Kann das Internet süchtig machen?
Suchtberater Nikolas Danzinger klärt über die Gefahren der neuen Medien auf
AALEN - Mal eben nebenbei Mails checken, den Facebook-Status aktualisieren, bei Instagram ein Foto posten: Der Blick aufs Smartphone ist selbstverständlich geworden. Vor allem Jugendliche chatten in ihrer Freizeit gerne mit Freunden, posten Neuigkeiten auf Snapchat oder verfolgen Videos bei Youtube. Das kann süchtig machen. Eine halbe Million Menschen in Deutschland gelten laut einer Studie als onlinesüchtig. Auch im Ostalbkreis gibt es immer mehr Menschen, die von Online-Angeboten abhängig sind, sagt Nikolas Danzinger, Fachbereichsleiter der Psychosozialen Beratung für Suchtkranke beim Kreisdiakonieverband Ostalbkreis. Unsere Redakteurin Anja Lutz hat nachgefragt, welche Gefahren die neuen Medien mit sich bringen.
Was genau ist Mediensucht?
Ein Buch zum Thema definiert Internetabhängigkeit so: „Internetabhängigkeit ist die Unfähigkeit von Individuen, ihre Internetnutzung zu kontrollieren, wenn dieses zu bedeutsamen Leiden oder Beeinträchtigung der Funktionalität im Alltag führt.“Mediensucht ist noch kein eigenständiges Krankheitsbild. 1995 hat der Psychologe Aaron Goldberg erstmals auf das Problem aufmerksam gemacht. Er wurde damals verlacht. Heute wissen wir, dass Mediensucht, ähnlich wie die Spielsucht, die mittlerweile als Krankheit anerkannt ist, eine Abhängigkeit ist. Auch wenn es bisher keine feste Diagnose gibt, gibt es doch Hilfsmöglichkeiten für die Betroffenen.
Wer ist betroffen?
Mediensucht durchzieht unsere ganze Gesellschaft, betroffen sind Frauen und Männer, alte und junge Menschen. Jugendliche sind natürlich besonders gefährdet, weil sie gerade dabei sind, sich selbst zu finden. Im Inneren durchleben sie Orientierungskrisen, Selbstzweifel, im Äußeren müssen sie erfolgreich und angepasst sein. Grundsätzlich kann man sagen, dass wir in einer Suchtgesellschaft leben. Es gibt viele einsame Menschen, die mit unserer Leistungsgesellschaft nicht klarkommen. Diese sind besonders gefährdet.
Wie kann eine Online-Sucht entstehen?
Aus Problemen oder Schicksalsschlägen kann eine Sucht entstehen. Die Online-Welt bietet eine schnelle Bedürfnisbefriedigung in vielen Bereichen. Man kann gleichzeitig spielen, Nachrichten aus aller Welt empfangen, eine Pizza bestellen, seine sexuellen Gelüste ausleben,, ohne sein eigenes Schneckenhaus zu verlassen. Trotzdem ist diese Befriedigung nicht langfristig. Im Internet zeigt man immer eine optimierte Version von sich, Kontakte gehen nicht in die Tiefe. So wird die ursprüngliche Leere, die der Betroffene hatte, nicht gefüllt. Stattdessen werden negative Gefühle immer weiter verstärkt, je mehr man sich der Online-Welt hingibt. Die Dosis wird immer weiter gesteigert, bis man sich fühlt wie ein Hamster im Laufrad und nicht mehr aufhören kann.
Was macht im Internet abhängig?
Das können die verschiedensten Angebote sein. Diese reichen von Online-Rollenspielen, über Ego-ShooterSpiele und einem zwanghaften Recherchieren oder Onlineshoppen bis hin zu sozialen Netzwerken oder Erotik- und Onlinepornographie. Bei Online-Rollenspielen kann der Spieler eine Wunschrolle oder eine Wunschwelt aufbauen. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Spielern erhält man Anerkennung, aber auch Druck. Die neuen Medien ma- chen also abhängig, weil sie entgegen von Buch und Fernsehen Kommunikation und Beziehung ermöglichen. In sozialen Netzwerken kann jeder seine Meinung kundtun oder von sich erzählen. Selbstdarstellung und positives Feedback der anderen Nutzer können abhängig machen. Bei „Likes“werden Glückshormone ausgeschüttet, das passiert auch beim Konsum von Drogen. Danach kann man süchtig werden. Wie beim Alkoholiker beim Anblick einer Flasche Bier kann also auch beim Facebookoder Instagram-Junkie jeder Reiz wie „Likes“oder Kommentare kurzfristig heftige Reaktionen im Belohnungssystem auslösen.
Woran erkennt man, ob jemand abhängig ist?
Es ist schwierig, eine Sucht danach, zu definieren, wie lange jemand am Tag online ist. Nur weil ein junger Mensch mehrere Stunden am Tag beispielsweise ein Rollenspiel spielt, ist er noch nicht süchtig. Junge Leute brauchen Möglichkeiten, um sich auszuprobieren. Da kann es auch Phasen geben, in denen sie zum Beispiel exzessiv Onlinespiele konsumieren oder Filme schauen. Problematisch wird es, wenn sozialer Rückzug und Vermeidungstendenzen entstehen. Wenn also die Angst vor der Realwelt zunimmt. Treten Entzugserscheinungen wie Schweissausbrüche, Unruhe oder Schlafstörungen oder gar depressive Verstimmungen auf, ist Vorsicht geboten. Dann besteht die Gefahr, dass Betroffene aufgrund ihrer Sucht den Kontakt zu Familie oder Freunden verlieren oder ihre Ziele wie Beruf oder Ausbildung nicht mehr verfolgt werden.
Was können Eltern tun, wenn sie glauben, ihr Kind ist süchtig?
Ein Verbot der Online-Angebote ist keine Lösung. Stattdessen sollte man die Sonnen- und Schattenseiten des Tuns ansprechen. In der Suchtberatung suchen wir zunächst nach Ursachen. Der Klient stellt sich Fragen wie „Wo stehe ich gerade?“, „Ist das, was ich tue, gut für mich?“. Der Süchtige muss verstehen lernen, welche Nebenwirkungen seine Sucht hat und welche Dynamiken in Gang gesetzt werden. Er muss lernen, dass es ok ist, wenn man nicht alles im Griff hat, und dass Angst und Scheitern zum Leben in der Realwelt dazugehören. Betroffene und Angehörige sind herzlich eingeladen, bei Problemen und Fragen unsere Beratungsstelle aufzusuchen.