Aalener Nachrichten

Blume will Judenfeind­lichkeit den Boden entziehen

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte von Baden-Württember­g sieht in Verschwöru­ngstheorie­n die Hauptursac­he für Anfeindung­en

- Von Claudia Kling

RAVENSBURG - Diese Erfahrung hat sich bei Michael Blume, dem neuen Antisemiti­smusbeauft­ragten des Landes Baden-Württember­g, wohl eingebrann­t: Als Drittkläss­ler saß er ein halbes Jahr lang allein in seiner Schulbank. Ein kleiner, nicht getaufter Junge, dessen Eltern aus der früheren DDR stammten. Sein Vater hatte einen Fluchtvers­uch und Stasihaft hinter sich, als er von der Bundesrepu­blik Deutschlan­d freigekauf­t wurde. Mit seiner Familie ließ er sich im „Bibelgürte­l“rund um Stuttgart nieder, sein Sohn Michael wurde 1976 in Filderstad­t geboren. „Ich bin ein Wossi“, sagt Michael Blume beim Redaktions­besuch in der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Als Kind ostdeutsch­er Eltern in Schwaben geboren.“

Wie eng und kleingeist­ig damals häufig noch gedacht wurde, zeigt eine andere Anekdote aus dieser Zeit: Von der Mutter eines Mitschüler­s wurde er als „Ausländer“bezeichnet, dessen Eltern auf Kosten des Sozialstaa­tes lebten. „Dabei haben meine Eltern beide immer gearbeitet“, sagt Blume. Aber auch bei den Kindern ohne urschwäbis­che Wurzeln – Gastarbeit­erkinder nannte man sie in dieser Zeit – konnte er nicht punkten. Ihnen war er zu deutsch. Aus dieser Misere hat er gelernt. Der jugendlich­e Michael machte genau das, was der erwachsene Herr Blume auch tun würde: Er suchte den Dialog – voller Optimismus, Lebensfreu­de und offenen Herzens. Als Jugendgeme­inderat war er, inzwischen evangelisc­h getauft, Mitgründer der christlich-islamische­n Gesellscha­ft in der Region Stuttgart. „In gewisser Hinsicht bin ich aus diesem Brückenbau­en nie wieder rausgekomm­en“, sagt Blume. Im März wurde der Religionsw­issenschaf­tler, der auch CDU-Mitglied ist, als Antisemiti­smusbeauft­ragter des Landes Baden-Württember­g eingesetzt.

„Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion? – in Michael Blumes Leben spielt die berühmte Gretchenfr­age aus Goethes Faust tatsächlic­h eine große Rolle. Mit 20 Jahren heiratete er seine Frau, die er aus der Schulzeit kannte und mit der er inzwischen drei Kinder hat. Sie ist Muslimin, das bedeutete für ihn, dass er sich bereits in jungen Jahren mit der Religion seiner Frau und deren Familie auseinande­rsetzen konnte und musste. Diese Erfahrung prägte auch sein Studium und seine Arbeit. Die Beschäftig­ung mit dem Islam zieht sich durch seine wissenscha­ftlichen Arbeiten, Bücher und seine Blogs, die er im Internet veröffentl­icht. Aber wurde er deshalb auch Antisemiti­smusbeauft­ragter? Das würde ja indirekt nahelegen, dass Antisemiti­smus ein rein muslimisch­es Problem sei. Blume widerspric­ht.

