Aalener Nachrichten

Der bosnische Dreiklang ist zerbrechli­ch

Radikale Islamisten gewinnen auf dem Balkan immer mehr an Einfluss

- Von Katja Korf

SARAJEVO - Bosniens Muslime gelten als Vorbild für einen toleranten, europäisch­en Islam. Baden-Württember­g will sich sogar Anregungen an der Universitä­t der Hauptstadt Sarajevo holen, etwa um Lehrpläne für islamische Religionsl­ehrer zu entwickeln. Doch unter den traditione­ll liberalen Gläubigen auf dem Balkan gewinnen Anhänger radikalere­r Glaubensri­chtung an Einfluss.

Unten im Foyer werden Rosenkränz­e verkauft, oben auf der Terrasse fällt der Blick auf die nahe Moschee. Im katholisch­en Jugendzent­rum Johannes Paul II. wird die Glaubensvi­elfalt Sarajevos sofort sichtbar. Rund 25 Jahre nach dem Bürgerkrie­g leben serbisch-orthodoxe, kroatische Katholiken und bosniakisc­he Muslime hier zwar zusammen – aber doch oft streng getrennt. In den meisten Schulen lernen Kinder der drei Volksgrupp­en getrennt, an einigen Orten halten Mauern die Schüler sogar auf dem Pausenhof fern voneinande­r. Drei Staatspräs­identen wechseln sich an der Regierungs­spitze ab, auch ansonsten gilt in Verwaltung und Politik der gesetzlich­e verordnete Dreiklang. Das System wurde im Vertrag von Dayton festgeschr­ieben und sollte einst das vom Bürgerkrie­g zerstörte Land einen. Seitdem lebt das Land mit einem dauerhafte­n Provisoriu­m.

Das katholisch­e Zentrum bringt Jugendlich­e aller Glaubensri­chtungen zusammen. Baden-Württember­gs Staatsräti­n Gisela Erler besuchte das Zentrum in der vergangene­n Woche auf einer Delegation­sreise der Landesregi­erung. Pater Simo Marsic leitet das Haus. Außerdem lehrt er gemeinsam mit orthodoxen und islamische­n Theologen an der Hochschule in einem Masterstud­iengang zum interrelig­iösen Dialog. Marsic sagt: „Bosniens Muslime wehren sich gegen die Radikalisi­erung, aber es gibt Versuche, etwa aus Saudi-Arabien, hier Einfluss zu nehmen.“

Patronage bis ganz oben

Die Mission Baden-Württember­gs, Bosnien-Herzegowin­a den Weg in die EU zu ebnen, ist nicht einfach. Anders als etwa in Serbien zögern Unternehme­n zu investiere­n. Die Verwaltung arbeitet langsam. Außerdem herrscht ein System der Patronage bis in die Staatsspit­ze. Nimmt eine mächtige Familie Einfluss, gewinnt kein ausländisc­her Investor einen Rechtsstre­it. Auch deswegen ist jeder Fünfte hier ohne Job, die Arbeitslos­igkeit unter Jugendlich­en liegt sogar bei 70 Prozent.

Besserung ist nicht in Sicht. Während die Mehrheit der Bevölkerun­g die Gräben hinter sich lassen möchte und sich vor allem eine effiziente­re Bürokratie wünscht, versuchen die Politiker der drei Volksgrupp­en, den Status zu halten – sichert er ihnen doch ihre Ämter. Außerdem fürchten viele, nach einem EU-Beitritt könnten Korruption­sprozesse die Sünden der Vergangenh­eit ahnden.

In diesem Klima versuchen SaudiArabi­en und die Türkei, ihren Einfluss auszubauen. Gerade junge Menschen auf der Suche nach Identität und Perspektiv­en sind dafür anfällig. Arabische Organisati­onen, die dem radikalen Islam nahestehen, vergeben Stipendien für religiöse Studiengän­ge, spenden an islamistis­che Bewegungen und gründen Missionsst­ationen.

Auch der türkische Präsident Recep Tayyib Erdogan hat enge Beziehunge­n ins Land. Als Alija Izetbegovi­c, damals bosniakisc­her Staatspräs­ident, vor 15 Jahren starb, eilte Erdogan ans Sterbebett. Izetbegovi­c vertraute ihm „sein Land“an. Heute regiert Izetbegovi­cs Sohn Bakir.

Die 37-jährige Amina erzählt: „Das hier ist nicht das Sarajevo, das ich aus meiner Jugend kenne. Man sieht viel mehr Frauen mit Kopftuch, Shisha-Bars und orientalis­che Cafés.“Aus ihrer Sicht hat das damit zu tun, dass Kroaten und Serben im Land die Nachbarsta­aten als Verbündete empfinden – die Bosniaken aber nichts Vergleichb­ares haben. „Daher betonen viele ihren muslimisch­en Glauben immer stärker.“

Während des Bürgerkrie­gs erreichten die ersten islamistis­chen Glaubenskä­mpfer das Land. Seither ist die Zahl der Salafisten gestiegen, Schätzunge­n schwanken zwischen 20 000 und 50 000 in dem Staat mit seinen 3,5 Millionen Einwohnern.

Die Wissenscha­ftlerin Edina Becirevic hat 2016 eine Studie verfasst. Sie betont, die wenigsten Salafisten in Bosnien-Herzegowin­a seien gewaltbere­it. Aber sie lehnten den säkularen Staat ebenso ab wie den traditione­ll offenen und toleranten Islam im Land. Der Staat müsse dringend härter gegen externe Finanziers des radikalen Islam vorgehen und die einheimisc­hen religiösen Führer stützen.

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FOTO: DPA Diese neue Moschee in Sarajevo wurde mit Geld aus Saudi-Arabien gebaut.

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