Es geht nicht nur ums Geld
Azubis brechen oft ab, weil sie falsche Vorstellungen und mehrere Stellen zur Auswahl haben
BERLIN - Die Abbrecherquote unter Deutschlands Auszubildenden ist mit 25,8 Prozent auf den höchsten Stand seit Anfang der 1990er-Jahre gestiegen. Das geht aus dem Entwurf des Berufsbildungsberichtes hervor, der der „Schwäbischen Zeitung“vorliegt und in der kommenden Woche im Bundeskabinett auf den Tisch kommt. Am höchsten ist der Abbrecher-Anteil vielfach dort, wo die Ausbildungsvergütung gering ist. Tobias Schmidt und Anna Kratky erklären, was hinter den Zahlen steckt.
Wie hat sich die Abbrecherquote entwickelt?
2016 wurden 146 376 Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst. Mit einer Quote von 25,8 Prozent stieg diese seit Beginn der 1990er-Jahre erstmals über die üblichen 20 bis 25 Prozent. Dabei gibt es je nach Branche erhebliche Unterschiede. 96 Prozent der Lehrlinge, die Verwaltungsfachangestellte werden wollen, schließen ihre Ausbildung ab. Bei Sicherheitsfachkräften werfen dagegen etwa 50 Prozent der Auszubildenden das Handtuch, gleiches gilt bundesweit für angehende Köche, Restaurantfachkräfte oder Friseure.
Welche Erklärungen gibt es?
„Dort wo die Vergütung besonders niedrig ist, sind die Abbrecherquoten extrem hoch“, erklärte Elke Hannack, Vizevorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes. „Viele steigen vorher aus, da sie mit der kargen Vergütung nicht über die Runden kommen.“Zum Vergleich: Ein Fleischerlehrling verdient im ersten Ausbildungsjahr 310 Euro, ein Friseur 406 Euro, die Abbrecherquote liegt bei knapp 40 beziehungsweise knapp 50 Prozent. Allerdings liegt es nicht immer am Geld. „Das ist selten der Grund für einen Abbruch“, sagt Veronika Thanner von der Handwerkskammer Ulm. So liegt laut ihr das Gehalt von Maurerlehrlingen weit über dem anderer Lehrberufe. Sie zählen bei den Abbrecherquoten aber auch zur Spitzengruppe. Schornsteinfeger bleiben hingegen fast immer bei der Stange, obwohl sie mit 450 Euro im ersten Jahr besonders gering vergütet werden. Der Deutsche Industrieund Handelskammertag (DIHK) wirft dem DGB deswegen eine verzerrte Darstellung vor. „Wichtig ist, dass die Menschen, die eine Ausbildung beginnen, gut orientiert sind“, sagt Thanner. Als weiteren Grund, weswegen Auszubildende ihre Ausbildung abbrechen, nennt Thanner die Zahl der verfügbaren Ausbildungsplätze. „Je mehr Optionen jüngere Menschen haben, desto eher sind sie versucht, sich nochmal anderweitig umzuschauen, falls etwas nicht passt“, sagt sie. „Heute wechseln die Auszubildenden eher ihre Plätze, da es einfach mehr Stellen gibt als früher“, sagt auch Tanja Haas von der IHK Schwarzwald-BaarHeuberg. Der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Holger Schwannecke, führt die steigende Abbrecherquote auch auf die geänderte Einstellung der Azubis zurück. Vor zwanzig Jahren hätte sie einfach länger durchgehalten und bei den ersten Problemen nicht gleich nach einer neuen Stelle Ausschau gehalten.
Wie kann man gegensteuern?
Die neue Bundesregierung will für eine Art Mindestlohn für Azubis sorgen. Die „Mindestausbildungsvergütung“soll zum 1. Januar 2020 in Kraft treten, heißt es im Koalitionsvertrag. Zahlen werden nicht genannt. Von den 1,34 Millionen Lehrlingen verdienten im vergangenen Jahr 31 500 weniger als 500 Euro im ersten Ausbildungsjahr. Die Wirtschaft stemmt sich energisch gegen den Plan und sieht darin einen Eingriff in die Tarifautonomie. Regionale und Branchenunterschiede „über einen Leisten zu scheren“, würde „mehr Schaden anrichten als helfen“, warnt ZDH-Generalsekretär Schwanne-cke. Die Wirtschaft fordert seit Jahren von den Schulen, die Schüler besser auf den Beruf vorzubereiten, damit sie bei der Wahl eines Ausbildungsplatzes wissen, was sie erwartet. Die neue Regierung kündigt in ihrem Koalitionsvertrag eine entsprechende Initiative gemeinsam mit den Ländern an und will Berufsvorbereitung auch an allen Gymnasien zur Pflicht machen. Die Handwerkskammer Ulm versucht den Auszubildenden auch während ihrer Ausbildung mithilfe sogenannter Ausbildungsbegleiter unter die Arme zu greifen. „Wenn wir mitbekommen, dass Azubis im Betrieb zum Beispiel zwischenmenschliche Schwierigkeiten haben oder einfach damit, früh aufzustehen, versuchen wir, das aufzufangen und sie zu begleiten“, sagt sie.
Können ausländische Lehrlinge den Azubi-Notstand abmildern?
Auf die 520 000 Neuverträge des vergangenen Jahres entfielen laut Bundesagentur für Arbeit 9500 auf Flüchtlinge. Von einem „Tropfen auf dem heißen Stein“spricht ZDH-Generalsekretär Schwannecke. Da durch den demografischen Wandel heute jährlich mehr als 100 000 Jugendliche weniger die Schulen verlassen als vor 20 Jahren, stellen sich die Unternehmen auf einen dauerhaften Bewerbermangel ein.
Wie ist es um den Ausbildungsmarkt bestellt?
Aus Sicht der Lehrlinge positiv: Die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge hat sich bis zum Stichtag 1. September 2017 mit insgesamt 520 000 erstmals seit 2011 leicht erhöht. Bitter aus Sicht der Betriebe. Bei den unbesetzten Stellen ging die Zahl um 13 Prozent auf 49 000 deutlich nach oben, ein Höchstwert seit 1995. Vor allem kleine Firmen finden keine Bewerber mehr, 80 Prozent von ihnen bieten deswegen keine Stellen mehr an. Zugleich blieben 24 000 Bewerber ohne Ausbildungsplatz.