zurückentw­ickelt. Statt Pragmatism­us stehen wieder Linientreu­e, Staatswirt­schaft und die Vorherrsch­aft der Kommunisti­schen Partei im Vordergrun­d. Chinesisch­e Kommentato­ren hatten schon früher bei der Frage, wie lange ein Staatspräs­ident in China regieren dürfe, darauf verwiesen, dass es bis auf die USA auch in westlichen Systemen keine Zeitbegren­zungen gibt. Sie vergaßen, dass die fortlaufen­de Amtsausübu­ng über Wahlen legitimier­t wird. In China kommt, frei nach Mao, die politische Macht immer noch aus den Gewehrläuf­en.

Deng wollte nicht, dass nochmals ein chinesisch­er Führer lebenslang herrschen kann. Deng hatte seiner Nation zudem geraten, nach dem Prinzip von „Taoguangya­nghui“zu leben, das heißt, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, fleißig ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen und weltweit nicht nach einer Führungsro­lle zu drängen. Davon hat sich Xi mit seinen Visionen der Seidenstra­ße, über Chinas Schicksalg­emeinschaf­t mit der Welt und seinen Vorstellun­gen von der Zukunft für die Menschheit ebenfalls entfernt.

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