Mensch frisst Fläche – Wie viele neue Baugebiete noch?
Wenn Andreas Vollmer aus dem Haus tritt, blickt er auf Obstbäume, ein Bach schlängelt sich durch die Wiesen am Albtrauf. Hier am Ortsrand von Brucken nahe Kirchheim unter Teck tummeln sich Ringelnattern, Fledermäuse und seltene Vögel. Und mit diesem Naturidyll soll es bald vorbei sein? Die zuständige Gemeinde Lenningen hat Grund hier gekauft und plant auf zwei Hektar 32 bis 36 Bauplätze. Grund genug für Anwohner und Gleichgesinnte, sich in einer Bürgerinitiative zu organisieren. Sie wollen sich vernetzen und juristische Möglichkeiten prüfen. „Wir sind nicht gegen das Bauen prinzipiell“, betont der Bruckener. Man frage sich aber, warum es, bevor Flächen außerhalb verbraucht werden, nicht zunächst eine Innenverdichtung in den Ortschaften gibt. Dafür, so die Bürgeriniative, gelte es Anreize zu schaffen. 2016 wurden in Baden-Württemberg 1268 Hektar bebaut, versiegelt oder besiedelt, so viel wie 1811 Fußballfelder. Täglich sind es 3,5 Hektar. Zwar waren es 2007 noch rund zehn Hektar täglich. Vielen erscheint das heutige Tempo aber immer noch zu hoch. Den größten Anteil machen neue Wohnungen aus. Betonwüste statt Blumenmeer? Für Naturschützer und Anwohner sind Fälle wie in Brucken ein Horrorszenario. Aber auch für Landwirte: Zwar verdienen Einzelne mit dem Verkauf von Flächen Geld, diese gehen den Bauern insgesamt aber verloren. Zudem müssen Landwirte bei Bauprojekten Umwelt-Ausgleichsflächen zur Verfügung stellen. In Bayern haben die Grünen nun ein Volksbegehren initiiert. Ihre Forderung: täglich nur noch fünf Hektar im Freistaat versiegeln. Umweltschützern wie Werner Gottstein, Regionalvorsitzender beim BUND Ostwürttemberg, gehen derartige Forderungen nicht weit genug. „Es sollte auf eine Netto-Null herauslaufen“, fordert er: „Was ich versiegele, muss ich an anderer Stelle entsiegeln.“Als Grund für den Landverbrauch im Ostalbkreis und anderswo sieht Gottstein niedrige Baupreise und die Tendenz zu Einfamilienhäusern in der freien Natur mit 80 Quadratmetern Wohnfläche pro Person und Grundstücken von 600 bis 800 Quadratmetern Größe. „Wären es nur 400, könnte man doppelt so viele Menschen unterbringen“, sagt Gottstein: „Unsere Böden sind endlich.“Der Flächenfraß ist für ihn „eine Katastrophe“. „Hier muss endlich ein Umdenken stattfinden“, mahnt er an und schlägt verschiedene Strategien, von innerörtlicher Nachverdichtung bis zu Wohngemeinschaften, vor (siehe Interview). Auf der anderen Seite stehen die Verantwortlichen in den Gemeinden unter enormem Druck: „Wir haben unglaublichen Bedarf “, sagt Raimund Müller, Bürgermeister von Jagstzell, wo – wie überall im Ostalbkreis – gebaut wird. „Wir sind eine relativ junge Gemeinde in einer starken Wirtschaftsregion mit guter Beschäftigung“, sagt Müller. Wenn man die jungen Leute nicht verlieren wolle, komme man an Baugebieten nicht vorbei. Müller wären neue Wohnungen im Ortskern lieber, auch, weil die Gemeinde dort keine zusätzliche Infrastruktur schaffen muss: „Wir verdichten im innerörtlichen Bereich, wo wir können, und suchen händeringend nach Wohnraum, sobald etwas bekannt ist“, sagt er. Die Zeiten, in denen Großfamilien ein Anwesen bewohnten, sind vorbei. Schon jetzt gibt es Interessenten für ein erst kürzlich ausgeschriebenes neues Baugebiet. Für Müller ist wichtig, neue Bauplätze am Ortsrand „nicht superbillig“anzubieten, um keine Konkurrenz zum innerörtlichen Bauen zu schaffen. Mit dem Baugebiet „In der Jagstaue“hat Jagstzell immerhin ein großes innerörtliches Baugebiet auf einer ehemaligen Bahnfläche ausgewiesen. Hier entstehen 55 Wohneinheiten.
„Wir suchen händeringend innerörtlichen Wohnraum.“