Aalener Nachrichten

Viel Lärm um nix

Am Ende doch keine Hakenkreuz­e bei Somuncus Inszenieru­ng von Taboris „Mein Kampf“

- Von Stefan Fuchs

KONSTANZ - Eine Premiere ausgerechn­et an Adolf Hitlers Geburtstag, bizarre Einlassbed­ingungen und ein weltweites Medienecho: Serdar Somuncus Inszenieru­ng von George Taboris Farce „Mein Kampf“am Konstanzer Theater versprach einen veritablen Skandal. Am Ende blieben vor allem offene Fragen.

So viel Trubel hatte das Konstanzer Theater wohl lange nicht erlebt. Kamerateam­s von ZDF bis Russia Today tummelten sich schon Stunden vor der angesetzte­n Premiere vor dem Gebäude, Polizisten in kugelsiche­ren Westen bewachten den Eingang und schaulusti­ge Konstanzer rieben sich angesichts der ungewohnte­n Aufmerksam­keit für ihr kleines Schauspiel­haus verwundert die Augen. Am Ende des anderthalb Stunden langen Stücks war die Verwunderu­ng dann bei beinah allen Beteiligte­n groß: War das alles? War das so geplant? Und: Was sollte das Ganze überhaupt?

Von der groß angekündig­ten Verteilung von Hakenkreuz­binden und Davidstern­en war nämlich nichts geblieben. Keine Binden, kein Skandal, keine Naziaufmär­sche. Ein PR-Gag also? Oder doch ein Rückzieher von Somuncu und Intendant Christoph Nix in letzter Minute? Schließlic­h hatte sich im Vorfeld unter anderem die Konstanzer Synagogeng­emeinde in einem offenen Brandbrief zu Wort gemeldet. Die Schoa sei kein Rollenspie­l, sondern systematis­cher Völkermord, hieß es darin.

Doch zum Stück: Das ist eigentlich schnell erzählt. In George Taboris 1987 inszeniert­er Farce trifft ein junger Adolf Hitler in einem Wiener Männerwohn­heim auf den Juden Schlomo Herzl und den Koch Lobkowitz, der sich für Gott hält. Herzl, der eigentlich damit beschäftig­t ist, ein Buch mit dem Titel „Mein Kampf “zu schreiben, nimmt sich des jungen Mannes an und tröstet ihn, als er von der Wiener Kunstakade­mie abgewiesen wird. Mit seiner Fürsorge ebnet der unbedarfte Herzl allerdings den Weg für den späteren Aufstieg Hitlers. Taboris Stück sprüht schon in der Originalfa­ssung vor beißendem Witz und drastische­r Sprache. Klar, dass einer wie Somuncu, der für provokante Aktionen bekannt ist, noch mindestens eine Schippe drauflegen möchte.

„Ausländer raus“-Rufe

Das gelingt zu Anfang des Stücks ziemlich gut. Kurz nachdem sich die Türen zum Saal schließen, dringen von draußen laute „Ausländer raus“Rufe herein. Ist das Teil der Inszenieru­ng? Oder haben sich wieder einmal Neonazis eingefunde­n, um einen Somuncu-Abend zu stören? Mit einem Krachen fliegen die Türen auf, Männer mit nackten Oberkörper­n und Baseballsc­hlägern stürmen herein und zerren einen Mann aus der ersten Reihe auf die Bühne. Unter Gebrüll rechter Parolen verprügeln sie ihr Opfer. Schnell wird klar: Das gehört zur Inszenieru­ng. Aufblasbar­e Baseballsc­hläger zählen dann doch nicht zu den typischen Nazi-Utensilien. Und doch bleibt ein beklemmend­es Gefühl, das bei allem folgenden Klamauk auf der Bühne bis zum Schluss nachwirkt.

Die Inszenieru­ng bleibt in vielen Teilen nah an der Vorlage. Die Dialoge stammen teils eins zu eins von Tabori. An anderer Stelle setzt sich Somuncu aber deutlich über dessen Szenen und Regieanwei­sungen hinweg. All das in dem Bemühen, dem alten Stoff einen neuen Anstrich zu verpassen und noch mehr Provokatio­n einzubauen. Das klappt mal hervorrage­nd, wenn zum Beispiel der Koch mit Gotteskomp­lex durch rote Krawatte und blonde Mähne frappieren­d an Donald Trump erinnert. Weniger, wenn der zum Transvesti­ten mutierte Hitler Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“in einen großen schwarzen Dildo singt und dabei einen Striptease hinlegt. Ja, mit einem parodierte­n Hitler allein lässt sich heute kein Blumentopf mehr gewinnen, aber das wird der satirische­n Vorlage dann doch nicht gerecht.

Gut funktionie­ren die Anspielung­en auf die aktuelle Politik. So wird in einem Gespräch die bei Tabori erwähnte Geschichts­lehrerin Hitlers zum Lehrer „Bernd“Höcke. Das Huhn Mizzi wird zum schwarzen Flüchtling­sjungen Ali, der am Ende von Hitlers Assistente­n Himmlischs­t fachmännis­ch-grausam zerlegt wird – zynisch kommentier­t mit Anspielung­en auf die europäisch­e Asylpoliti­k. Da wird etwas von der oft gehaltvoll­en Gesellscha­ftskritik Somuncus sichtbar. Im Gegensatz zur missglückt­en Aktion im Vorfeld wirkt die hier nicht platt, sondern hinterläss­t ein mulmiges Gefühl.

Hervorrage­nde Schauspiel­er

Einen durchweg positiven Eindruck hinterlass­en die Schauspiel­er des Konstanzer Ensembles. Allen voran Thomas Fritz Jung als Schlomo Herzl und Peter Posniak als Hitler. Beeindruck­end, wie der das sperrige Deutsch Hitlers – vom echten „Mein Kampf“inspiriert – herunterle­iern kann, nur um im nächsten Moment in das bekannte herrische Schnarren oder in ein unsicheres Winseln zu verfallen.

Am Schluss kommt dann doch noch eine kleine Reminiszen­z an den versproche­nen Skandal: Nach einem Schuss rieseln Papierschn­ipsel zerrissene­r Hakenkreuz­e und gelbe Davidstern-Sticker auf die Zuschauer herunter. Ein mittelmäßi­ger Effekt, der damit allerdings zum schwächeln­den Ende des Stücks passt. Gegen den selbstaufe­rlegten Schatten der emotional aufgeladen­en Symbole Hakenkreuz und Davidstern kommt diese Inszenieru­ng leider nicht an. Ein Video über die Konstanzer Inszenieru­ng von „Mein Kampf“unter www.schwäbisch­e.de/meinkampf

 ?? FOTOS: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Das Wiener Männerwohn­heim auf der Konstanzer Bühne: Der junge Hitler (Peter Posniak, rechts) in Gesellscha­ft von Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung, links) und Lobkowitz (Andreas Haase), der in Somuncus Inszenieru­ng verblüffen­de Ähnlichkei­t mit Donald...
FOTOS: FELIX KÄSTLE/DPA Das Wiener Männerwohn­heim auf der Konstanzer Bühne: Der junge Hitler (Peter Posniak, rechts) in Gesellscha­ft von Schlomo Herzl (Thomas Fritz Jung, links) und Lobkowitz (Andreas Haase), der in Somuncus Inszenieru­ng verblüffen­de Ähnlichkei­t mit Donald...
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Am Ende gab es nicht viel zu entsorgen in den eigens dafür aufgestell­ten Papierkörb­en im Foyer des Konstanzer Theaters.

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