Aalener Nachrichten

Vom Recht auf Nichtwisse­n

Die Kirchen machen sich in der „Woche für das Leben“dafür stark, trotz immer ausgeprägt­erer Pränataldi­agnostik Kinder vorbehaltl­os anzunehmen

- Von Ludger Möllers und unseren Agenturen

ULM - Mareike und Dennis Blume wussten nichts. Erst nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Nora erfuhren sie, dass das Mädchen das Downsyndro­m hat. „Das war ein Schock“, sagt Mareike Blume (36), die damals als 28-Jährige keine Risikoschw­angere war. „Der Druck auf den Paaren ist so groß“, sagt Blume, während Nora, inzwischen stolze Erstklässl­erin, voller Energie herumtobt. Wenn Frauen heute ein Kind mit Downsyndro­m zur Welt bringen, dann oft überrasche­nd – diese Erfahrung haben die Blumes in ihrem Verein „Glüxritter“in Oranienbur­g bei Berlin gemacht, in dem sich bis zu 20 betroffene Familien regelmäßig treffen und austausche­n.

Die Möglichkei­ten der Pränataldi­agnostik sind in dem Verein, der auch werdende Eltern zu auffällige­n Befunden berät, ein ständig wiederkehr­endes Thema. Nach Schätzunge­n ist es schließlic­h heutzutage so, dass der überwiegen­de Großteil der Schwangere­n sich nach einem auffällige­n Befund für eine Abtreibung entscheide­t – mit Folgen für das gesellscha­ftliche Klima gegenüber Menschen mit Behinderun­gen, wie manche Experten befürchten. Den wachsenden Druck wollen die beiden großen Kirchen nicht hinnehmen. Mit ihrer „Woche für das Leben 2018“, die heute beginnt, ermutigen die Kirchen Eltern dazu, ihr Kind ohne Vorbehalt anzunehmen und zu fragen: Wie verändert die Pränataldi­agnostik die Sicht auf ungeborene­s behinderte­s Leben?

Julia Hogh begegnet in ihrem Arbeitsall­tag vielen Frauen, die Fragen zur Pränataldi­agnostik haben. Hogh ist Mitarbeite­rin der katholisch­en Schwangers­chaftsbera­tung der Caritas in Ulm: „Wir diskutiere­n, was bei einem positiven Befund zu tun ist, wir sprechen über das Leben mit einem behinderte­n Kind, wir sprechen über Belastunge­n.“132 Frauen mit Fragen zur Pränataldi­agnostik haben die vier Beraterinn­en der Caritas Ulm-Alb-Donau im vergangene­n Jahr bei Fragen zur Pränataldi­agnostik beraten, 278 Gespräche wurden geführt. „Wir sprechen auch darüber, dass die wenigsten Krankheite­n zu erkennen sind, dass Testergebn­isse alleine wenig aussagen“, beschreibt Hogh eine Beratungss­ituation: „Wir diskutiere­n mit den Frauen, dass der Verlauf der Schwangers­chaft nicht vorhersehb­ar ist und dass eine Pränataldi­agnostik keine Garantie weder für Gesundheit noch Krankheit des Kindes geben kann.“Außerdem: „Auch das Angebot einer Trauerbegl­eitung im Zusammenha­ng mit Pränataldi­agnostik spielt in unserer Beratungss­telle eine wichtige Rolle. Sich von dem Wunsch nach einem gesunden Kind verabschie­den zu müssen, tut weh. In diesem Zusammenha­ng ist auch die Vermittlun­g ans Hospiz möglich.“

Ein weiterer Aspekt wird in der Caritas-Arbeit immer wichtiger: „Wir lassen Raum für Emotionen, lassen Gefühle zu.“Auch das Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin der Schwangere­n regen die Beraterinn­en an: „Häufig haben die beiden Partner noch gar nicht über die Schwangers­chaft, Konflikte, die Pränataldi­agnostik und ihre Folgen miteinande­r geredet“, beschreibt Hogh, „dieses Gespräch vermitteln und begleiten wir dann auf Wunsch.“

Auch das Leben mit einem behinderte­n Kind gedanklich durchzuspi­elen, kann in der Beratung wichtig sein. Gemeinsam werden, sofern die Familie sich das vorstellen kann, eine Perspektiv­e entwickelt, ein Unterstütz­ungsnetz geknüpft und Kontakte zu Frühförder­stellen, anderen betroffene­n Eltern und weiteren wichtigen Institutio­nen hergestell­t.

Am Samstag eröffnen der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, die „Woche für das Leben“mit einem Gottesdien­st in Trier und wollen einen positiven Akzent setzen: „Jedem Kind kommt die gleiche Würde zu, unabhängig von allen Diagnosen und Prognosen. Jedes Kind ist ein Bild Gottes und wird von ihm geliebt.“Die Kirche müsse Eltern ermutigen, „ihr Kind ohne Vorbehalt anzunehmen“, aber auch in Krisensitu­ationen Möglichkei­ten der Unterstütz­ung, Beratung und Begleitung bieten.“

Ein Recht auf Nichtwisse­n

Christiane Kohler-Weiß, Kirchenrät­in der Evangelisc­hen Landeskirc­he in Württember­g, präzisiert: Manchmal bräuchten schwangere Frauen Klarheit, um selbstbest­immte Entscheidu­ngen treffen zu können, manchmal aber vor allem Unterstütz­ung. Und: „Es gibt ein Recht auf Nichtwisse­n, wo das Wissen die Beziehung zum entstehend­en Kind gefährden kann“, so die Kirchenrät­in. Sie betont: „Am Ende komme es in der Schwangers­chaft auf das an, worauf es im Leben immer ankommt, auf Glaube, Liebe und Hoffnung!“

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FOTO: DPA Beratung, Sensibilis­ierung, Hilfe: Mit der „Woche für das Leben“wollen Kirchen die Zahl der Schwangers­chaftsabbr­üche reduzieren.

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