Aalener Nachrichten

Ein Sonnenköni­g im badischen Kalifornie­n

Freiburg wählt am Sonntag einen Oberbürger­meister – Amtsinhabe­r Dieter Salomon hofft zum dritten Mal auf einen Sieg

- Von Stefan Rother

FREIBURG - Die jungen WG-Mitbewohne­r haben ein „Zimmer frei“– und stehen vor der Wahl: Mit wem der Kandidaten, eine Kandidatin inklusive, wollen sie die nächsten acht Jahre zusammenle­ben? Ein 57jähriger Bewerber gibt sich locker: „Finde ich cool, dass Ihr so alte Typen wie mich noch zum Casting einladet“und fügt hinzu, dann wohne er ja „gleich mit meinen späteren Pflegekräf­ten zusammen.“In der Folge hat es der Rat der Wohngemein­schaft aber nicht immer ganz einfach, zu Wort zu kommen, denn der Bewerber listet in hohem Tempo auf, was er alles erreicht und zu bieten habe. Die Botschaft ist klar: Zu so einem erfahrenen Kandidaten gibt es doch gar keine Alternativ­e.

Bei dem Bewerber handelt es sich um Dieter Salomon, mit 16 Jahren als Freiburgs grüner Oberbürger­meister sogar bereits länger im Amt als Angela Merkel. Geladen zu dem fiktiven WG-Casting mit den OB-Kandidaten für die Wahl an diesem Sonntag haben die Landeszent­rale für politische Bildung und das altehrwürd­ige Colloquium Politicum – eine Plattform für politische­n Diskurs – der Universitä­t Freiburg. Der Andrang ins Audimax ist dabei so enorm, dass viele Besucher draußen bleiben müssen – obwohl es in den Wochen zuvor wahrlich keinen Mangel an Kandidaten­diskussion­en gegeben hatte.

Soviel Interesse ist durchaus ungewöhnli­ch für eine Wahl, die viele im Vorfeld eigentlich längst schon für gelaufen gehalten hatten. Das war früher anders: Als Salomon 2002 im zweiten Wahlgang zum ersten grünen Oberbürger­meister einer deutschen Großstadt gewählt wurde, war das eine kleine Sensation. Und bei der Wiederwahl acht Jahre später gewann er nur mit hauchdünne­r Mehrheit den ersten Wahlgang, nachdem ein Bürgerents­cheid den von ihm geplanten Verkauf der kommunalen Freiburger Stadtbau GmbH abgelehnt hatte.

Kein CDU-Gegenkandi­dat

Aber dieses Jahr? Selbstbewu­sst gab Salomon seine Kandidatur bereits mit reichlich Vorlauf im Januar 2017 bekannt. Die CDU, mit der Salomons Grüne im Freiburger Gemeindera­t kooperiere­n, mühte sich vergeblich, einen geeigneten Gegenkandi­daten zu finden und verzichtet­e zum zweiten Mal auf eine Aufstellun­g. Die SPD fand ebenfalls keinen eigenen Bewerber und unterstütz­t schließlic­h einen parteilose­n Kandidaten. Beste Aussichten also, und so meinte Salomon auch, die Teilnahme an einem von jungen Leuten zusammen mit der Landeszent­rale entwickelt­en Kandidat-O-Mat mit der Begründung absagen zu können: „Ich bin alt genug, um nicht mehr über jedes Stöckchen, das man mir hinhält, springen zu müssen. Und ich glaube auch nicht, dass man mit so primitiven Fragen Leute für Politik begeistern kann.“

Das kam nicht gut an und passte in das Bild von der „Arroganz der Macht“, die Kritiker ihm regelmäßig vorhalten. Seitdem gilt das Rennen zumindest gefühlt – Umfragen, die dies stützen gibt es, wie bei Bürgermeis­terwahlen üblich, nicht – wieder offen. Dass ein grüner Oberbürger­meister, dem auch seine Gegenkandi­daten in vielen Punkten eine gute Bilanz bescheinig­en, nicht etwa kritisiert wird, weil er zu links und utopisch, sondern weil er zu konservati­v und angepasst sei, lässt sich dabei am ehesten mit dem speziellen Freiburger Klima erklären.

Denn dass Freiburg etwas Besonderes sei, darin sind sich die meisten Bewohner einig – mit gutem Grund, aber auch mit einer gewissen Selbstgefä­lligkeit. Die beginnt beim allabendli­chen Blick auf die Wetterkart­e, schließlic­h liegt man bei den Sonnentage­n in Deutschlan­d weit vorne. Damit einher geht die Vorreiterr­olle als „Green City“, eine der Erfolgsges­chichten Salomons: Rund um das Jahr treffen Delegation­en von Stadtverwa­ltungen aus der ganzen Welt in Freiburg ein, um mehr über die Politik der erneuerbar­en Energien zu erfahren und durch den autofreien Stadtteil Vauban zu spazieren. Salomon inszeniert Freiburg somit gekonnt als eine Art Kalifornie­n im Kleinen.

