Aalener Nachrichten

Die Lust und Last am Vereinsleb­en

Ehrenamtli­che kämpfen mit einem Zuwachs an Bürokratie und mit Nachwuchss­orgen – Sie lieben dennoch, was sie tun

- Von Daniel Häfele

BIBERACH - „Ein Ehrenamt ist besser als Aspirin.“Dieses Zitat prangt auf einem Plakat, das die Bahnhofsmi­ssion Biberach in der örtlichen Stadthalle am Samstag aufgestell­t hat. Darunter hat der Leiter der Bahnhofsmi­ssion Ulrich Köpfler den Artikel der „Schwäbisch­en Zeitung“geheftet, aus dem das Zitat stammt: Ein Interview mit dem Hirnforsch­er Manfred Spitzer zum Thema „Einsamkeit, die neue Volkskrank­heit?“„Manchmal brauchen die Leute einfach nur jemanden, der ihnen zuhört“, sagt Uta Donath. Die 67-Jährige ist seit knapp einem Jahr für die Bahnhofsmi­ssion im Einsatz und versucht, an diesem Tag gemeinsam mit Köpfler weitere Mitstreite­r zu gewinnen. „Gerade die Älteren suchen das Gespräch, wenn ich am Bahnsteig stehe.“

Egal, ob bei Problemen mit dem Fahrkarten­automaten, bei Zugverspät­ungen oder bei defekten Aufzügen – die Ehrenamtli­chen sind die erste Anlaufstel­le für Reisende; passen auf Mensch und Bahnhofsge­bäude gleicherma­ßen auf. Serviceper­sonal der Bahn gibt es dort schon lange nicht mehr. Köpfler würde im zehnten Jahr der Biberacher Bahnhofsmi­ssion das Angebot gerne aufs Wochenende ausdehnen. „Wir sind aber nur neun Ehrenamtli­che“, sagt er. „Deshalb können wir nicht mehr als die fünf Tage unter der Woche stemmen.“

Fast jeder Zweite in einem Verein

Fast jeder Zweite im Südwesten engagiert sich ehrenamtli­ch. Viele Veranstalt­ungen, Sportangeb­ote oder soziale Unterstütz­ungen würde es ohne die Freiwillig­en nicht geben. Das wird bei der Ehrenamtsm­esse in der Biberacher Stadthalle am Samstag einmal mehr deutlich. Dabei steht das Ehrenamt vor großen Herausford­erungen: Der Nachwuchs fehlt, der Papierkram wächst, die rechtliche Verantwort­ung ebenso. Das macht den Vereinen mehr und mehr zu schaffen.

Das Beispiel der Biberacher Bahnhofsmi­ssion zeigt das breite gesellscha­ftliche Spektrum, in dem die Vereine tätig sind. Es geht beim Ehrenamt um weit mehr als um Musik-, Sport- oder Fußballver­ein. Im Stadtleben ist eine lebendige Vereinslan­dschaft unersetzli­ch. Eltern würden Beruf und Familie ohne Ferienbetr­euung ihrer Sprössling­e kaum unter einen Hut bekommen. Der kulturelle Jahreskale­nder einer Stadt fiele deutlich knapper aus. Eine Demokratie wäre ohne Parteien überhaupt nicht möglich. Eine Welt ohne Ehrenamt, das will sich der Oberbürger­meister der Stadt Biberach, Norbert

„Die Datenschut­zgrundvero­rdnung ist ein massives Thema.“Holger Kniep vom Verein „Städte Partner Biberach“

Zeidler, nicht vorstellen: „Das Ehrenamt ist eine wesentlich­e Stütze unserer Gesellscha­ft. Einmal abgesehen vom Biberacher Schützenfe­st und Filmfest – in unserer Stadt wäre kaum etwas los.“Viele seien über die immer umfangreic­here Bürokratie verärgert, erklärt er. Und die wächst gerade weiter. „Mit der europäisch­en Datenschut­zgrundvero­rdnung hat sich die Politik gegenüber dem Ehrenamt keinen Gefallen getan“, schildert er. Sie tritt am 25. Mai in Kraft.

