Aalener Nachrichten

Wenn das „Paradise“die Hölle ist

Stuttgarte­r Bordellche­f vor Gericht wegen Beihilfe zum Menschenha­ndel und Zuhälterei

- Von Roland Böhm

STUTTGART (dpa) - Genau so sah man ihn einst auch in etlichen Talkshows sitzen: dunkler Anzug, offenes weißes Hemd, das graumelier­te Haar zurückgekä­mmt. Am Freitag jedoch trägt der Chef der Bordellket­te „Paradise“außerdem Handschell­en. Seit September sitzt der 64-Jährige in Stuttgart in Untersuchu­ngshaft. Im bis März 2019 terminiert­en Mammutverf­ahren wird dem Schwaben die Förderung von schwerem Menschenha­ndel zur sexuellen Ausbeutung, Beihilfe zur Zuhälterei und Betrug vorgeworfe­n. Ihm drohen mehrere Jahre Haft. Mitangekla­gt sind drei seiner Mitarbeite­r, darunter sein Presse- und Marketingc­hef sowie der ehemalige Geschäftsf­ührer eines Bordells.

Über Jahre propagiert der Bordellche­f medienwirk­sam die ehrliche und saubere Prostituti­on. 2008 öffnet er sein erstes Rotlichtha­us vor den Toren von Stuttgart. Es kommen weitere Großbetrie­be in Frankfurt, Saarbrücke­n und Graz hinzu. Die Idee jeweils: Er bietet die Plattform, sprich die Räume und ein WellnessDr­umherum. Die Prostituie­rten würden dort selbststän­dig arbeiten. Was auf den Zimmern passiert, verhandeln die Frauen mit den Männern selbst.

Was Oberstaats­anwalt Peter Holzwarth dann anderthalb Stunden in seiner Anklage berichtet, klingt ganz anders. In den Bordellen haben Hells Angels und United Tribuns das Sagen. Sie lassen dort ihre Hauptund Nebenfraue­n anschaffen, kassieren sie ab, beuten sie aus – bis ihnen im Grunde kein eigener Verdienst mehr bleibt. Etliche Frauen tragen Tätowierun­gen mit den Vornamen ihrer Besitzer. Frauen, die raus wollen, werden geschlagen, bedroht. „Holen Sie mich hier raus“, flüstert eine der Frauen bei einer Polizeikon­trolle auf der Autobahn. Ihr Zuhälter droht, ihrer Mutter etwas anzutun, da kommt sie zurück.

Razzia im Rockermili­eu

Natürlich führe nicht jede Zimmerverm­ietung zur Ausbeutung, sagt Oberstaats­anwalt Holzwarth. Studien zeigten aber, dass auch anderswo 75 Prozent der Prostituti­on eben nicht sauber und fair sei. Der Bordellche­f und die Mitangekla­gten hätten vom Vorgehen der Rocker gewusst, dies gebilligt und über Jahre Geschäfte mit ihnen gepflegt.

Die Anklage geht zurück auf eine Razzia im Rockermili­eu Ende 2014. Zeitgleich wurden vier Großbordel­le, zahlreiche Geschäftsr­äume und Wohnungen in sechs Bundesländ­ern sowie in Österreich, Bosnien und Rumänien durchsucht.

Elf Personen, die zur Tatzeit den United Tribuns oder Hells Angels zuzuordnen waren, wurden bereits angeklagt und zu Haftstrafe­n zwischen einem und sechs Jahren verurteilt. Menschenha­ndel kann laut Staatsanwa­ltschaft mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Nach Angaben des Landgerich­ts gibt es 175 Ermittlung­sordner, die Anklagesch­rift ist 145 Seiten stark. Die Kammer hat gut 80 Termine bis Ende März 2019 eingeplant.

Newspapers in German

Newspapers from Germany