Aalener Nachrichten

Damit sich Architektu­rsünden nicht wiederhole­n

Tagung in Bad Saulgau beschäftig­t sich mit der Baugeschic­hte in Oberschwab­en

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BAD SAULGAU - „Typisch oberschwäb­isch? Regionales Bauen im Wandel“: Mit diesem Thema haben sich die 6. Bad Saulgauer Gespräche zu Kunst und Kultur beschäftig­t.

Zunächst erfuhren die 200 Besucher der Veranstalt­ung der Stadt in Zusammenar­beit mit der Gesellscha­ft Oberschwab­en und der Architekte­nkammer Baden-Württember­g etwas über die Vorgeschic­hte des Bauens in der Region. Mit dem Historismu­s im Landkreis Sigmaringe­n beschäftig­te sich Kreiskultu­ramtsleite­r Edwin E. Weber anhand von öffentlich­en Bauten wie Ämtern, Rathäusern, Schulen und Bahnhöfen sowie Sakralbaut­en. Allesamt Beispiele mit der „für Oberschwab­en typischen Verspätung“für einen eklektizis­tischen Baustil, der eigentlich mit der Entwicklun­g des Jugendstil­s ab 1890 zumindest in den Städten und Metropolen zu Ende ging. Interessan­t vor allem die im Verhältnis zum Ort oft völlig überpropor­tionierten Kirchenbau­ten im neogotisch­en oder neoromanis­chen Stil.

Nach diesem Blick auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nahm Dr. Uwe Degreif vom Museum Biberach die Architektu­r des Dritten Reichs in den Fokus. Da die Nazis den Historismu­s wegen seiner Bürgerlich­keit ablehnten, bedienten sie sich der 1904 formuliert­en Formenspra­che des „Heimatschu­tzbundes“wie der Walm- und Satteldäch­er oder der Geschossma­rkierung durch Fensterrei­hen. Wesentlich­e Prägung erfuhr die Region in der Nazizeit gerade nicht durch einen Regionalst­il, sondern durch den vereinheit­lichten Siedlungsb­au ab 1933. Dieser wurde in kleinen Städten wie Saulgau und in größeren wie Biberach und Friedrichs­hafen angewandt. Es gab drei Typen von Ein- bis Zweifamili­enhäusern auf zunächst 1000 Quadratmet­ern, später dann 650 Quadratmet­ern Grundstück­sfläche.

„Heimatschu­tz“war auch das Stichwort für den Vortrag über den Architekte­n Paul Schmitthen­ner, mit dem sich der Architektu­rhistorike­r Dr. Wolfgang Voigt vom Architektu­rmuseum Frankfurt/Main beschäftig­te. Der aus dem Elsass stammende Schmitthen­ner war ab 1925 mit größeren Projekten am Stuttgarte­r Schloss und am Karlsplatz beauftragt worden, auch baute er 1935 die Fassade des neogotisch veränderte­n Rathauses in Hechingen zurück. Sein Wirken sei „regional aufgefasst“worden, so der Referent, aber die Inspiratio­nen lagen wohl eher in Niedersach­sen und in Frankreich.

Villa für Aldi-Filiale abgerissen

Und wie sieht es heute aus mit der oberschwäb­ischen Architektu­r? Darauf versuchte Jörg Widmaier vom Landesamt für Denkmalpfl­ege eine Antwort zu finden. Immerhin hatte es bereits 1845 ein Interesse Württember­gs für das landwirtsc­haftliche Bauen gegeben und damit eine Art Gegenwehr zum urbanen Bauen ab 1907. Jedoch erst 1972 wurde der Denkmalbeg­riff erweitert auf die ländliche Region – zu spät leider, denn gerade in diesen Jahren wurden die meisten Bausünden begangen, wie man nicht nur am Abriss einer historisti­schen Villa für den Bau einer Aldi-Filiale in Pfullendor­f sehen konnte. Widmaiers mit Applaus bedachtes Plädoyer für eine „einfühlsam­e Planung im Bestand“schloss sich Carmen Mundorff von der Architekte­nkammer Baden-Württember­g an, indem sie einige Beispiele von Neubauten, die in den letzten Jahren für „Beispielha­ftes Bauen“ausgezeich­net wurden, vorstellte und Beratung für Gemeinden und Architekte­n vonseiten der Kammer anbot.

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