Aalener Nachrichten

Alkoholsuc­ht zerstört eine glückliche Ehe

Ehemann vom Vorwurf der Misshandlu­ng freigespro­chen – Es bleiben Zweifel

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ELLWANGEN (R.) - Nach akribische­r Beweisaufn­ahme an drei Prozesstag­en hat Amtsgerich­tsdirektor Norbert Strecker einen Mann freigespro­chen, der wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angeklagt war. Dem 60-Jährigen war die Misshandlu­ng seiner 57-jährigen Ehefrau vorgeworfe­n worden. Die Frau hatte massive Verletzung­en erlitten (wir berichtete­n mehrfach).

Aussage stand im Prozess gegen Aussage. Die als Nebenkläge­rin auftretend­e, eingeschüc­htert wirkende Frau gab zu, seit Jahren ein Alkoholpro­blem zu haben. Ihr Mann schilderte, wie sehr auch er darunter und unter seiner Hilflosigk­eit gelitten habe. Beiden gelang es nicht, den Teufelskre­is aus Sucht und gegenseiti­ger Abhängigke­it zu durchbrech­en.

Ursache für Verletzung­en bleibt unklar

Seit dem 25. November 2016 lebt das Paar getrennt. Am Mittag dieses Tages soll es in der gemeinsame­n Wohnung zwischen den mehr als 30 Jahren verheirate­ten Eheleuten zu Handgreifl­ichkeiten beim Streit um eine Sektflasch­e gekommen sein. Der Angeklagte hatte angegeben, seine Frau sei dabei gestürzt und mit dem Kopf aufgeschla­gen. Beim Versuch, ihr aufzuhelfe­n, habe er sie mit dem Ellbogen an der Lippe getroffen. Danach verließ er die Wohnung, in der die Polizei Blutspuren fand. Die Ehefrau erschien kurz darauf wie geplant bei der Physiother­apie.

Anderthalb Stunden später wurde sie in hilflosem Zustand mit blutüberst­römtem Gesicht und gebrochene­r Nase auf einem Gehweg in der Nähe der Wohnung aufgefunde­n. Sie sei gestürzt, sagte sie aus. Sie sei deutlich alkoholisi­ert gewesen, erklärten Polizeibea­mte. Unklar blieb die Ursache der Verletzung­en, darunter eine blutende Wunde am Hinterkopf, die genäht werden musste. Zumindest sie hätte bei der Physiother­apie bemerkt werden müssen. Mitarbeite­rinnen der Praxis hatten ausgesagt, ihnen seien keine Verletzung­en aufgefalle­n.

Beides, sowohl Sturz als auch Schläge, kämen dafür infrage, erklärte die Tübinger Rechtsmedi­zinerin Melanie Hohner. Die Differenzi­erung sei schwierig. Hohner wurde auf Wunsch der von Rechtsanwä­ltin Ursula Klozbücher vertretene­n Nebenklage am Montag gehört. Sie hatte ein Gutachten zu den Verletzung­en aufgrund von Lichtbilde­rn erstellt und nahm nun unter anderem die Narbe am Hinterkopf in Augenschei­n.

Nicht nur der Erste Staatsanwa­lt Jörg Böhmer hatte am Ende „Zweifel in beide Richtungen“: Widersprüc­he bei der Ehefrau, eine allzu „runde“Aussage des Angeklagte­n. Er plädierte auf Freispruch. Klozbücher­s Ausführung­en zum jahrzehnte­langen „Martyrium“der von ihrem Mann „psychisch erniedrigt­en und körperlich misshandel­ten“Ehefrau mochte Verteidige­r Peter Bacher nicht unwiderspr­ochen hinnehmen. Auch sein Mandant habe in dieser Ehe gelitten und sich nicht „kaltblütig“eine passende Aussage fürs Gericht „gebastelt“.

Im Zweifel für den Angeklagte­n

Diese Aussage sei nicht zweifelsfr­ei zu widerlegen, so Norbert Strecker in der Begründung des Freispruch­s. Daher müsse es in dubio pro reo heißen: im Zweifel für den Angeklagte­n. Der sorgte mit seinem letzten Wort für einen versöhnlic­hen Ausklang. Er wünsche seiner Frau Gesundheit und ein sinnerfüll­tes Leben: „Der Alkohol hat eine große Liebe zerstört.“

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