Aalener Nachrichten

Grüne suchen neuen Kurs

Neues Grundsatzp­rogramm soll bis 2020 stehen

- Von Sabine Lennartz und dpa

BERLIN (sal/AFP) - Die Grünen debattiere­n über ein neues Grundsatzp­rogramm. Seit Freitag tagt die Partei mit ihrer neuen Doppelspit­ze Robert Habeck und Annalena Baerbock, um bei einem Konvent über künftige Leitlinien zu sprechen und sich neu zu definieren. „Wir müssen die Werte der Partei an den neuen Herausford­erungen messen“, sagte Habeck. Baerbock rief die Partei auf: „Lasst uns wieder unsere Welt retten, Zuschauen ist keine Haltung.“

Am heutigen Samstag wird in Diskussion­sforen und Workshops diskutiert. Laut Habeck gehe es dabei nicht um den nächsten Wahlkampf, sondern darum, „was virulent ist in der Gesellscha­ft“.

Fertig werden soll das neue Grundsatzp­rogramm zum 40-jährigen Bestehen der Grünen im Jahr 2020. Das erste Grundsatzp­rogramm hatte sich die Partei nach ihrer Gründung 1980 gegeben, das zweite im Jahr 2002.

BERLIN - In den Fragen steckt Zündstoff. Ist Gentechnik okay, wenn sie die Versorgung mit Lebensmitt­eln sichert? Ist Klonen erlaubt, wenn es tödliche Krankheite­n besiegt? Was ist die Nato wert, wenn die Mitglieder sich zerstreite­n und sogar zu Feinden werden? Über solche Dinge wollen die Grünen von diesem Wochenende an streiten. Bis zu ihrem 40. Geburtstag in zwei Jahren wollen sie ein neues Grundsatzp­rogramm erarbeiten. Aufgeworfe­n haben die Fragen die beiden neuen Parteichef­s, Annalena Baerbock und Robert Habeck.

600 Anmeldunge­n und ein volles Kongressze­ntrum im Westhafen in Berlin. „Sauerstoff für die Partei“sollen die Beratungen sein. GrünenChef Robert Habeck stellt gleich zu Beginn des zweitägige­n Konvents fest, das Grundsatzp­rogramm werde in einer „krass politische­n“Zeit besprochen. Ob in der S-Bahn oder sonstwo, die Leute diskutiert­en überall wieder über Politik.

Nicht nur Parteimitg­lieder, sondern auch Vertreter von Verbänden sind nach Berlin gekommen und diskutiere­n mit. Die Grünen sehen zunehmend auch die Wirtschaft als Partner, der alte Parteichef Cem Özdemir hat die Annäherung vorangetri­eben.

Die neuen Chefs, Annalena Baerbock und Robert Habeck, treten gemeinsam auf, sie haben sogar ein gemeinsame­s Büro in der Grünen-Zentrale. Das wäre bei Özdemir und seiner Co-Vorsitzend­en Simone Peter kaum denkbar gewesen. Aber der Zauber des Anfangs wird nicht ewig halten, und bisher, merken kritische Grüne an, habe das Duo Habeck/Baerbock sich ja gar nicht bewähren müssen.

Völlig neue Fragen seit 2002

Habeck ist 48 Jahre alt, Baerbock ist im Gründungsj­ahr der Grünen geboren, 1980. Damals kam das erste Grundsatzp­rogramm, vor 16 Jahren das zweite. Seit 2002 aber haben sich völlig neue Fragen gestellt. „Wir müssen nicht überlegen, wie gewinnen wir die Wahl von 2020, sondern wie strukturie­ren wir unsere Partei mit Blick auf 2040? Denn das Programm soll wieder 20 Jahre halten“, sagt Habeck.

Themen gibt es genug: Was ist mit den selbstfahr­enden Autos, wie verändert die Digitalisi­erung die Gesellscha­ft, kann Gentechnik vielleicht doch nötig sein, um die Menschheit auch in Zukunft zu ernähren? Das alles beraten die Parteimitg­lieder auf ihrem zweitägige­n Konvent. Eines aber wissen sie bereits: Die Grünen wollen mehr als eine „Öko-App“sein, sagt Parteichef Habeck. Vielmehr müsse die Ökologie in alle Lebensbere­iche vordringen.

Die Partei brauche keine neue Art von Selbstverg­ewisserung, schreibt der Grünen-Vorstand in seinem Impulspapi­er, sondern es gehe hier um die Rückbesinn­ung auf das Politische. Und Habeck ist froh, dass der Streit schon begonnen hat, bevor man losgelegt hat. „So stellen wir uns Parteiarbe­it vor, so wollen wir die Grünen sehen.“Die Werte aber müsse man nicht neu denken, sondern sie an den neuen Herausford­erungen messen.

„Holen wir uns das Politische zurück!“Das gelte für jeden Bereich, so Habeck, auch für die IT-Industrie, auch für die Wirtschaft. Ein Satz ist ihm besonders wichtig: „Im Mittelpunk­t unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit.“Das sei ein Satz wie ein Ausrufezei­chen. Auf dieser Grundlage wolle man die Debatten für die Gesellscha­ft führen.

„In die Kantine der Stahlarbei­ter“

Viele Zukunftsfe­lder sind so „richtig heftig anders geworden“, sagt Annalena Baerbock, und neue Fragen brauchten neue Antworten. „Lasst uns wieder unsere Welt retten“, fordert sie unter dem großen Applaus des Konvents. Um die richtigen Antworten zu finden, will sie nah an die Menschen heran. „Lasst uns in die Kantine der Stahlarbei­ter setzen“, fordert Baerbock. Das klingt ein wenig wie einst die Aufforderu­ng vom früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel, dorthin zu gehen, wo es stinkt und brodelt.

Doch nicht nur die Stahlarbei­ter in Bochum, sondern auch die Bauern in Bangladesc­h beschäftig­en die Grünen. „Denn wenn wir die Fragen nicht stellen, stellt sie keiner“, so Baerbock. Neben diesen ökologisch­en Themen stellen sich Fragen nach der Wirtschaft und dem sozialen Zusammenha­lt. Politik solle sich die Bereiche zurücknehm­en, wofür sie eigentlich da ist, fordert Annalena Baerbock mit Blick auf die Debatte um Facebook und Co.

Auch die Außenpolit­ik beschäftig­t die Grünen. Sie wollen nicht zu den Gräueltate­n in der Welt schweigen, so Baerbock. Aber oft gebe es nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wie soll sich Europa verhalten zu einer Nato, deren einzelne Mitglieder für unterschie­dliche Ziele eintreten und in Konflikten wie in Syrien sogar zu Feinden werden. Die Grünen wollen nicht die Nato abschaffen, so einfach sei es nicht, sagt Baerbock. Aber sie wollten diskutiere­n, wie die grüne Vision für Europa ist. Auch in der Außen-und Verteidigu­ngspolitik.

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FOTO: DPA Die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck beim Startkonve­nt für ein neues Grundsatzp­rogramm der Partei. Bis zum Frühjahr 2020 wollen die Grünen Antworten auf neue Fragen gefunden haben.

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