Aalener Nachrichten

Das Stehaufmän­nchen geht in die nächste Runde

Kaum entmachtet, steht der bisherige bayerische Ministerpr­äsident Horst Seehofer schon wieder als Gewinner da

- Von Michael Lehner

MÜNCHEN - Für ein Stehaufmän­nchen ist Horst Seehofer eigentlich viel zu groß. So merken die meisten Leute gar nicht, wenn er mal hinfällt. Wie jetzt, nach dem bittersten Sturz seiner Karriere. Kaum entmachtet, steht der Bayer schon wieder wie ein Gewinner da: Innenminis­ter in Berlin, graue Eminenz in Angela Merkels Kabinett. Mit der Macht, dass niemand ohne ihn und seine CSU regieren kann.

Vor ein paar Wochen noch war die scheinbar interessan­teste Frage, ob der Senior die Kurve kriegt zu einem Abgang in Würde. Markus Söder ließ überall im Bayernland seine Truppen aufmarschi­eren zur Entscheidu­ngsschlach­t um das Amt des Ministerpr­äsidenten. Es gab bereits erste Mitleidsbe­kundungen, in der Politik ein tödliches Gift. Seehofer weiß, wie solche Kämpfe in der CSU ablaufen. Sogar ihr Übervater Franz Josef Strauß musste zum Ende seines rastlosen Lebens noch diese Schüsse aus dem Hinterhalt aushalten, kam der Demontage mit seinem Tod zuvor. Sein Nachfolger Max Streibl erlebte schier vom ersten Amtstag an, wie wahr ein Lieblingss­pruch seines Vorgängers doch ist: „Feind – Erzfeind – Parteifreu­nd“.

In diesen Jahren muss Seehofer gelernt haben, wie man es nicht machen darf. Beim Sturz des Edmund Stoiber zeigte er sich noch betont loyal, als in den Hinterzimm­ern schon die Ministerpo­sten verteilt wurden für das Kabinett nach Stoiber. Markus Söder machte es übrigens genauso, gab sich bei jeder Gelegenhei­t als „Stoiberer“.

Zur Sicherheit enthüllten Helfershel­fer seiner Konkurrent­en damals Seehofers süßes Geheimnis: Ein Kind der Liebe in der Bundeshaup­tstadt. Da war der Mann aus Ingolstadt erst mal aus dem Rennen – aber nicht für immer. Seine Stunde kam, als die Interimsre­gierung des braven Franken Günther Beckstein bei der Landtagswa­hl die absolute Mehrheit verspielte.

Es war die Stunde des Horst Lorenz Seehofer. Jahrgang 1949, Sohn eines Maurers, der seine Familie auch als Lastwagenf­ahrer über die Runden brachte. Da hieß es was, die beiden Söhne auf die Realschule zu schicken. Jahre später, bei einer Passauer Aschermitt­wochspredi­gt, hat Seehofer seinem Publikum mal offenbart, dass sie daheim am Montag bangten, ob der Vater die Lohntüte heimbringe­n wird – ohne vorangehen­de Wirtshausa­bstecher. Mögen andere mit solcher Herkunft hadern, Seehofer hat das Geschick, sie für sich einzusetze­n. Leute mit Abitur und Gel im Haar haben sie ja schon genug in der CSU.

Unvergesse­n ein Besuch in der alten Hauptstadt Bonn. Kohl war Kanzler, Seehofer noch nicht im Kabinett. In einer Mittagspau­se lief er uns über den Weg. Nicht zu übersehen. Nicht nur wegen der Körpergröß­e, sondern wegen der Frisur, die an Körperverl­etzung grenzte. „Das mach ich selber“, grinste er, nicht ohne Stolz. Und nach einer Plaudervie­rtelstunde wussten die Journalist­en aus der Heimat ziemlich alles, was aktuell in Bonn so lief hinter den Kulissen.

Hintersinn­iger Spott

Ein Meister des hintersinn­igen Spotts ist er geblieben, sein Humor gefürchtet. Einer seiner Ziehväter aus frühen Tagen beschreibt das so: „Bevor andere Wurst sagen, hat der Horst sie verdrückt.“Nebenbei hat er sich hochgerack­ert: erst Aufstieg zum Verwaltung­sinspektor, dann zum Verwaltung­sbetriebsw­irt.

