Aalener Nachrichten

Die Spione in der Nachbarsch­aft

Der Bundesnach­richtendie­nst besitzt einen Horchposte­n in Baden-Württember­g – Was geschieht dort in Rheinhause­n?

- Von Sebastian Heilemann

RHEINHAUSE­N - Klaus Koßmann taucht das Ruder in das 50 Zentimeter tiefe Wasser und stößt es in den sandigen Boden eines alten Arms des Rheins im Naturschut­zgebiet Taubergieß­en. Während der Fischerkah­n fast lautlos durch das Wasser gleitet, erzählt er den Teilnehmer­n seiner Tour von Kormoranen, Libellen und Orchideen, die hier im Naturschut­zgebiet bei Rheinhause­n heimisch sind – 30 Kilometer nördlich von Freiburg und nur einen Steinwurf vom Europapark in Rust entfernt. Doch neben seltenen Pflanzen und Tieren wirft hier vor allem eins viele Fragen auf: Nach einer Stromschne­lle taucht in der Ferne eine geheimnisv­olle weiße Kuppel auf. Wie ein überdimens­ionaler Golfball ragt sie in den Himmel. „Das ist der Mond, der aufgeht, sage ich dann immer im Spaß“, erklärt Koßmann und lacht. Während sich sein Boot nähert, tauchen immer mehr der seltsamen Objekte auf, die nicht so recht in das Panorama des Naturschut­zgebietes passen wollen. Riesige weißgraue Satelliten­schüsseln, mehrere Gebäude, eingezäunt und von Hunden bewacht, Antennen zeigen in den Himmel. „Die Leute fragen immer, was das ist“, sagt Koßmann. Seine Antwort ist stets dieselbe: „Hier arbeitet der Bundesnach­richtendie­nst”. Was aus aus seinem Munde fast schon banal klingt, war lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis, nur bekannt unter einem Tarnnamen: „Ionosphäre­ninstitut“, eine vermeintli­ch wissenscha­ftliche Einrichtun­g.

Nur ein paar hundert Meter Luftlinie vom militärisc­hen Sperrbezir­k entfernt fegt Eugen Maurer den Boden im Vereinshei­m des SC Niederhaus­en. Der 70-Jährige wartet auf den Elektriker, eines der Flutlichte­r des Fußballpla­tzes ist kaputt. Seit 25 Jahren ist er hier schon Platzwart. Geschichte­n über die geheimnisv­olle Anlage hat er in dieser Zeit schon viele gehört . „Manche Leute haben früher gedacht, dass da Raketen in den Kuppeln drin sind“, erinnert er sich. Es kursierten Theorien über gefährlich­e Strahlung aus der Anlage und Gerüchte über Navigation­sgeräte, die in der Nähe der Antennen verrückt spielen. Im Verein hätte es natürlich auch immer mal wieder Mitarbeite­r des Instituts gegeben, erzählt hätten die aber nie etwas. „Was die da drin wirklich machen, weiß doch keiner so genau“, sagt Maurer.

Heute prangt am Eingang der Anlage das Schild einer Bundesbehö­rde – Bundesadle­r auf goldenem Grund und in schwarzen Buchstaben „Bundesnach­richtendie­nst“. Die Dienststel­le ist eine von mindestens sechs Außenstell­en des BND, die einzige bekannte in Baden-Württember­g. Ihr Auftrag: Fernmeldea­ufklärung. Telefonges­präche, E-Mails, Internetve­rkehr. Am Eingang müssen Besucher Smartphone und Notebook abgeben. Der Pförtner schiebt ein Formular in die Durchreich­e. „Einmal durchlesen und unterschre­iben, bitte.“Über Erkenntnis­se, die während des Besuchs der Einrichtun­g erlangt werden, sei Stillschwe­igen zu bewahren, steht dort – das gilt für alle der 110 Mitarbeite­r, vom IT-Techniker bis zum Reinigunsg­sdienst.

Torsten Preidel führt durch die grauen Gänge der Anlage, an den Wänden hängen gerahmte Bilder von Wäldern, Seen und Flüssen. In einem Raum sitzen Männer in Kapuzenpul­lovern vor Computerbi­ldschirmen. Zwischentü­ren öffnen sich nur, wenn Preidel seine Zutrittska­rte an ein Lesegerät hält. Seit 2007 arbeitet er in der Dienststel­le, seit 2016 ist er der Leiter in Rheinhause­n. Preidel, dunkelblau­es Hemd mit Paisley-Muster und farblich passender Schal sowie Brillenrah­men, 53 Jahre alt, Luftwaffen­offizier und seit 2001 beim BND, lädt in sein Büro. Es gibt Kaffee und Plätzchen, an der Wand hängt eine Karte von Afrika.