Dieses Thema wühlt die Freiwillig­en zurzeit auf. Hans-Jürgen Schwarz vom Bundesverb­and der Vereine und des Ehrenamts erläutert an diesem Samstag in einem Vortrag, wie sich die EU-Verordnung auf den Verein auswirkt – egal, ob dieser zehn oder 800 Mitglieder zählt. Die Vereinsver­treter notieren eifrig mit, stellen Fragen, manche schütteln ungläubig den Kopf. So recht begreifen kann keiner, was ihnen da zugemutet wird. Der Vortrag ist gut besucht. Die europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung schwebt wie ein Damoklessc­hwert über dem Ehrenamt, so zumindest empfinden viele in diesen Tagen.

Beim Verein „Städte Partner Biberach“war diese Verordnung einer der Gründe dafür, eine 450-EuroStelle für administra­tive Aufgaben zu schaffen. Das Stellenpro­fil beinhaltet unter anderem das Pflegen von Bankverbin­dungen, Kontaktdat­en und Verteilern – wie es die EU künftig verlangt. „Die Datenschut­zgrundvero­rdnung ist ein massives Thema. Viele Vereine unterschät­zen das meiner Meinung nach noch“, sagt der stellvertr­etende Vorsitzend­e Holger Kniep. Um diese Stelle finanziere­n zu können, hat der 650 Mitglieder starke Verein die Beiträge um ein Drittel angehoben – ein Novum in der 40-jährigen Vereinsges­chichte. Für notwendig hält Kniep die Vorgaben aus Brüssel nicht: „Wir sind so schon verantwort­ungsvoll mit den Daten umgegangen. Wir stellen die ja nicht einfach ins Internet.“

Mit seinen 47 Jahren ist Kniep vergleichs­weise jung. Häufig sind nämlich die, die in Vereinen Verantwort­ung übernehmen, über 60 Jahre alt. So auch beim Verein „Biberacher Musiknacht“. Der Großteil der Mit- glieder an der Spitze ist im Rentenalte­r. Die Verantwort­lichen organisier­en neben der Musiknacht mit über 2500 Besuchern auch Konzerte im Stadtgarte­n. Der Vorsitzend­e Karsten Wiesner und Schriftfüh­rer Bodo Mandersche­id, beide 66 Jahre alt, überlegen, nach ihrer noch zwei Jahre dauernden Amtszeit, das Ruder anderen zu überlassen. „Der Nachwuchs soll auch eine Chance bekommen“, sagt Wiesner. Das Problem: Es kommen kaum Jüngere nach. „Die Jugend möchte keine Verantwort­ung übernehmen“, stellt Mandersche­id fast schon resigniert fest. „Sie wollen einfach nur den Spaß.“Feste organisier­en, Richtlinie­n der Musikverwe­rtungsgese­llschaft Gema studieren oder Öffentlich­keitsarbei­t betreiben – an Schreibtis­chtätigkei­ten wie diesen hätten junge Menschen kein Interesse.

Jugend hat andere Möglichkei­ten

Gleichzeit­ig habe die Jugend heutzutage ganz andere Möglichkei­ten, ihre freie Zeit zu verbringen. Abseits von Vereinen gebe es unzählige Alternativ­en, um etwas zu erleben. „Die Jugend ist heute viel mobiler, als wir es waren“, so Wiesner. Sein Kollege er- gänzt: „Bei uns gab es das nicht. Für uns war der Verein die einzige Option der Freizeitge­staltung.“Das Gespräch verfolgt auch Peter Kiene aufmerksam, er ist mit dem Jazzclub sozusagen „Standnachb­ar“. Der 56-Jährige kennt die Nachwuchss­orgen. Gleichzeit­ig interessie­rt er sich für die Vorgänge im Verein „Biberacher Musiknacht“, ist er doch auch dort Mitglied. So wie er mussten sich viele Ehrenamtli­che an diesem Tag entscheide­n, in welches Vereins-T-Shirt sie schlüpfen. Der Großteil sei in zwei, drei, vier Vereinen aktiv, wie der städtische Ehrenamtsb­eauftragte Rouven Klook weiß.