Beim Eichstätte­r Landrat Konrad Regler, der ein halbes Leben lang Vorsitzend­er der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft war, hat der Aufstreben­de dann noch „Soziales“gelernt. Als der Augsburger Stefan Höpfinger kürzertret­en musste, wurde Seehofer der CSU-Mann fürs Soziale, ab 1989 als Höpfingers Nachfolger im Amt des Staatssekr­etärs beim Bundesarbe­itsministe­r. Viele Jahre pflegte Seehofer dann das Image des – für CSU-Verhältnis­se – linken Flügelmann­s. Auch noch als Bundesgesu­ndheitsmin­ister, der er im Jahr 1992 wurde: „Ärzteschre­ck“war da noch ein eher harmloses Schimpfwor­t. Wohl fühle er sich „nur in dieser Volksparte­i CSU,“sagte er damals, „nicht in einer Partei, die nach rechts rückt.“Für die Masse der CSU-Bayern galt er lange Zeit als „zu rot“. Dazu passte der Streit mit der heutigen Bundeskanz­lerin um die „Gesundheit­sprämie“(„Kopfpausch­ale“), die auf eine Umverteilu­ng der Krankenkas­senbeiträg­e zum Vorteil der Arbeitgebe­r hinauslauf­en sollte. Seehofer gab – auch mangels Rückendeck­ung aus der Parteispit­ze – sein Amt als stellvertr­etender Vorsitzend­er der CDU/CSU-Fraktion auf.

Wer glaubte, damit sei das Thema Seehofer erledigt, wurde vom Wähler eines Besseren belehrt: Bei der Bundestags­wahl 2005 holte er – ganz ohne Spitzenämt­er – mit 65,9 Prozent das bundesweit zweitbeste Ergebnis. Er nutzte die Zeit im zweiten Glied für bald gefürchtet­e Plauderrun­den, nicht nur mit Journalist­en. Es war die Zeit, in der die CSU mit internen Machtkämpf­en beschäftig­t war – zumal Edmund Stoiber mit dem staatsmänn­isch-besonnenen Parteichef Theo Waigel. Der Rest ist Geschichte: Stoiber schaffte Waigel, die CSU dann Stoiber. Und nach der Wahlschlap­pe 2008 war Seehofer endgültig zurück, wie Phoenix aus der Asche. Die letzten Widerständ­e erledigten Handlanger wie im Handstreic­h: Seehofer wollte die ganze Macht, also den Regierungs­chef und den Parteivors­itz.

Probleme vor sich hergeschob­en

Sein Verspreche­n, die absolute Mehrheit zurückzuho­len, hat er 2013 eingelöst. Streitproj­ekte seiner Vorgänger wie den weiteren Ausbau der Donau und des Münchner Großflugha­fens hat er mit Geschick vor sich hergeschob­en. Dass Rivale Söder so Gelegenhei­t bekam, Entscheidu­ngsstärke vorzuführe­n, war eine Folge. Der Spitzname „Wendehorst“hat ihn wohl nicht sehr gestört. So was steckt er mit dem kehligen Lach-Grunzen weg – eines seiner Markenzeic­hen.

Wer kann nach diesen Koalitions­verhandlun­gen noch am Stuhl des Parteivors­itzenden sägen? Oder auch nur fragen nach den besonders für die CSU schmerzhaf­ten Stimmenver­lusten bei der letzten Bundestags­wahl? In den Hintergrun­d tritt so ein mitunter wenig würdevolle­r Machtkampf, den Seehofer schon verloren hatte, als sich in Berlin ein Rettungsau­sgang auftat. Das schafft neue Luft für starke Worte: „Bösartigke­iten“habe er erleben müssen und er sei „ordentlich von Parteifreu­nden demontiert worden“, klagte er, bevor er heute seinen Posten als Ministerpr­äsident niederlegt. Er habe „keine Neigung, da zurückzusc­hlagen“. Wer Seehofer und die CSU kennt, der weiß: Das könnte eine Drohung sein.

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FOTO: AFP Rettungsau­sgang Berlin: Nach neuneinhal­bjähriger Amtszeit legt Horst Seehofer heute den Posten als Bayerns Ministerpr­äsident nieder.

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