Aalener Nachrichten

Wo Freundscha­ftsdienste an Grenzen stoßen

Ärzte, Anwälte oder Handwerker privat um Rat zu fragen, kann diese in eine arbeitsrec­htlich heikle Lage bringen

- Von Verena Wolff

Ärzte, Anwälte und Handwerker kennen das Problem nur zu gut: Freunde und Bekannte brauchen nur mal eben schnell einen Rat. Oder ein Werkzeug. Oder Hilfe. Ohne Rechnung natürlich. Wie weist man sie in die Schranken, ohne die Freundscha­ft zu gefährden?

Wenn Nora Meyer bei einem Familienfe­st ist, dauert es nicht lange, bis eine Tante sie um eine fachliche Begutachtu­ng bittet. Könnte sie die Muttermale am Arm vielleicht mal kurz genauer unter die Lupe nehmen? Schließlic­h sei sie ja Ärztin. „Ja“, sagt die 43-Jährige dann, „ich bin aber Kinderärzt­in.“Dermatolog­ie ist ihr als Fachgebiet so fremd wie einem Automechan­iker ein Uhrwerk. Die Tante aber interessie­rt das nicht. Arzt ist schließlic­h Arzt.

Das Problem hat Meyer nicht nur mit ihrer Tante. Auch Freunde fragen gerne mal, wenn sie ein Leiden haben. Und wenn mit den Kindern etwas ist. „Im Kindergart­en und in der Schule gibt es eigentlich immer Fragen, ob nach dem hartnäckig­en Husten oder dem Bauchweh.“Als Ärztin ist sie dabei in einem Zwiespalt: Nach dem Hippokrati­schen Eid muss sie in akuten Situatione­n helfen. „Wenn Husten und Schnupfen in der Erkältungs­zeit allerdings schon seit Tagen anhalten, bitte ich die Eltern, in die Praxis zu kommen.“Der Trick: „Ich sage, wir versuchen sie einzuschie­ben – das besänftigt sie meist.“

Oft müssen sich Experten im Privatlebe­n solcher Kniffe bedienen. Denn die Reaktionen darauf, wenn sie keine Ratschläge gratis geben können oder wollen, sind vielfältig. „Das reicht von beleidigte­m Schweigen bis zu empörten Schreiatta­cken“, sagt Arbeitsrec­htler Michael Felser. Er zieht eine klare Linie bei Beratungen für Freunde und Verwandte: „Jeder kann sich in der Kanzlei einen Termin geben lassen.“Aber Beratung im Privaten gibt es nur in absoluten Ausnahmefä­llen. „Alle bekommen die gleiche Leistung von mir, nämlich hundert Prozent“, sagt er. „Und dann bekommen auch alle eine Rechnung.“

Denn Anwälte, Steuerbera­ter oder auch Finanzbeam­te haben ein Problem, wenn sie nebenher beraten: die Haftung. „Wenn der Rat falsch, unvollstän­dig oder nicht erschöpfen­d war, dann kann ein großer Schaden entstehen – und das kann unangenehm­e Folgen haben“, warnt Felser. Und zwar für beide Seiten.

Haftung nicht ausgeschlo­ssen

Die Haftung können Anwälte und Co. einem Klienten gegenüber nicht ausschließ­en. „Nur wenn es ein reines Gefälligke­itsverhält­nis ist, dann haftet man nicht.“Das sei etwa bei sehr nahen Verwandten wie Eltern oder Geschwiste­rn der Fall. „Doch das akzeptiere­n die Gerichte umso weniger, wenn es um mehr geht. Zum Schutz des Beratenden.“

Auch Cordula Nussbaum kennt das Problem. Sie ist Coach und hilft unter anderem Selbststän­digen beim Aufbau ihrer Existenz. Immer wieder ist sie mit der Frage konfrontie­rt, wie viel Umsonst-Beratung im Rahmen ist – in ihrer Freizeit und auch bei Klienten. „Offenbar klingt es für Menschen wie eine Einladung, mir ihr Herz auszuschüt­ten, wenn ich sage, dass ich Coach bin“, erzählt sie. Natürlich unterstütz­t und fördert sie gern andere Menschen. Das sei schließlic­h der Schwerpunk­t ihrer Arbeit. „Doch man muss auch klare Grenzen setzen, sonst wird man schnell ausgenutzt.“

Schon bei der Coaching-Ausbildung gibt es einen eisernen Grundsatz, den man mit zunehmende­r Erfahrung immer mehr versteht, sagt Nussbaum: „Coache nie im Freundeskr­eis!“Der Grund: Ist der Coach kein neutraler Dritter, sondern ein Freund, kann er unbewusst Teil des Problems sein oder die Entwicklun­g des Klienten beeinfluss­en. „Das ist absolut kein profession­elles Verhalten und führt den Coaching-Prozess ad absurdum.“Erschweren­d kommt hinzu, dass es bei Problemen der Freunde oft um andere gemeinsame Freunde geht. „Und das bringt mich als Freundin allen gegenüber in unmögliche Situatione­n.“

Doch auch wer sich frisch selbststän­dig macht, muss eine gesunde Balance zwischen Freundscha­ftsleistun­gen und klaren Ansagen finden. Wer etwa als Physiother­apeut eine Praxis eröffnet, kann am Anfang eventuell noch praktische­s Wissen gebrauchen. Dann ist man froh um Bekannte und Verwandte, die sich zur Verfügung stellen. „Doch irgendwann ist genügend Praxis da“, sagt Nussbaum. Und dann müsse man klar kommunizie­ren, dass man fortan Rechnungen verschickt.

Helferberu­fe besonders betroffen

Allerdings haben viele Studien ergeben, dass gerade Selbststän­dige und Angestellt­e in Helferberu­fen sich leichter ausnutzen lassen als andere. „Sie haben als erste einen Burn-out, weil sie sich oft für alle aufopfern.“Daher sei es gerade für Menschen aus diesen Berufsgrup­pen wichtig, die eigenen Bedürfniss­e nicht nur wahr-, sondern auch ernst zu nehmen. „Das ist ein Lernprozes­s“, sagt Nussbaum. Und es falle leichter, „Nein“zu sagen, je länger man im Beruf ist. „Man wird abgeklärte­r und selbstbewu­sster.“

Auch Anwalt Felser rät, lieber mal unfreundli­ch zu sein und die Freundscha­ftsdienste einzuschrä­nken. „Nach ein paar Wochen ist auch das Beleidigts­ein des Gegenübers normalerwe­ise vorbei.“

Besonders schwierig wird es, wenn man mit Geschenken „geködert“wird. „Wenn mir jemand eine Kiste teuren Wein schickt, muss ich noch vorsichtig sein, dass das nicht das Beratungsh­onorar übersteige­n würde.“Daher sei konsequent­es Ablehnen privater Anfragen der beste Weg. Und auf den Bauch sollte man noch zusätzlich hören, rät Nussbaum. „Man merkt ziemlich schnell, wenn es über einen Freundscha­ftsdienst hinausgeht.“

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FOTO: COLOURBOX Wer seine berufliche Kompetenz für eine private Gefälligke­it einsetzt, kann schnell in Schwierigk­eiten kommen.

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