Grenzgänger der Musik
Weltweit verabschieden Fans den verstorbenen Avicii
Es war eine rasante Karriere, ein Leben auf der Überholspur – das leider ebenso abrupt ein Ende fand: Am Freitag wurde der Star-DJ Tim Bergling, weitaus bekannter unter seinem Künstlernamen Avicii, mit gerade einmal 28 Jahren in einem Hotel in Maskat, Oman, tot aufgefunden. Der kurz darauf einsetzende Strom an Würdigungen und Beileidsbekundungen ging deutlich über die bereits beeindruckende Zahl an namhaften Künstlerkollegen wie Madonna oder Coldplay-Frontmann Chris Martin hinaus: So trauerten Prinzessin Sodia (33) und Prinz Carl Philip von Schweden um einen bewundernswerten „Künstler und guten Menschen“: „Er machte unsere Hochzeit unvergesslich mit seiner einmaligen Musik.“Und in mehreren holländischen Kirchen waren Glockenspiel-Interpretationen seiner Hits zu hören – so ließ im Dom in Utrecht Stadtglöcknerin Malgosia Fiebig Songs wie „Wake Me Up“und „Without You“erklingen.
Ein durchaus passendes Tribut, denn mit seinen Songs zelebrierte Avicii das Leben im Club als geradezu sakrale Erfahrung: Im stolze 1,5 Milliarden Mal aufgerufenen Clip zum Song „Wake Me Up“fühlen sich zwei junge Frauen in einer Kleinstadt als Fremde – bis die ältere von ihnen mit dem Pferd in eine benachbarte Stadt reitet und auf einem Avicii-Konzert ein Gefühl von Akzeptanz und Geborgenheit erfährt. Diese Wärme und ein positives Lebensgefühl strahlten viele der Hits des Schweden aus, auch wenn sein Name auf Avici, die tiefste Ebene der buddhistischen Unterwelt verweist, in die nur Schwerstverbrecher gelangen. Gekennzeichnet wurden seine Songs zudem nicht nur von tanzbaren Beats, sondern einer eingängigen Melodik, die nun selbst eine Adaption als Glockengeläut ermöglichte.
2016 Abschied von der Bühne
So schaffte es der Schwede, das Chart-taugliche Popgeschäft mit der Electronic Dance Music (EDM) zu verbinden. Letztere ist ein schwammiger Sammelbegriff für die viele Genres umgreifende Musik, wie sie in Clubs gespielt wird. Genregrenzen spielten für Avicii ohnehin keine große Rolle, eifrig bediente er sich für seine Stücke besonders bei der Soul-Musik und arbeitete auch mit Pop- und Rockstars wie Robbie Williams und Lenny Kravitz zusammen. Diese zahlreichen Kollaborationen erklären auch den beachtlichen Einfluss einer Karriere, die auf mit dem aktuellen Musikgeschäft weniger vertraute Beobachter eher befremdlich wirken mag.
Denn in seiner Laufbahn veröffentlichte Avicii gerade einmal zwei konventionelle Studioalben, „True“und „Stories“. Die Zahl seiner Songs, die er selber oder zusammen mit anderen Künstlern herausgebracht hat oder für die er als Produzent oder Remixer verantwortlich war, liegt dagegen im dreistelligen Bereich. Dadurch dominierte sein Sound über Jahre unzählige Clubnächte und Strandparties, auch wenn er sich selber bereits 2016 aus dem Tourgeschäft als DJ zurückgezogen hatte. Er konnte es sich leisten, denn während die Engagements als Plattenaufleger zu enormen Gagen für viele seiner Kollegen die Haupteinnahmequelle darstellen, dürfte Avicii bereits mit konventionellen Plattenverkäufen sowie Downloads und Streaming mehr als ausgesorgt haben.
Vor allem war das Bühnenende aber wohl eine Notwendigkeit, denn durch exzessiven Alkoholkonsum hatte Tim Bergling bereits in jungen Jahren seine Gesundheit nachhaltig ruiniert und musste unter anderem an der Bauchspeicheldrüse operiert werden. Ob dies auch die Ursache für sein unerwartetes Ableben war, ist bislang unbekannt, ein Fremdverschulden wurde von den Behörden in Oman jedenfalls ausgeschlossen.
Doch auch wenn seine Musik wie alle guten Dance-Tracks vor allem das Leben im Moment feierte, dürfte sie auch über seinen Tod hinaus nachwirken. Im Stockholmer Stadtzentrum gedachten seine Fans seiner dann auch mit etwas, was jedem Clubbesucher eigentlich ein Gräuel ist: mit einer Minute absoluter Stille.