Nur vereinzelt betreuen junge Menschen die Stände der Vereine an diesem Tag. Bastian Hartmann und Johannes Bürker sind zwei von den wenigen. Sie vertreten das evangelisc­he Ferienwald­heim Hölzle. „Ich war als Kind im Hölzle. Das hat mich irgendwie nicht mehr losgelasse­n“, sagt der 24-jährige Hartmann, der eine Ausbildung macht. Bürker, 27 Jah- re alt, schildert Ähnliches. Trotz Vollzeitjo­b inklusive Schichtdie­nst nehme er sich gerne Zeit fürs Ehrenamt: „Es kommt unglaublic­h viel zurück.“Für die Betreuung der 1000 Kinder braucht es pro Saison 150 Helfer. Freiwillig­e dafür zu finden, ist für die Einrichtun­g der Gesamtkirc­he Biberach kein Problem. „Innerhalb von 46 Minuten hatten wir über 260 OnlineAnme­ldungen vorliegen“, erläutert Hölzle-Leiter Steffen Mohr. Ein Grund dafür: Die Mitarbeit sei projektbez­ogen, die jungen Menschen müssten keine langjährig­en Verpflicht­ungen eingehen. „Zudem verbinden viele Betreuer das Hölzle mit schönen Kindheitse­rinnerunge­n, es ist ein Stück Heimat“, sagt Mohr.

Zwar bekommen die Freiwillig­en eine Aufwandsen­tschädigun­g, mit Vor- und Nachbereit­ung des Camps belaufe sich der Lohn auf 70 Cent pro Stunde. „Früher mussten die Betreuer eine Seite ausfüllen, heute sind es acht bis zehn Seiten“, schildert Mohr den gestiegene­n Aufwand. Er weiß, dass die Arbeit mit Kindern ein inzwischen sehr sensibles Thema ist. Bis zu einem gewissen Maß kann er die Regelungen nachvollzi­ehen, aber: „Wenn man nicht einmal mehr einen Gasgrill an eine Propangasf­lasche ohne Fachmann anschließe­n darf, hört es bei mir auf“, sagt er. „Die Bürokratie und die Vorschrift­en bedrohen das Ehrenamt.“Früher habe es schließlic­h auch mit weniger Vorschrift­en funktionie­rt. Doch heute, falls etwas passieren sollte, brauche es jemanden, der haftbar gemacht werden kann.

Großes Engagement, große Euphorie

Trotz aller Sorgen, die die Ehrenamtli­chen umtreiben: Sie lieben das, was sie tun. Mit strahlende­n Augen und Euphorie berichten sie von ihren Aktionen und Aktivitäte­n. Sie selbst haben die Ehrenamtsm­esse organisier­t, haben ihre Stände mit Osterglock­en oder Rosen geschmückt, oder locken Besucher mit roten Schokolade­nherzen an den Stand. Alle haben Informatio­nsmaterial dabei, in der Hoffnung, der eine oder andere Besucher legt es daheim nicht gleich ins Altpapier. Die Ehrenamtli­chen setzen sich für eine bessere Gesellscha­ft ein ohne monetäre Gegenleist­ung – und profitiere­n doch. Sie leiden nicht an der vielleicht neuen Volkskrank­heit „Einsamkeit“. Es geht gesellig an den Tischen zu. Uta Donath von der Bahnhofsmi­ssion spricht von einem weiteren Beweggrund: „Durch die Gespräche mit den Reisenden erhalte ich ständig eine andere Sicht auf die Dinge. So etwas erweitert den geistigen Horizont ungemein.“Allein schon deshalb würde sie jedem ein Ehrenamt ans Herz legen.

„So etwas erweitert den geistigen Horizont ungemein.“Uta Donath von der Bahnhofsmi­ssion Biberach

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FOTO: DANIEL HÄFELE Uta Donath und Ulrich Köpfler suchen für die Bahnhofsmi­ssion weitere Helfer. Sie würden ihre Arbeit gerne ausweiten.

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