Kampf gegen den Kältetod
Die Kälte in Deutschland ist derzeit Beschwerdethema Nummer eins – Besonders schlimm trifft es Wohnungs- und Obdachlose
STUTTGART (lsw) - Es ist mollig warm in der Tagesstätte „Olga 46“in Stuttgart. Das ist für viele der obdachund wohnungslosen Besucher dort derzeit das Wichtigste. An einem der Tische sitzt eine ältere Frau, neben ihr liegt ein zerbeulter Schlafsack. „Letzte Nacht habe ich gar nicht geschlafen. Ich war zuerst im Hauptbahnhof, dann in einer Autogarage, immer hin und her“, erzählt die 60-Jährige am Dienstag mit müden Augen. Es sei schwer, einen festen Platz zu finden, irgendwo seine Ruhe zu haben. „Und es ist schon die ganze Woche sehr kalt. Bei so einer Kälte war ich noch nie draußen.“Hin und wieder schlafe sie im Park oder am Bahnhof. „Aber da werden wir verjagt. Man muss morgens aufstehen, bevor die Polizei kommt.“
Es ist kurz nach 9 Uhr. Um diese Uhrzeit sind normalerweise die meisten der Gäste der Obdachlosenhilfe schon weg. Frühstück gibt es bis 8.45 Uhr. Bei Dauerfrost um die minus zehn Grad am Morgen bleiben einige gerne noch etwas sitzen. „Im Winter kommen nicht unbedingt mehr Menschen zu uns. Aber sie bleiben länger“, erzählt Mitarbeiter Kai Koch. „Vom einfachen Arbeiter bis zum Akademiker haben wir alles hier.“
Wie viele Einrichtungen in anderen Städten bietet das „Olga 46“der Stuttgarter Caritas Obdach- und Wohnungslosen sowie Armen ein Frühstück. Sie können auch duschen, dürfen aber auch nur zum Reden kommen. Und sie sollen sich aufwärmen. Um die 100 Menschen – derzeit dick vermummt – schauen im Durchschnitt pro Tag vorbei. Derzeit sind es weniger, weil auch die Vesperkirche Hilfe bietet. Insgesamt gibt es in der Landeshauptstadt derzeit etwa 4000 Menschen ohne Wohnung. Um die 80 lebten durchgängig auf der Straße, weiß das Sozialamt. Im gesamten Südwesten sind laut Sozialministerium etwa 22 800 Menschen (Stand: 2015) ohne Wohnung.
Das Hilfsangebot in Stuttgart sei eigentlich sehr gut, sagt Koch. „Aber wenn es so kalt ist, kann es in den Unterkünften schon mal eng werden.“Viele Städte bieten in der kalten Jahreszeit zusätzliche Plätze in Unterkünften an.
Die Stadt Freiburg stockt ihre Obdachlosenunterkünfte von 30 auf 40 Plätze auf. Zudem wurde jüngst ein spezieller Container eingerichtet dort wird für Bedürftige gekocht.
Sozialminister Manne Lucha (Grüne) sagt: „In Baden-Württemberg muss niemand auf der Straße übernachten.“Dennoch verweigern einige Wohnungslose die Hilfsangebote – laut der Stadt Heilbronn aus Angst vor sozialem Kontakt oder weil sie beispielsweise Hunde besitzen, die in manche Unterkünfte nicht mitgebracht werden dürfen.
Für die, die trotz aller Schlafoptionen lieber draußen übernachten, ist in Stuttgart ein Kältebus unterwegs. Sobald Minusgrade gemessen werden, verteilen Helfer Decken, Schlafsäcke und Tee. „Das Leben auf der Straße zehrt aus. Viele haben keine hohe Lebenserwartung“, erklärt Caritas-Mitarbeiter Koch. Der Bus nimmt auch Leute mit in die Unterkünfte, aber das passiere immer seltener. Die Betroffenen fühlten sich dadurch „einfach abgestellt“.