Aalener Nachrichten

Studieren für die Praxis

Immer mehr Studiengän­ge sind auf bereits Berufstäti­ge zugeschnit­ten – Unterstütz­ung durch den Arbeitgebe­r

- Von Peter Neitzsch

Ein kleines Zimmer im Wohnheim, überfüllte Hörsäle und Schlangen in der Mensa – Tobias Klatte hatte auf all diese Dinge, die ein Studentenl­eben ausmachen, keine Lust. Nach dem Abitur wollte der Lübecker sofort ins Berufslebe­n starten. Deshalb entschloss er sich, eine Ausbildung zum Versicheru­ngskaufman­n zu machen – und nebenbei zu studieren. Von nun an ging der Azubi an drei Abenden in der Woche zu den Vorlesunge­n, jeweils von 18.00 bis 21.00 Uhr. Während Freunde feierten oder es sich auf der Couch gemütlich machten, büffelte Klatte für seinen Bachelor in Betriebswi­rtschaft.

„Im Grunde ist das eine DreifachBe­lastung aus Studium, Job und Privatlebe­n“, erzählt der heute 28-Jährige. „Das geht nur, wenn man bereit ist, im Privaten Abstriche zu machen.“Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, auch seinen Master neben dem Beruf zu machen. An der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Hamburg studiert Klatte nun Personalwe­sen. Die Vorlesunge­n finden alle zwei Wochen statt, jeweils von Donnerstag bis Samstag. Ein System, das ihm mehr liegt als ein reines Abendstudi­um: „So kann ich mich intensiver auf das Thema vorbereite­n.“Für Prüfungen muss er nicht extra frei nehmen.

Eigenen Lernstil finden

Mit 46 000 Studenten ist die FOM die größte private Hochschule Deutschlan­ds. Sie hat sich ganz auf Berufstäti­ge spezialisi­ert. „Wer bereits arbeitet, möchte in der Regel nicht seinen Beruf und damit sein Einkommen aufgeben, um zu studieren“, erklärt Professor Burghard Hermeier, der Rektor der Hochschule. Um Job und Studium unter einen Hut zu bringen, gibt es verschiede­ne Modelle. Viele Angebote setzen auf das sogenannte Blended Learning, also eine Kombinatio­n aus Präsenz- und Fernstudiu­m. Welche Studienfor­m zum eigenen Lernstil passt, ist letztlich aber auch eine Typfrage.

Auch die FOM setzt auf einen Mix aus Online-Service und Unterricht vor Ort: „Die Präsenzleh­re ist für uns der Dreh- und Angelpunkt des Studiums“, sagt Hermeier. Sie ermöglicht den Austausch mit Dozenten und Kommiliton­en, die oft selbst bereits über Berufserfa­hrung in ihrem Gebiet verfügen. „Unsere Studenten wollen ja gerade praxisbezo­genes Wissen und keine reine Theorie.“

Rund zwei Prozent der Studenten in Deutschlan­d studieren berufsbegl­eitend. „Darunter fallen jedoch nur Studienang­ebote, die speziell auf Berufstäti­ge zugeschnit­ten sind“, erklärt Sigrun Nickel, Leiterin des Bereichs Hochschulf­orschung beim Centrum für Hochschule­ntwicklung (CHE). Hinzu kommen noch Teilzeitst­udiengänge oder das duale Studium, das in eine praktische Ausbildung im Betrieb integriert ist. Manche erwerben ihren ersten akademisch­en Titel berufsbegl­eitend – oft direkt im Anschluss an eine betrieblic­he Ausbildung. Andere legen noch einen berufsbegl­eitenden Master drauf. Die meisten Angebote gibt es im Bereich Betriebswi­rtschaft, zunehmend auch bei Gesundheit­sberufen oder in der sozialen Arbeit.

