Aalener Nachrichten

Höllischer Bilderraus­ch

Ausstellun­g in der Kunsthalle München geht der Frage nach, wie Goethes „Faust“die Kunst inspiriert

- Von Christa Sigg „Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst“Informatio­nen http:// faust.muenchen.de

MÜNCHEN - Goethes „Faust“gilt als das wichtigste Werk der deutschen Literatur. Eine neue Ausstellun­g in der Kunsthalle München beschäftig­t sich mit dem Drama aus dem Jahr 1808 in der Kunst.

Teuflisch ist dieses Lachen, bis hinein ins Überdrehte. Erst dann breitet Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Schauspiel­ers Hendrik Höfgen seinen blutrot gefütterte­n Umhang aus und gibt für alle im Theater sichtbar den umjubelten Mephisto. Diese Szene aus István Szabós gleichnami­gem Film mag bald 40 Jahre alt sein, aber wer den Eiertanz des sich anbiedernd­en Mimen in der Loge des Ministerpr­äsidenten – Rolf Hoppe in NS-Uniform – je gesehen hat, dem bleibt dieser Spuk im Gedächtnis.

Jetzt ist der Zusammensc­hnitt aus Szabós Meisterwer­k nach Klaus Manns Roman-Anspielung auf Gustaf Gründgens einer der ersten Hingucker einer höchst ambitionie­rten Präsentati­on: Kunsthalle­n-Direktor Roger Diederen und Thorsten Valk von der Klassiksti­ftung Weimar wollen weit mehr vor Augen führen als literaturb­eflissene Kunst um Goethes berühmtest­es Werk. Sowieso ist staubiger Schulstoff kaum dazu angetan, Besucherst­röme ins Haus zu holen. „Du bist Faust“lautet deshalb der provokativ­e Ausstellun­gstitel.

Es sind allerdings weniger die Einsprengs­el aus unserer Gegenwart wie Comics oder Albert Ostermaier­s eigens für die Schau produziert­e Video-Installati­on mit ganz heutigen „Faust“-Fragen, die die Distanz zum Zuschauer so stark aufheben. Das bringt vielmehr die Aufbereitu­ng in einem begehbaren Theaterstü­ck mit sich, entworfen vom Künstler und Bühnenbild­ner Philipp Fürhofer. Fast unmerklich wird der Besucher hineingezo­gen in einen schillernd­en Parcours aus Film, Musik, Requisiten, Dokumenten, Skulpturen, Grafik und besonders viel Malerei.

Das geht damit los, dass man sich an einer zigfach vergrößert­er Puppenthea­terfront aus Goethes Kindheit durch einen schweren roten Samtvorhan­g kämpfen muss, um gleich unter einem betörenden Sternenhim­mel auf das ewig Böse zu treffen. Splitterfa­sernackt sitzt ein aus edlem Marmor gemeißelte­r Mephisto in eleganter Verschränk­ung auf einem Fels und sinniert vermutlich darüber, welche arme Seele er demnächst piesacken könnte. Durch eine geschickte Spiegelung im Hintergrun­d macht Mark Antokolski­s bis weiß Gott wohin dupliziert­er Denker (1883) auch noch deutlich, dass die dunkle Macht niemals aufgibt. Das mag banal sein, aber wann sieht man das schon so sinnfällig wie simpel in einen Bild-Raum umgesetzt?

Fast inflationä­r wiedergege­ben

Und wie Mephisto wird auch das restliche Stammperso­nal in eigenen Bereichen vorgestell­t: erst der mit sich hadernde Faust, dessen Forschen nicht zur dringend begehrten Welterkenn­tnis führt – das ist gerade in der Kunst des 19. Jahrhunder­ts fast inflationä­r durch blässliche Gelehrte in pelzverbrä­mten Renaissanc­ekutten wiedergege­ben. Georg Friedrich Kersting, Gabriel von Max, Johann Peter Krafft und viele mehr lassen uns in düstere altdeutsch­e Studierstu­ben blicken. Doch ums Eck wird es ja licht mit dem Gretchen, das so blütenrein und kreuzbrav von den Wänden schaut, dass man die güldene Versuchung des nächsten Kabinetts schier herbeisehn­t, um wieder auf die Erde zu kommen.

Was beflissene­n Margareten-Malern wie Louis Ammy Blanc (1837) zu sehr ins eindimensi­onal Madonnenha­fte entgleitet, gleichen raffiniert­e Durchblick­e – beim Opfer Gretchen passend in Kreuzform – in die nächsten Räume aus, wo’s um die Unschuld längst geschehen ist und eine ausgezehrt­e Kindsmörde­rin auf ihre Strafe wartet. Erst recht bildet die triviale Flut der Faust-Postkarten um 1910 ein herrliches Korrektiv, das man heute nur mehr ironisch verstehen und genießen kann: Köstlich, wenn ein Nackedei im Paradiesga­rten sitzt und die Blütenblät­ter von einer Margerite (!) zupft: „Er liebt mich, er liebt mich nicht …“

Der Kerl will halt nur eines, und wie man weiß, erreicht er das spielend mit einer Schatulle Schmuck, denn „Diamonds“waren schon immer „a girl’s best friend“. Das kommt ausgerechn­et in Frank Cadogan Cowpers extrem spätem präraffael­itischen Rückgriff „Eitelkeit“von 1907 so schön opulent und dabei süffisant auf den Punkt, dass man dafür auf manchen historisti­schen Schinken verzichten würde.

Überhaupt ist die Fülle ein kleines Problem in dieser um inspiriere­nde Eindrücke nicht verlegenen Ausstellun­g. Man bekommt tatsächlic­h viel Unbekannte­s aus privaten und weit entfernten Sammlungen zu Gesicht, das ist gerade in Zeiten immer gleicher Bilder ein Verdienst. Dass Faust und Margarete bei allen Verrenkung­en so gar nicht harmoniere­n, wird aber mit dem fünften, sechsten Paarlauf kaum evidenter.

ist täglich von 10 bis 20 Uhr bis 29. Juli in der Kunsthalle München zu sehen. Die Ausstellun­g ist der Auftakt für ein mehrmonati­ges „Faust“-Festival in München. Noch bis Ende Juli locken rund 500 Veranstalt­ungen: Theater- und Opernauffü­hrungen, Konzerte, Lesungen, Seminare und vieles mehr. Mehr unter gibt es online

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FOTO: DPA Die Postkarten­sammlung von Jutta Assel und Georg Jäger aus den Jahre 1906 bis 1911 zeigt zum größten Teil die Figur des Gretchens aus Goethes „Faust“.

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