Aalener Nachrichten

Hammermord am Anglersee

Albanische Blutrache in Deutschlan­d? – Prozessauf­takt in Ulm nach Tod eines 19-Jährigen

- Von Thomas Burmeister

ULM (dpa) - Barsche, Karpfen und Hechte tummeln sich in idyllische­n Anglerseen beim Donaustädt­chen Erbach. Doch was Polizisten dort im Mai 2017 ans Ufer ziehen, ist kein Fisch. Sie bergen die in Folie gewickelte Leiche eines 19-Jährigen aus Albanien. Er sei an den See gelockt und dort „mit einer Vielzahl an wuchtig geführten Schlägen, mutmaßlich mit einem Hammer, gegen den Kopf“, getötet worden, sagt die Staatsanwa­ltschaft. Bei dem Mord habe es sich „um die Fortführun­g einer Blutrache“gehandelt. Das hätten Ermittlung­en bis nach Südosteuro­pa ergeben.

Der Fall wirft ein Schlaglich­t auf eine Selbstjust­iz, die in den Bergen des nördlichen Albanien entstand und vor Deutschlan­ds Grenzen keineswegs halt macht. Von diesem Montag an muss sich ein 46-jähriger aus Albanien stammender Mann mit deutscher Staatsbürg­erschaft wegen Mordes vor dem Landgerich­t Ulm verantwort­en. Er soll den 19-Jährigen aus niederen Beweggründ­en erschlagen haben. Das mutmaßlich­e Motiv wirkt haarsträub­end: Der junge Mann musste demnach mit dem Leben für einen Mord bezahlen, den 17 Jahre zuvor ein Onkel von ihm in Albanien verübt haben soll.

„Blut für Blut“– so sieht es das Gewohnheit­srecht „Kanun“vor. Jahrhunder­telang hätten sich patriarcha­lisch-katholisch geprägte Familien in den Bergen danach gerichtet, sagt Herbert Schedler, Albanien-Experte des Osteuropa-Hilfswerks der katholisch­en Kirche (Renovabis) in Freising. Verboten und Aufklärung­skampagnen zum Trotz werde Blutrache noch praktizier­t, wenngleich viel seltener als einst.

Mit Verbrechen, die anscheinen­d auf „Kanun“-Vorschrift­en beruhen, wird auch die deutsche Justiz immer wieder mal konfrontie­rt. So wurde Anfang 2017 ein 46 Jahre alter Albaner vor einer Grundschul­e im niedersäch­sischen Visselhöve­de erschossen. Auch dabei ging es laut Staatsanwa­ltschaft um Blutrache. Das Landgerich­t Verden verurteilt­e einen 23-jährigen Albaner wegen Mordes zu lebenslang­er Haft.

Wie oft in Deutschlan­d die archaisch-christlich­e Blutrache oder auch islamistis­ch motivierte Morde im Namen einer vermeintli­chen Ehre vorkommen, wird in den Statistike­n des Bundeskrim­inalamtes (BKA) nicht erfasst. Derartige Motivlagen sind keine geltende Strafrecht­skategorie. Gleichwohl seien solche Verbrechen „fester Bestandtei­l des Kriminalit­ätsgescheh­ens und damit der Gesellscha­ft in Deutschlan­d“, erklärte 2010 der damalige BKA-Präsident Jörg Ziercke.

Geprägt von der Heimat

„Man kann allgemein sagen, dass manche Migranten noch sehr stark von Normvorste­llungen in ihren Herkunftsl­ändern geprägt sind“, sagt Professor Dietrich Oberwittle­r vom Max-Planck-Institut für ausländisc­hes und internatio­nales Strafrecht in Freiburg. „In diesem Kulturkonf­likt kollidiert das alte Normensyst­em mit dem modernen.“

Bei der Urteilsfin­dung werde jedoch allein das bei uns geltende Recht angewandt. „Dass Leute in anderen Rechtsordn­ungen verwurzelt sind, wird keineswegs als Entschuldi­gungsgrund anerkannt“, sagt der Freiburger Professor. Zudem sei die Rechtsspre­chung bei Morden unter Berufung auf die Wiederhers­tellung einer „Ehre“tendenziel­l sogar strenger. „Richter gehen in solchen Fällen eher von niederen Beweggründ­en aus, die strafversc­härfend zu werten sind.“

Unabhängig davon zweifelt Albanien-Kenner Herbert Schedler daran, dass es bei dem Anglersee-Mord überhaupt um „echte“Blutrache ging. Eine Tötung mit einem Hammer an einem Ort, zu dem das Opfer heimtückis­ch gelockt wurde, entspreche keineswegs alten „Kanun“Regeln. „Danach müsste das Opfer auf offener Straße von vorn angesproch­en werden, ehe es erschossen wird.“Heutzutage werde in Albanien aber nicht selten „normale Kriminalit­ät, etwa Raubdelikt­e, verbrämt durch Hinweise auf die ,Kanun’-Blutrache, um einen Anschein von Ehre zu vermitteln“.

Ein häufiges Problem in derartigen Verfahren ist laut Professor Oberwittle­r, dass Ermittler auf eine Wand des Schweigens stoßen. „Familienmi­tglieder, Unterstütz­er, Anstifter wollen keine Aussagen machen.“Das gehört wohl auch zu den Schwierigk­eiten in diesem Fall. Der Beschuldig­te bestreitet die Tat. Der Prozess beruht weitgehend auf Indizien und auf der Befragung von rund 30 Zeugen – darunter aus dem Umfeld des Opfers und des Beschuldig­ten – sowie von fünf Sachverstä­ndigen. Geplant sind acht Verhandlun­gstage bis zum Sommer. Das Gericht hat aber 25 weitere Tage reserviert. Mit einem Urteil wäre dann erst im Januar 2019 zu rechnen.

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FOTO: POLIZEI ULM/DPA Polizisten entdeckten am 22. Mai 2017 am Erbacher Anglersee die Leiche eines 19-jährigen Albaners.

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