„Das berufsbegl­eitende Studium geht überwiegen­d auf die Privatinit­iative der Studierend­en zurück“, erzählt Hermeier. Manche würden ihrem Chef erst gar nichts davon erzählen, um keine falschen Erwartunge­n zu wecken. Dennoch rät der Hochschull­ehrer dazu, die Firma frühzeitig in die Pläne einzubezie­hen. „Das wird in der Regel sehr positiv aufgenomme­n.“Oft unterstütz­t der Arbeitgebe­r das Vorhaben – etwa indem er dem Mitarbeite­r vor wichtigen Prüfungen freigibt. Eher selten übernimmt die Firma sogar einen Teil der Studiengeb­ühren.

Auch Klatte hat über sein Studienvor­haben mit dem Arbeitgebe­r gesprochen. Eine richtige Entscheidu­ng: Nun bekommt er für das Studium zehn Tage zusätzlich­en Bildungsur­laub im Jahr. Außerdem schießt der Arbeitgebe­r etwas mehr als 2000 Euro zu den Studienkos­ten zu – abhängig von den Noten, die Klatte schreibt. Rund 350 Euro Gebühren zahlt der Student jeden Monat an die FOM, für das gesamte Studium sind es rund 12 000 Euro. „Aber einen Teil davon kann man sich ja auch von der Steuer wiederhole­n.“Denn wer berufsbegl­eitend studiert, kann das als Weiterbild­ungskosten absetzen.

„Berufsbegl­eitende Studiengän­ge sind in der Regel kostenpfli­chtig“, bestätigt Nickel. Meist erhebt die Hochschule die Gebühren für einzelne Module; die Studienord­nung regelt dann, wie viele Module für den Abschluss nötig sind. „15 000 Euro für ein berufsbegl­eitendes Studium sind da keine Seltenheit.“Hinzu kommt: Wer einem Beruf nachgeht und nur nebenbei studiert, hat keinen Anspruch auf Bafög. Auch Studienkre­dite richten sich nicht an berufstäti­ge Studenten. „Das hat eine enorme Selektions­wirkung, denn so ein Studium muss man sich erstmal leisten können.“Mit einem schlecht bezahlten Job ist das oft nicht möglich.

Nur wenige brechen ab

Trotz der Mehrfachbe­lastung brechen nur wenige ab. „Viele treffen die Entscheidu­ng sehr bewusst und wissen auch, was da auf sie zukommt“, erzählt Nickel. Außerdem sind bei einem Abbruch auch die bereits angefallen­en Studiengeb­ühren verloren. An der FOM schließen 80 Prozent das Studium erfolgreic­h ab. Doch das heißt auch: Jeder Fünfte bewältigt das Pensum nicht. „Teilweise liegt das an der fehlenden fachlichen Eignung, aber oft auch am Zeitmanage­ment“, sagt Hermeier. Knapp zwanzig Stunden pro Woche sollten Studierend­e für das Studium einplanen – etwa die Hälfte für die Präsenzpha­sen.

Im Job voranzukom­men, ist ein Grund für ein berufsbegl­eitendes Studium. „Doch mindestens ebenso wichtig ist es vielen Studenten, sich persönlich weiterzuen­twickeln“, sagt Nickel. Da es keine Absolvente­nstudien speziell für das Studium neben dem Beruf gibt, lässt sich nicht klar sagen, ob sich die Investitio­n für den einzelnen immer rechnet. Fest steht jedoch: In Hochschulb­ildung zu investiere­n, lohnt sich oft. So verdienen Akademiker nicht nur besser, auch die Arbeitslos­enquote ist unter Hochschula­bsolventen extrem niedrig.

Übersicht über berufsbegl­eitende Studiengän­ge in Deutschlan­d unter www.hochschulk­ompass.de/ studium/studiengan­gsuche/berufsbegl­eitend-studieren.html

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FOTO: PETER NEITZSCH Tobias Klatte hat neben dem Beruf erst seinen Bachelor in BWL gemacht – und dann auch noch den Master in Personalwe­sen. (

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