Mädchenkönig statt Märchenkönig
Vor 150 Jahren starb Ludwig I. – Machtbewusstsein und „erotisches Temperament“
MÜNCHEN (dpa) - Verantwortlich für das heute größte Volksfest der Welt, ein Bewunderer schöner Frauen und gleichzeitig kühler Rechner mit Machtbewusstsein – das war Ludwig I., König von Bayern. In der Erinnerung vieler Menschen ist zwar heute eher Enkel Ludwig II. präsent – für Ludwig I., der eine sogenannte Schönheitengalerie mit Porträts ihm gefallender Damen anfertigen ließ, gilt eher: Mädchenkönig statt Märchenkönig. Am 29. Februar 1868, vor 150 Jahren, starb der Monarch.
Für die Staatswerdung von Bayern hat er eine große Rolle gespielt. Er war erst der zweite König des Landes, das 1806 zum Königreich geworden war. Ludwig erbte 1825 die Krone von seinem Vater Max I. Joseph. War er der bedeutendste König?
„Er war der, der die größten Pläne hatte“, urteilt Katharina Weigand, Akademische Oberrätin am Historischen Seminar der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und Ludwig-Expertin. Darin unterschied er sich etwa von Ludwig II., der sich nicht für Politik, sondern nur für seine eigene „Fantasiewelt“interessiert habe, oder vom Prinzregenten Luitpold, der die Minister habe machen lassen. „Ludwig I. war sicher der politischste Kopf von allen, der regieren wollte.“Er tat viel dafür, neu an Bayern gekommene Gebiete mit dem alten Territorium „zusammenzuschweißen“, erläutert Wiegand.
Bayerische Identität pflegen
„Wir zeigen Euch in den neuen Landesteilen, dass wir gut für Euch sind“– das habe Ludwig etwa durch die Gründung historischer Vereine vermitteln wollen. „Er macht es allen Untertanen leichter, sich als Bayern zu fühlen. Er will sie nicht vergewaltigen.“Auch Denkmäler, die an „neubayerische Geschichte“erinnern, wie für den Fürstbischof Julius Echter in Würzburg, zeugen von dieser Absicht. Klingt modern, doch Ludwig war beides, liberal und konservativ, sagt Weigand. Ludwig habe versucht, mit liberalen Mitteln konservative Ziele zu erreichen. Die Souveränität Bayerns, die Wiedereinrichtung vieler Klöster und eine katholische Grundhaltung im Land seien ihm wichtig gewesen. Die meisten Menschen werden ihn aber heute wegen anderer, volkstümlicherer Hinterlassenschaften kennen. „Eines der wichtigsten Ereignisse im Münchner Jahresablauf“, wie es Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nennt, das größte Volksfest der Welt, das Münchner Oktoberfest, geht auf das Fest anlässlich von Ludwigs Hochzeit mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen im Jahr 1810 zurück – auf der heutigen Theresienwiese.
Eine große Leidenschaft Ludwigs prägt München bis heute: „Ludwig I. war – ganz dem Zeitgeist des Klassizismus und Neuhumanismus verpflichtet – ein glühender Verehrer des antiken Griechenlands (Philhellenismus), was sich in der baulichen Umgestaltung Münchens widerspiegelt. Der Königsplatz mit Glyptothek, Propyläen und Antikensammlung machte München zu einem neuen ,Isar-Athen’“, fasst Reiter zusammen und nennt weitere wichtige Bauwerke, die unter Ludwig in seiner Hauptstadt entstanden, etwa die Feldherrnhalle, die Alte Pinakothek und die Bavaria-Statue auf der Theresienwiese. „Diese Monumentalbauten prägen bis heute das Stadtbild Münchens und gehören damit sicherlich zu seiner positivsten Hinterlassenschaft.“Nicht zuletzt die Schreibweise Bayerns mit Ypsilon statt mit I geht auf Ludwigs Griechenlandbegeisterung zurück.
Staat fast vollständig saniert
Auch die Walhalla bei Regensburg ließ Ludwig errichten – ganz modern unter Verwendung von Stahl. Die Gebäude der Ludwigstraße, eine der Münchner Prachtstraßen, die viele eher mit dem „Kini“Ludwig II. in Verbindung bringen, entstanden ebenfalls unter Ludwig I.. Dabei bezahlte er die Bauten teilweise aus seiner Privatschatulle, wie Weigand sagt. Schulden habe er dabei nie gemacht, anders als der heute noch verehrte Enkel Ludwig II., sondern im Gegenteil den bei Amtsantritt fast bankrotten Staat vollständig saniert. München wurde erst durch ihn zur Residenzstadt europäischen Ranges, erläutert Weigand, und Bayern zum Kultur- und Wissenschaftsstaat. Auch die Universität, zuvor in Landshut beheimatet, holte er nach München.
Doch mit den Jahren setzte der konservative König auch konservative Mittel zur Durchsetzung seiner Politik ein. Gleichzeitig leistete er sich mit der Beziehung zu seiner Geliebten Lola Montez ein recht lockeres Privatleben– ein „äußerst aktives erotisches Temperament“habe der König gehabt, heißt es in der Biografie von Heinz Gollwitzer. Konservative Politik und fragwürdiger Lebenswandel – beides zusammen vertrug sich im Revolutionsjahr 1848 nicht mehr mit der politischen Entwicklung.
Er, der alle Akten über seinen Schreibtisch gehen ließ, wollte nicht nur „Unterschreiberkönig“sein. Am 19. März 1848 verzichtete Ludwig auf den Thron. „Er ist daran gescheitert, dass er nicht mehr ein wirklich autokratischer Herrscher sein konnte“, sagt Weigand. Das war für den Mann, der Gedichte schrieb und als Romantiker galt, nicht akzeptabel. Die Kunst aber förderte er weiter.