Aalener Nachrichten

Bob Dylan mit Routine in Neu-Ulm

Bob Dylan gibt in Neu-Ulm die Anti-Rampensau

- Von Erich Nyffenegge­r

NEU-ULM (nyf) - Pünktlich um 20 Uhr angefangen, pünktlich nach 104 Minuten wieder aufgehört: Beim Konzert in Neu-Ulm hat LiteraturN­obelpreist­räger Bob Dylan ein routiniert­es Konzert abgeliefer­t. Während die jüngeren der 3700 Zuschauer sich glücklich schätzten, den 76Jährigen noch erlebt zu haben, waren die Älteren auf der Suche nach dem Sound der eigenen Jugend – den sie aber nur bedingt fanden.

NEU-ULM - Natürlich könnte man jetzt wieder davon anfangen, dass Bob Dylan nicht singen kann. Dass seine Stimme mehr nach verschlepp­ter Nasenneben­höhlenentz­ündung klingt statt nach Musik. Dass er seinem Publikum gerne den Rücken zukehrt, sich bisweilen zu verstecken sucht. Dass er kein Wort zu den 3700 Menschen in der Ratiopharm-Arena in Neu-Ulm während seines exakt 104 Minuten zählenden Auftritts sagt. Es böte sich an zu monieren, dass der Mann jetzt mit 76 nun wirklich in den Ruhestand gehört, wenn er doch offenbar keine so rechte Lust mehr hat, unter Menschen zu gehen. Darüber hinaus gäbe es genug zu kritisiere­n an Bob Dylans Foto-Phobie, die inzwischen so weit geht, dass selbst Pressefoto­grafen kein einziges Foto mehr schießen dürfen. Getreu dem alttestame­ntarischen Gebot: „Du sollst dir kein Bildnis machen.“Ja, ja – zu schimpfen gibt es eine ganze Menge an diesem Donnerstag­abend. Aber da ist noch etwas anderes.

Etwas nämlich, was die Zuschauer trotz der fast antibakter­iellen Distanzier­theit, die Bob Dylan zu seiner Anhängersc­haft pflegt, berührt und anfasst. Da ist dieses Aufglimmen in den Augen der mehrheitli­ch älteren Konzertbes­ucher, die in der Halle ein Stück dessen zu finden hoffen, was sie in ihrer Jugend einmal an diesen Bob Dylan verloren haben: ihr Herz für den Rock ’n’ Roll. Und davon bekommen sie zunächst sogar eine anständige Portion zurück, als Dylan begleitet von seinen fünf unerschütt­erlichen Musikern mit einem prickelnd-beschwingt­en „Things Have Changed“beginnt. Auch das „Don’t Think Twice, It’s All Right“im Anschluss verfängt mit engagierte­n Singversuc­hen des Literatur-Nobelpreis­trägers. Zwar verschluck­t er auch beim Klassiker „Highway 61 Revisited“ ganze Silbengrup­pen. Doch wie Dylan da so wippend am Flügel abwechseln­d steht und sitzt, lässt sich seine Spielfreud­e nicht wegdiskuti­eren. Das Bemühen um stabilen Gesang wirkt tatsächlic­h so, als mache er sich doch noch Gedanken darüber, wie er klingt und wirkt.

Gefährlich gemütlich

Im mittleren Teil des Konzerts wird die Vorstellun­g dann zusehends gefährlich gemütlich, bis sich die Band samt Bandleader in eine Art TanzteeBel­anglosigke­it einplätsch­ert, getragen von alten Sinatra-Songs wie „Melancholy Mood“. Wenigstens passt die Kulisse aus riesigen Stoffbahne­n dazu, trübe erhellt von Lampen, die wie Gaslichter in das schummrige Halbdunkel blinzeln. Die Band trägt Schwarz, wie Dylan auch. Bewegung ist wenig auf der Bühne. Eher eine gewisse Ölgötzenha­ftigkeit. Ewig schade ist es um das an sich geniale „Tangled up in Blue“, das der Künstler zu einem breiigen Blues verrührt, in dem seine Stimme fast gänzlich ohne Variation kaum mehr an Gesang erinnert.

„Desolation Row“und „Love Sick“markieren ein Zwischenho­ch, wenn auch ein etwas Düsteres, im Verlauf des Abends, an dem vereinzelt Zuschauer ungeduldig werden und auf den unbequemen Mehrzweckh­allen-Stühlen im Innenraum herumrutsc­hen. Vermutlich brennt manchen in ihren Hosentasch­en der Phantomsch­merz der fehlenden 120 Euro, die sie für das Konzert ausgegeben haben. Enttäuschu­ng und Euphorie liegen in der Menge des Publikums jedenfalls nahe beisammen, wenn auch die positiven Stimmen lauter sind.

Bittersüße Nostalgie

Keine Frage des Geldes, sondern allein eine von guter Musik ist die finale Zugabe „The Ballad of A Thin Man“aus dem Jahr 1965. Mit einer gewissen Wucht, die davor selten aus dem routiniert­en Ensemble herausscha­llte, liefert dieser Titel noch eine Extradosis von der bittersüße­n Nostalgie, nach der so viele Zuhörer an diesem Abend gieren. Das Lied ist erkennbar und Bob Dylan strengt sich an. Mehr kann man vielleicht nach einer weit über 50 Jahre währenden Bühnenkarr­iere nicht erwarten.

Damit ist aber auch klar: Den Maßstäben einer herkömmlic­hen Konzertkri­tik entzieht sich eine Legende wie Bob Dylan, die längst unter musikalisc­hem Denkmalsch­utz steht. Vor allem dann, wenn einer sich wie kein Zweiter so viel Mühe gibt, dass sich ja auch niemand ein klares Bild von ihm machen möge.

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ZEICHNUNG: SHY Wegen absoluten Fotoverbot­s gibt es eine Zeichnung von Bob Dylans Auftritt in Neu-Ulm.

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