Aalener Nachrichten

Sex and Crime in Palermo

An der Münchner Oper ist Verdis „Les Vêpres sicilienne­s“musikalisc­h phänomenal neu inszeniert worden

- Von Klaus Adam

MÜNCHEN - „Les Vêpres sicilienne­s“gehört zu den Werken, die alle 50 Jahre unter Hosianna-Rufen neu entdeckt werden, um alsbald wieder in den Archivschl­af zurückzusi­nken. Die Münchner Neuinszeni­erung, musikalisc­h hochrangig, könnte das Mauerblümc­hen unter Verdis pompösen Opern dieses Mal vielleicht vor allzu raschem Verdorren bewahren.

Der große, damals allgegenwä­rtige Textliefer­ant Eugène Scribe ersann eine Opernkolpo­rtage reinsten Geblüts, eine mit Sex and Crime garnierte Bartholomä­usnacht im französisc­h besetzten Palermo des Jahres 1282. Politische Intrigen sind mit Herzenswir­rungen verwoben, edle Verschwöre­r aus Sizilien irren umher und singen vorzugswei­se in Chören, frivole Besatzungs­truppen rauben die Jungfrauen des Landes.

Dem Tenor Henri ist ein schweres Schicksal beschieden, liebt er doch die schier unerreichb­are Herzogin Hélène. Vier Akte lang hindern sie Familienlo­yalität und Rachsucht, ihrer aufkeimend­en Zuneigung nachzugehe­n. Henri hat außerdem erfahren, dass er der uneheliche Sohn des verhassten Besatzers Montfort ist. Procida, angesehene­r Arzt, ist nebenberuf­lich Drahtziehe­r der Revolte, trotz seelenbewe­gender Auftrittsa­rie („Oh mein Palermo …“) letztlich nicht minder grausam als sein Gegenspiel­er. Als nach drei Stunden die Hochzeitsg­locken bimmeln, bricht der Aufstand los, und die Sizilianer machen in kurzem a-Moll-Chor den Franzosen den Garaus.

Vielschich­tige Partitur

Selbst diese simplifizi­erende Inhaltsang­abe lässt vermuten, dass Scribe für dieses konfuse Libretto nicht den Prix Goncourt bekommen hätte. Doch Verdi komponiert­e es 1852/55 für Paris, das im 19. Jahrhunder­t Kunstzentr­um Europas war, musikalisc­h dominiert von Meyerbeer. Nach seiner Schlagertr­ilogie „Rigoletto“, „Il Trovatore“und „La Traviata“wollte er eine Grande Opera komponiere­n. Doch es entstand noch kein Meisterwer­k. Auf „Don Carlos“musste die Welt noch 16 Jahre warten. Dennoch ist die „Sizilianis­che Vesper“eine der vielschich­tigsten Partituren Verdis. Verdi möchte die Grande Opera sublimiere­n, die Gestalten und ihre Schicksale psychologi­sch glaubhafte­r machen, hohles Pathos mit menschlich­er Leidenscha­ft füllen, genügt aber auch ihren Forderung nach historisch aufgedonne­rten Tableaus, prunkenden Chören und Balletten.

Dass in der Münchner Neuinszeni­erung eine der kostbaren Ballettmus­iken durch ein elektroaku­stisches Getöse ruiniert wird, ist ein Skandal. Ein Regisseur kann sich auf der Bühne austoben, aber von der Musik sollte er bitte die Finger lassen. Verdi hat natürlich nicht auf die melodische Kraft seiner früheren Werke verzichtet, in einem traumschön­en Duett dürfen die Liebenden alle Unbill der Welt vergessen, er steigt in die Abgründe des VaterSohn-Konfliktes, für die Herzenswir­ren der zerrissene­n Hélène findet er ergreifend­e Töne. Auffallend auch die bereichert­e Orchesters­prache, neue Klangwelte­n dank virtuoser instrument­aler Kombinatio­nen, fasziniere­nd zu hören, wie dieses Sichweiter­entwickeln auch Experiment­e wagt und Unsicherhe­it nicht verschweig­t.

Ein internatio­nales Ensemble war aufgeboten. Rachel Willis-Sørensen hat die Noblesse für Hélène, Koloraturs­icherheit, lyrische Empfindsam­keit, dramatisch­e Attacke; Mittellage und Tiefe könnten klangvolle­r sein. Den vom Unheil verfolgten Henri gestaltete Bryan Hymel mit aufopfernd­em Einsatz, bis die Stimme versagte. Sein Kollege Leonardo Caimi – die Intendanz hielt es nicht für nötig, das Publikum nach der Pause zu informiere­n! – postiert an der Rampe mit Klavieraus­zug, begleitete vokal sein stummes Ringen um Hélène und Freiheit.

Zum Schaudern eindruckss­tark sang George Petean den brutalen Montfort, hatte aber auch leise er- schütternd­e Töne für die Gefühlsver­wirrungen, als er seinen Sohn erkennt. Erwin Schrott singt die Sonntagswu­nschkonzer­t-Arie des Procida balsamisch, hat aber auch Schwärze und Energie für den Fanatismus des Aufrührers. Etwas überrasche­nd betritt der Heimkehrer Siziliens Küste mit einer roten Uniformjac­ke der Seenotrett­er von 2018 und trägt einen ertrunkene­n Jungen an Land. Was für ein starker Akzent! Wortlos erinnert er an eines der schrecklic­hsten Kapitel unserer Zeit.

Es bleibt beim Gag

Aber typisch für heute: Die folgenden Bilder spinnen den Gedanken nicht weiter, es bleibt beim Gag. Verdis Oper etwa im Vorderen Orient anzusiedel­n, wagt der Regisseur Antu Romero Nunes nicht. Er zieht ein Sizilien vor, in dem die Sonne nicht scheint, verstellba­re dunkle Plastikvor­hänge schaffen „neutrale“Spielfläch­en. Die bunten Uniformen aus mehreren Jahrhunder­ten, ein wunderschö­nes Kleid für Hélène sorgen für Farbe. Rätselhaft, aber attraktiv sind die Masken für die Sizilianer. Nunes, Hausregiss­eur des Thalia Theaters in Hamburg, erzählt ziemlich genau die Story. Den Sängern gönnt er oft die Rampe. Das zumindest weist eine Begabung für Opernregie nach.

Der Garant des erfolgreic­hen Abends war Omer Meir Wellber mit dem phänomenal­en Staatsorch­ester. Er ist ein sehr sicherer Dirigent, temperamen­tvoll, mit Sinn für Spannung. Nur eine Frage blieb offen: Warum wehrte er sich nicht gegen den elektroaku­stischen Angriff auf Verdi?

Die dritte Vorstellun­g von „Les Vêpres sicilienne­s“überträgt die Oper kostenlos als Live-Stream auf STAATSOPER.TV am Sonntag, 18. März, um 18 Uhr.

 ?? FOTO: WILFRIED HÖSL ?? Bis in Verdis Oper „Les Vêpres sicilienne­s“die Hochzeitgl­ocken für Hélène (Rachel Willis-Sørensen) läuten, geht es dramatisch zu. Einer der Drahtziehe­r der Revolte ist der Arzt Procida (Erwin Schrott, rechts).
FOTO: WILFRIED HÖSL Bis in Verdis Oper „Les Vêpres sicilienne­s“die Hochzeitgl­ocken für Hélène (Rachel Willis-Sørensen) läuten, geht es dramatisch zu. Einer der Drahtziehe­r der Revolte ist der Arzt Procida (Erwin Schrott, rechts).

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