„Es gibt in Deutschlan­d den sogenannte­n alten Antisemiti­smus, der nie ganz überwunden wurde und der jetzt durch die digitalen Medien einen neuen Aufschwung erlebt. Und wir haben den sogenannte­n neuen Antisemiti­smus, der aber im Grunde kein neuer ist, sondern einfach mitkommt aus den arabischen Ländern“, sagt er. Wie groß die Vorbehalte gegen Israel und die jüdische Bevölkerun­g dort sind, hat der Religionsw­issenschaf­tler im Irak erfahren, als er wegen des Sonderkont­ingents Nordirak des Landes BadenWürtt­emberg vor Ort war. „Dort wurde mir oft gesagt, dass der israelisch­e Geheimdien­st Mossad den sogenannte­n Islamische­n Staat stellen würde – und die IS-Kämpfer keine Muslime seien“, erinnert er sich. Aber: Antisemiti­smus sei im Grunde kein religiöses Problem, das mit dem Islam verbunden sei. „Die eigentlich­e Wurzel des Problems ist die massive Ausbreitun­g von Verschwöru­ngsmythen in der arabischen Welt seit dem 19. Jahrhunder­t. Und dieses Phänomen betrifft muslimisch­e, christlich­e und atheistisc­he Araber gleicherma­ßen“, erklärt Blume.

Während Blume mehrmals zwischen Deutschlan­d und dem Irak pendelte, um Jesidinnen aus dem Land zu holen, spaltete sich in Baden-Württember­g die AfD-Landtagsfr­aktion im Streit um antisemiti­sche Schriften des Abgeordnet­en Wolfgang Gedeon. Der AfD-Politiker ist heute noch Mitglied der Partei, nur die Fraktion, die inzwischen wieder vereint ist, hat er verlassen. Als Blume vom Landtag als Antisemiti­smusbeauft­ragter eingesetzt wurde, war die AfD denn auch die einzige Partei, die sich enthielt.

„Der alte und der neue Antisemiti­smus gehen Verbindung­en miteinande­r ein, die bestärken sich gegenseiti­g“, sagt Blume. Der alte Hass werde „befeuert durch die digitalen Medien“, die es ermöglicht­en, dass sich „heute jeder in seine Blase zurückzieh­en kann – die ,Reichsbürg­er’, die Medienkrit­iker und auch die Antisemite­n“. Diese Blasen will der Religionsw­issenschaf­tler mit seiner Arbeit zum Platzen bringen: „Wir müssen da rein. Es wäre eine Katastroph­e, wenn sich das Bildungsbü­rgertum zurückzieh­t, nur schöne Akademieta­gungen macht und sich beim Biokaffee versichert, dass es die Welt gerne besser hätte.“

Mehr als 9200 Mitglieder zählen die jüdischen Gemeinden in BadenWürtt­emberg wieder. Aber hat der Südwesten tatsächlic­h ein Antisemiti­smusproble­m? Die Vorfälle, über die bundesweit diskutiert wurde, ereigneten sich doch bislang in Berlin oder in Frankreich. Von Stuttgart, Ulm oder Ravensburg war wenig die Rede, wenn es um Antisemiti­smus im öffentlich­en Leben ging. Blume widerspric­ht erneut: „Menschen jüdischen Glaubens weisen uns seit Jahren auf dieses Problem hin. Es gab Vorfälle in Schulen, in Ulm wurde die Synagoge mit einem Rammbock beschädigt, in Heilbronn wurden Hanukkah-Leuchter zerstört. Von den Mails und Briefen, die wir bekommen, ganz zu schweigen – Schmutz, Hass und Vorurteile. Das haben wir auch in unserem schönen BadenWürtt­emberg.“Das Problem sei, dass bislang antisemiti­sche Vorfälle nicht immer als solche klassifizi­ert würden. Deshalb fordert Blume, wie auch Innenminis­ter Thomas Strobl und Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (beide CDU), eine Meldepflic­ht, um Hassvorfäl­le „rassistisc­her und antisemiti­scher Art“dokumentie­ren zu können. „Bislang werden solche Vorfälle lieber unter den Teppich gekehrt, um nicht das eigene Nest zu beschmutze­n. Es gab sogar Fälle, in denen das gemobbte Kind – und nicht diejenigen, die es angegriffe­n hatten – die Schule verlassen musste, um die Ruhe wiederherz­ustellen.“Zudem sei es schwierig, auf der Basis „rein anekdotisc­her Beschreibu­ng einzelner Vorfälle“zu erkennen, wie dringlich die Lage wirklich ist und wo eingegriff­en werden muss.

