Lispelnde Hermeline und Akrobatik
Lyrikerin Nora Gomringer und Schlagzeuger Philipp Scholz in Aalen zu Gast
AALEN - Die Lyrikerin Nora Gomringer und der Schlagzeuger Philipp Scholz sind am Dienstag im Rahmen der Kulturreihe „wortgewaltig“in der Stadthalle zu Gast gewesen. Dem etwas zu spät eintreffenden Besucher bietet sich an diesem Abend in der Stadthalle ein unwirkliches Bild. Der große Saal ist leer, bis auf eine Hand voll Leute in der ersten Reihe. Ist die Veranstaltung etwa abgesagt?
Aber nein, auf der Bühne tut sich was. Durch den zu einem Teil geöffneten Vorhang sieht man, je nach Standpunkt, zur Linken einige Stuhlreihen mit Zuhörern und zur Rechten Nora Gomringer am Lesetisch und Philipp Scholz vor seinen Percussions-Utensilien. Publikum und Künstler sitzen sich auf der Bühne Auge in Auge gegenüber. Intime Wohnzimmeratmosphäre also. Das tut dem Abend gut, fördert den Kontakt und erleichtert die gegenseitige Kommunikation. Nora Gomringers Vater, Eugen Gomringer, beziehungsweise sein Gedicht „Avenidas y flores“, hat es vor Kurzem zu bundesweiter Medienpräsenz geschafft. Studentinnen der Berliner Alice-Salomon-Hochschule haben hinter der Hand voll spanischer Zeilen Sexismus entdeckt und erfolgreich die Entfernung von der Fassade des Gebäudes gefordert. Und natürlich stand dieses Gedicht auch auf dem Programm von Nora Gomringer.
Die Besucher erlebten darüber hinaus einen literarischen Abend zwischen Beschaulichkeit, Nachdenklichkeit und Artikulationsakrobatik. Beschaulich ging es etwa in einem Text von Nora Gomringer über eine Wanderung in den Schweizer Bergen zu, bei dem plötzlich ein kleines Pelztier, ein Hermelin, das Wort an sie richtet. Der kleine Nager mit putziger Schnauze und scharfen Zähnen lispelt zwar ziemlich stark, ist aber ansonsten gut verständlich. „Sind die Tiere in dieser Gegend verzaubert?“, will die Wanderin von ihrem Gefährten wissen. „Nein, nein“, antwortet dieser. Sie sind eher genervt vom touristischen Trubel, und er outet sich als durchaus bodenständiger Zeitgenosse.
Ein erfrischender, phantasievoller Text, den Gomringer mit lebhafter, ausdrucksvoller Stimme vorträgt. Dazu fordert sie an den passenden Stellen immer wieder die akustische Ergänzung und Unterstützung durch Philipp Scholz an. Der liefert zu ihren Texten neben xylofonischem Wohlklang und stringentem Rhythmus auch mal schrille Töne, wenn es zum Beispiel um die in einem Spukhaus vergessenen Geister geht. Neben lyrischen und gesellschaftskritischen Texten hat Nora Gomringer an diesem Abend aber auch Poetry Slam und Lautmalerei, wie etwa in den „Häusertexten“nach einem alten chinesischen „Weisheitstext“im literarischen Gepäck.