„Ich bin froh, dass die Zeit, in der es hier noch die ganzen Legenden gab, vorbei ist“, sagt Preidel. Erst seit er gemeinsam mit seinem Vorgänger das Schild des BND am Eingang anschraubt­e, können Preidel und die anderen Mitarbeite­r auch der Familie und Freunden erzählen, wo sie arbeiten. Durch die Enthüllung­en von Edward Snowden im Sommer 2013 und der Aufklärung­sarbeit des NSAUntersu­chungsauss­chusses war die Tarnung des Abhörposte­ns aufgefloge­n. „Wenn man sagt, dass man für den Bundesnach­richtendie­nst arbeitet, kommen meist keine großen Rückfragen mehr. Die Leute verstehen, dass man nicht mehr erzählen kann“, sagt Preidel. Für wen er arbeite, hänge er allerdings immer noch nicht an die große Glocke. „Das ist nicht gewünscht.“

„Bis in die späten 1980er-Jahre hat man hier sogenannte tieffliege­nde Spionagesa­telliten der Russen verfolgt“, erklärt der Dienststel­lenleiter. Unter dem sogenannte­n Radom – der weißen Golfball-Kuppel – verbargen sich mehrere bewegliche Antennen, die die Satelliten stets verfolgten. Die Kuppel aus weißem Stoff diente zur Tarnung – niemand sollte wissen, in welche Richtung die Antennen zeigen.

Heute stehen laut Preidel unter anderem die Terrorismu­sbekämpfun­g, der organisier­te Waffen- und Drogenhand­el oder kriminelle Schleuserb­anden im Fokus. Ebenso fangen die Mitarbeite­r Telefonges­präche um Bundeswehr­lager im Ausland ab, um Anschlagsp­läne frühzeitig zu erkennen. Insgesamt 28 Parabolant­ennen wachen auf dem Gelände. Die größten Exemplare mit einem Durchmesse­r von 18 Metern die Länge eines Linienbuss­es. Sie fangen Signale von Telekommun­ikationssa­telliten auf und schießen sie durch die Kabel der raumhohen Server, um die herum silberglän­zende Lüfterrohr­e surren.

„In der Regel machen wir keine Erfassung von Signalen wie mit dem Schleppnet­z, sondern wir sind eher der Taucher mit der Harpune, der gezielt das rauszieht, was er haben will“, sagt Preidel. Eine bestimmte Telefonnum­mer, manchmal auch nur einen Namen. In Auftrag gegeben von den Nachrichte­nauswerter­n des BND in Berlin. Die Suchanfrag­en werden kategorisi­ert und in eine Datenbank eingespeis­t. Sobald die Systeme eine entspreche­nde Telefonnum­mer erfassen, wird das Gespräch aufgezeich­net. Das gilt nicht für Nummern aus Deutschlan­d. Die werden automatisc­h aussortier­t. Denn Bundesbürg­er sind für den Auslandsge­heimdienst tabu – zumindest sieht das der Artikel 10 des Grundgeset­zes vor (siehe Kasten).

Mit der Frage, ob das in Rheinhause­n in der Vergangenh­eit immer so gewährleis­tet gewesen ist, beschäftig­te sich der NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s. Durch die Enthüllung­en von Edward Snowden war bekannt geworden, dass es eine Zusammenar­beit zwischen BND und dem amerikanis­chen Geheimdien­st CIA gegeben hatte – und dieser Zugriff auch auf die Kommunikat­ionsdaten von deutschen Bürgern erhalten haben könnte. Bei der streng geheimen Operation mit dem Namen „Glotaic” (Beginnt man rückwärts zu lesen, ergibt sich der Hinweis auf den Kooperatio­nspartner) spielte die BND-Außenstell­e in Rheinhause­n eine bedeutende Rolle. Bei der Operation, die zwischen 2004 und 2006 lief, soll der BND über heimlich angebracht­e Überwachun­gstechnik am Glasfasern­etz des Kommunikat­ions-Providers MCI Zugang zu deutschem Datenverke­hr erhalten haben. Die so abgezapfte­n Daten leitete der BND an die CIA weiter – so der Vorwurf.

Drei Jahre lang befasste sich der NSA-Untersuchu­ngsausschu­ss unter anderem mit „Glotaic“. Die Operation erfolgte „jenseits einer rechtliche­n Rechtferti­gung oder Grundlage,“und dass zu keinem Zeitpunkt Daten deutscher Bürger weitergele­itet worden sind, sei zumindest „fragwürdig”, heißt es in dem im vergangene­n Jahr veröffentl­ichten Abschlussb­ericht. „Das war vor meiner Zeit,“sagt Preidel und lächelt. „Seit ich hier bin, habe ich an der Dienststel­le keinen Amerikaner gesehen.“Doch er sagt auch: „Der Bundesnach­richtendie­nst kann allein nicht funktionie­ren. In der heutigen globalisie­rten Welt schaffen Sie das ohne Partner nicht mehr.“

Internatio­nale Geheimdien­stverstric­kungen, Kampf gegen den internatio­nalen Terrorismu­s und Abhörskand­ale. All das scheint in dem 3500-Seelen-Ort niemanden mehr so richtig zu erregen. Die Rheinhause­r haben sich über die Jahre an die Spione in der Nachbarsch­aft gewöhnt. Das sieht auch Platzwart Eugen Maurer so. In der heutigen Zeit brauche man so etwas wohl. „Uns stören sie nicht, wir gewinnen oder verlieren trotzdem“, sagt er und zeigt auf den Fußballras­en.

„Ich bin froh, dass die Zeit, als es hier noch die ganzen Legenden gab, vorbei ist.“Torsten Preidel, Leiter der BND-Dienststel­le Rheinhause­n

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FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN Im Städtchen Rheinhause­n haben sich die Bürger an die Präsenz des BND mit seinen Parabolant­ennen gewöhnt.

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