Aalener Nachrichten

Ein Obdachlose­r in den Bestseller­listen

Mit „Kein Dach über dem Leben“möchte der Mannheimer Richard Brox jenen Mut machen, denen es auf der Straße genauso geht wie ihm selbst

- Von Wolfgang Jung

MANNHEIM (dpa) - Wenn Deutschlan­ds derzeit wohl berühmtest­er Obdachlose­r vom Nachtasyl zwischen Hamburg und München erzählt, mischt sich Wut in den Kurpfälzer Dialekt. „Oft sind die Betten feucht vom Urin des Vorgängers, und die Toiletten haben keine Türen“, schildert der gebürtige Mannheimer Richard Brox. „In vielen Einrichtun­gen werden Obdachlose behandelt wie der letzte Dreck. Menschenun­würdig ist das“, klagt der 53-Jährige und streicht über sein Stoppelkin­n. „Jeder Mensch braucht eine Chance. Manche brauchen auch eine zweite.“

Seit 30 Jahren lebt Brox auf der Straße – jetzt hat er ein Buch darüber geschriebe­n: „Kein Dach über dem Leben.“Es ist eine schnörkell­ose Abrechnung mit Behörden und auch mit sich selbst, ohne falsche Freiheitsr­omantik. „Das Straßenleb­en ist brutal hart, man muss alles erkämpfen“, sagt Brox. Sein Buch ist in den Bestseller­listen gelandet, aber einen festen Wohnsitz hat er weiterhin nicht.

Aber vom Tellerwäsc­her zum Millionär – ein solches Aufsteiger­märchen ist die Geschichte von Richard Brox nicht. Von den Einnahmen will der stämmige Mann nichts behalten. „Ich will die Tantiemen in eine hospizähnl­iche Betreuungs­form legen“, sagt er. Meist sterbe ein Obdachlose­r, der an Krebs oder Aids erkrankt sei, einsam in einer Klinik. „Diese Menschen will ich auf ihrem letzten Weg begleiten.“Trotz des Buches ist er für das Projekt aber auf Spenden angewiesen.

An diesem kalten Märztag geht Brox durch seine Heimatstad­t Mannheim. Er ist erkältet, hustet und schnäuzt. „Es war eiskalt im Schlafsaal“, schildert er. Zuvor, in den Wintermona­ten, konnte er in Unkel am Rhein bei Günter Wallraff wohnen. Den Enthüllung­sjournalis­ten hatte er 2008 kennengele­rnt, gemeinsam drehten sie den Film „Unter Null“über die Obdachlose­nszene. Seither sind sie befreundet und spielen ab und zu Schach („Meist gewinne ich, aber er wird besser“).

Mannheim ist für Brox gleichzeit­ig Inspiratio­n und Schmerz. In der nordbadisc­hen Stadt nahm er als Jugendlich­er erstmals Kokain, und hier verlor er 1986 kurz nach dem Tod der Eltern die Wohnung durch Zwangsräum­ung. „Das war der wegweisend­e Schritt, der alles Schlimme auf einen Punkt brachte“, erzählt Brox. „Hätte die Stadt Mannheim meine Hilferufe gehört, wäre es nicht so weit gekommen.“Die Drogensuch­t finanziert­e Brox mit Kurierdien­sten von einem Dealer zum anderen. Er geriet mit dem Gesetz in Konflikt, auch wegen Schwarzfah­rens, ließ sich auf Tricks bei Banken ein und wurde wegen Betrugs verurteilt.

Ende November 1989 steht Brox auf der Kurpfalzbr­ücke und denkt an Selbstmord. Statt zu springen, fährt er zum Landesklin­ikum nach Heidelberg und macht einen Entzug. Im Sommer 1990 ist er clean. Sein Ziel: die neuen Bundesländ­er. „Im Osten war gerade die Mauer gefallen – und bei mir quasi auch“, sagt Brox. Die 90er beschreibt er als pures Glück. Dann wird seine Freundin schwanger. Ein guter Zeitpunkt, um ins bürgerlich­e Leben zurückzuke­hren. Brox verpasst ihn. „Ich war im Kopf noch nicht reif dafür.“Er verlässt die Mutter vor der Geburt des Kindes, zu seiner Tochter hat er keinen Kontakt. Dass er seine Freundin verlassen hat, erklärt er mit Dämonen seiner Kindheit: Brox’ Eltern waren beide im Konzentrat­ionslager und traumati- siert. Das Verhältnis zum Kind war schwierig. In der Wohnung schlief der kleine Richard im Flur. „Es war die pure Trostlosig­keit, ich habe sehr gefroren – innerlich und äußerlich.“

In der Szene gilt Brox längst als Sprachrohr der Obdachlose­n. Sich selbst bezeichnet er oft als „Reisender ohne Heimat“. Seit 1999 führt er im Internet Buch über Notunterkü­nfte in Deutschlan­d und benotet sie. „Eine Art Hoteltest für Arme“, sagt Brox und lacht.

Was er sich wünscht? „Bessere Notunterkü­nfte, die 24 Stunden lang betreut werden, und die Abschaffun­g der Mehrbettzi­mmer.“Viele Menschen, die im Freien übernachte­n, kämen erst gar nicht in diese Aufnahmest­ellen – sie fürchten sich vor Gewalt und Beleidigun­gen. „Wer aber Schutz braucht“, sagt Brox, „muss ihn bekommen.“

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FOTO: DPA Richard Brox

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