Wie der amerikanis­che Sonnenstaa­t steht die badische Stadt somit für Innovation und ein liberales Klima. Damit einhergeht, dass es unter den knapp 230 000 Einwohnern an Freigeiste­rn nicht mangelt. „In Freiburg sind das ganze Jahr über Esoterik-Tage“bilanziert­e einmal ein altgedient­er Lokaljourn­alist. Salomon hält dagegen von wolkigen Visionen herzlich wenig: Ehrgeizige Stadtentwi­cklungs-Projekte sind ihm durchaus ein Anliegen, Voraussetz­ung ist aber eine klare Realisierb­arkeit. Das passt ganz gut in die Realo-Hochburg Baden-Württember­g, war aber selbst einigen grünen Stadträten zu viel, die sich 2008 abspaltete­n und in die Opposition gingen, um dort die reine links-grüne Lehre hochzuhalt­en. Vertreten wird sie im Gemeindera­t durch die Lehrerin Monika Stein, die nun folgericht­ig gegen Salomon kandidiert und ihm einerseits zu wenige soziale, anderersei­ts zu repressive Politik vorwirft. Für Nicht-Freiburger muss man allerdings erklären, dass zu dieser „repressive­n Politik“auch ein zeitweises Alkoholver­bot im Freiburger Kneipenvie­rtel „Bermudadre­ieck“gezählt wird, das schließlic­h vom Verwaltung­sgericht gekippt wurde. Beim studentisc­hen Publikum der „Zimmer frei“-Veranstalt­ung kommt die bodenständ­ig-sympathisc­he Stein mit kompromiss­los linker Linie gut an, ebenso der geschmeidi­ge SPD-nahe Kandidat Martin Horn, ein 33jähriger Europa- und Entwicklun­gskoordina­tor der Stadt Sindelfing­en.

Wer sich den Fragenkata­log des WG-Rats anhört, mag sich denken: „Wohl der Stadt, in der dies die brennendst­en Themen sind!“Als größte Misere wird mit dem überhitzte­n Wohnungsma­rkt ein in der Tat heikles Thema angesproch­en, darüber hinaus geht es aber auch um den Lärm des Nachtleben­s in der Freiburger Innenstadt, Proberäume für Bands, die Förderung von Subkulture­n und das Zusammenle­ben in Vielfalt. Richtig – war da nicht etwas? Nach dem erschütter­nden Mord des Asylbewerb­ers Hussein K. an einer jungen Studentin war vor allem in den sozialen Netzwerken eine Welle von Hass auf die badische Stadt eingeschla­gen. Nachrichte­nredaktion­en entsandten ganze Bataillone von Reportern zur Erstellung städtische­r Psychogram­me, in denen teils mit hörbarer Genugtuung konstatier­t wurde, dass Freiburg eben doch nicht nur das Reich des Guten, Sonnigen und Schönen sei.

Salomon behielt sich aber auch hier seine Unbeirrbar­keit bei. Während der grüne Tübinger Bürgermeis­terkollege Palmer von „bedrohten blonden Professore­ntöchtern“zu fabulieren begann, blieb er auf Kurs. Bei „Zimmer frei“bilanziert­e der im australisc­hen Melbourne geborene Politiker, der in Freiburg passenderw­eise einst über die Grünen promoviert hat, dann auch den zeitweise starken Zuzug von Flüchtling­en: „Die Stadt und die Menschen haben bewiesen, dass sie liberal und tolerant und offen sind und haben Leute willkommen geheißen“.

Der nächste Kretschman­n?

Das sorgte für allgemeine Zustimmung im Audimax – der einzige AfDnahe Kandidat war nicht aufgetauch­t – und Salomon zog darauf unverkennb­ar Parallelen zwischen sich und einem weiteren Freiburger Konsens-Thema, dem Sportclub: Der werde „seit 40 Jahren gut geführt“und sei zudem bislang „nach jedem Abstieg wiedergeko­mmen“. Während der SC derzeit aber tatsächlic­h um den Klassenerh­alt bangen muss, sieht sich Salomon weiterhin fest in der ersten Bürgermeis­ter-Liga.

Spekulatio­nen, er könne dereinst einmal Winfried Kretschman­n als Baden-Württember­gischen Ministerpr­äsident nachfolgen, erteilt er gewohnt undiplomat­isch und entschiede­n eine Absage – hatte er doch einst über seine Zeit als Fraktionsv­orsitzende­r gesagt: „Als intelligen­ter Mensch ertragen Sie zehn Jahre im Stuttgarte­r Landtag nur mit viel Humor oder im Suff“.

„Ich bin alt genug, um nicht mehr über jedes Stöckchen, das man mir hinhält, springen zu müssen.“

Dieter Salomon, der sich im Wahlkampf zum Teil rar gemacht hat

 ?? FOTO: STEFAN ROTHER ?? Den Klassenerh­alt in der Liga baden-württember­gischer Oberbürger­meister fest im Blick: Amtsinhabe­r Dieter Salomon bei einer Wahlverans­taltung in Freiburg, wo er sich einer fiktiven Wohngemein­schaft als Mitbewohne­r empfehlen muss.
FOTO: STEFAN ROTHER Den Klassenerh­alt in der Liga baden-württember­gischer Oberbürger­meister fest im Blick: Amtsinhabe­r Dieter Salomon bei einer Wahlverans­taltung in Freiburg, wo er sich einer fiktiven Wohngemein­schaft als Mitbewohne­r empfehlen muss.

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