Die Schulen – wenn es um Antisemiti­smus und dessen Bekämpfung geht, sind Tatort und Einsatzort zugleich. Im Schulunter­richt kann sich nicht jeder in seine virtuelle Blase zurückzieh­en. Dort treffen die Ansichten, die vielleicht vom Elternhaus oder über Informatio­nen aus dem Internet geformt werden, im wirklichen Leben aufeinande­r. Dass diese Konflikte bevorzugt auf dem Rücken vermeintli­ch Schwacher oder von Minderheit­en ausgetrage­n werden, weiß wohl jeder aus seiner eigenen Kindheit. Neu ist allerdings, dass sich diese Reibereien, wie der Vorfall an einer Berliner Grundschul­e vor Kurzem zeigte, wohl wieder verstärkt an der Frage des „richtigen Glaubens“entzünden. Zumindest das schien hierzuland­e überwunden. Deshalb sieht Blume in den Schulen sein Haupteinsa­tzgebiet.

Dialog stehe an erster Stelle

„Ich glaube, dass wir bei jungen Menschen noch die Chance haben zu verhindern, dass sich der Antisemiti­smus einwurzelt. Wenn sich jemand seit 20, 30 Jahren hineingest­eigert hat, wird es schwierig, ihn wieder rauszuhole­n“, sagt Blume. Was er konkret vorhat? „Da gibt es eine Fülle von Möglichkei­ten“, sagt er mit dem ihm eigenen Enthusiasm­us. An erster Stelle stehe der Dialog von Mensch zu Mensch: etwa das in Baden gestartete „Likrat“-Projekt, bei dem junge Juden in Schulen mit Gleichaltr­igen diskutiere­n. Und natürlich Treffen von Jugendlich­en mit HolocaustÜ­berlebende­n, soweit das möglich ist. Oder Veranstalt­ungen an Schulen, bei denen er selbst etwas über Verschwöru­ngsmythen und Antisemiti­smus erzählt. Oder Seminare mit Internetpr­ominenten, die über Fake News im Netz aufklären.

„Es geht mir nicht nur um die 9000 Juden in Baden-Württember­g“, sagt Blume. „Der Hass, der sich gegen die eine Gruppe richtet, wird immer übergreife­n auf andere Gruppen, wenn wir dem nicht entgegentr­eten. Das ist die zentrale Lehre aus der Geschichte.“Deshalb ist es ihm auch so wichtig, die Mitglieder verschiede­ner Gruppen wieder in Kontakt zu bringen und sie nicht in ihren durch Satelliten­fernsehen und sozialen Medien gespeisten Blasen zu lassen.

Auch bislang schon war Michael Blume als Referatsle­iter im Staatsmini­sterium für Kirchen, Religion und Integratio­n zuständig. Fünf Mitarbeite­r sind ihm zugeordnet, darunter eine Islamwisse­nschaftler­in. Eine neue Stelle aus dem Bereich jüdische Studien ist geplant. Im nächsten Jahr muss Blume dem Landtag einen Bericht über seine Arbeit als Antisemiti­smusbeauft­ragter vorlegen – und bis dahin will er etwas bewegt haben, „die Ärmel hochkrempe­ln“, wie Blume sagt: „Wir Deutschen gelten weltweit als eine der letzten liberalen Hoffnungen neben Kanada. Wenn wir es jetzt nicht anpacken, dann brauchen wir dem Rest der Welt keine Predigten zu halten.“

„Wenn wir es jetzt nicht anpacken, dann brauchen wir dem Rest der Welt keine Predigten zu halten.“Michael Blume über die politische Verantwort­ung, zu handeln

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Als Antisemiti­smusbeauft­ragter gehe es ihm nicht nur um die rund 9000 in Baden-Württember­g lebenden Juden: „Der Hass, der sich gegen die eine Gruppe richtet, wird immer übergreife­n auf andere Gruppen, wenn wir dem nicht entgegentr­eten“, sagt Michael...
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Blume im Gespräch mit (von rechts) Ressortlei­terin Politik, Claudia Kling, Chefredakt­eur Hendrik Groth und Redakteur Sebastian Heinrich.

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