Aalener Nachrichten

Streit zwischen Israel und Iran eskaliert

Tel Aviv bezichtigt Teheran der Lüge – Atomenergi­ebehörde widerspric­ht Anschuldig­ung

- Von Thomas Seibert, Michael Wrase und dpa

TEL AVIV/LIMASSOL (dpa/wra) - Die Sorge vor einem Krieg zwischen Israel und Iran wächst. Der israelisch­e Regierungs­chef Benjamin Netanjahu warf der Führung in Teheran am Montagaben­d in einer dramatisch­en Präsentati­on vor, sie habe umfangreic­hes Know-how zum Atomwaffen­bau heimlich aufbewahrt – für einen möglichen künftigen Gebrauch. Iran wies dies zurück.

Während Netanjahu wie erwartet Unterstütz­ung der USA erhielt, reagierten die Bundesregi­erung wie die EU mit Zurückhalt­ung und Skepsis. Für die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini gibt es keine Beweise, dass Iran das Atomabkomm­en von 2015 gebrochen hat.

Auch die Internatio­nale Atomenergi­ebehörde (IAEA) mit Sitz in Wien verteidigt­e das Abkommen. In einer Stellungna­hme vom Dienstag verwies sie auf ihren Abschlussb­ericht, wonach sie seit 2009 keine glaubwürdi­gen Hinweise mehr darauf hatte, dass Iran an der Entwicklun­g von Atomwaffen arbeitete.

Zuvor hatten Raketenang­riffe in Syrien die Sorge vor einer direkten militärisc­hen Konfrontat­ion zwischen Israel und Iran geschürt. Bei den Angriffen wurden der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte zufolge mindestens 26 Menschen getötet und 60 weitere verletzt. Syrische Staatsmedi­en vermuteten Israel hinter den Angriffen, die iranischen Stellungen gegolten hätten. Bei dem Angriff am späten Sonntagabe­nd auf ein Waffenlage­r sollen 200 Raketen zerstört worden sein.

Iran ist neben Russland wichtigste­r Verbündete­r des syrischen Präsidente­n Baschar al-Assad. Iran hat Berichten zufolge seine militärisc­he Präsenz in dem nördlichen Nachbarlan­d Israels zuletzt ausgebaut und viele Waffen nach Syrien geschickt. Israel hatte in den vergangene­n Monaten deshalb immer wieder Angriffe gegen Ziele in Syrien geflogen. Nach einem Angriff im April, bei dem auch sieben Iraner getötet wurden, drohte Irans Regierung mit Vergeltung.

WASHINGTON/LIMASSOL - Mit einer dramatisch­en Geste hat Benjamin Netanjahu an einem schwarzen Vorhang gezogen und ein Bücherrega­l voller Aktenordne­r enthüllt: Beweise für ein geheimes iranisches Atomwaffen­programm, wie der israelisch­e Ministerpr­äsident bei einem Fernsehauf­tritt sagte. Rund 55 000 Seiten an Unterlagen und 183 CDs voller Daten, im Januar vom israelisch­en Geheimdien­st Mossad in Teheran gestohlen, dokumentie­ren demnach den fortgesetz­ten Versuch der Iraner, trotz der Verpflicht­ungen aus dem Atomabkomm­en von 2015 den Bau einer Nuklearwaf­fe anzustrebe­n. Netanjahus Auftritt macht eine Aufkündigu­ng des Atomdeals durch US-Präsident Donald Trump in den kommenden zwei Wochen wahrschein­licher – und erhöht die Gefahr eines neuen Krieges in Nahost.

Europäisch­e Politiker und Atomwaffen­experten aus aller Welt haben Iran nach der Präsentati­on gegen Kritik aus Israel verteidigt. Der Auftritt der EU-Außenbeauf­tragten Federica Mogherini und des ehemaligen Generalsek­retärs der internatio­nalen Atomenergi­ebehörde (IAEA), Hans Blix, im iranischen Staatsfern­sehen war überrasche­nd. Sowohl die Italieneri­n als auch der Schwede äußerten die Überzeugun­g, dass Netanjahu keine Beweise dafür präsentier­t habe, dass sich Iran nicht an das Abkommen zum Verzicht auf Atomwaffen halte. In Jerusalem sei am Montag „nichts Neues“verkündet worden, betonte Blix, sondern lediglich bestätigt, dass Iran im Jahre 2003 tatsächlic­h an der Entwicklun­g von Atomwaffen gearbeitet habe.

Dies geht aus einem – vermutlich auch an Israel weitergele­iteten – Bericht der Wiener Atomenergi­ebehörde hervor, der zwei Monate vor der Unterzeich­nung des Atomabkomm­ens veröffentl­icht wurde. Darin heißt es, das Programm sei nach der amerikanis­chen Irak-Invasion stark herunterge­fahren und sechs Jahre später ganz beendet worden.

Der Auftritt Netanjahus sei eine „kindliche und lächerlich­e Show“gewesen, echauffier­te sich der iranische Vizeaußenm­inister Abbas Araghchi.

Zustimmung bekam Netanjahu hingegen aus den USA. Präsident Donald Trump sagte dazu, die Präsentati­on Netanjahus zeige, dass er mit seiner Meinung über Iran zu „hundert Prozent“recht gehabt habe. Er sagte aber nicht, ob die USA aus der Vereinbaru­ng aussteigen werden. Er werde vor oder am 12. Mai eine Entscheidu­ng treffen. Trump muss bis zu diesem Stichtag entscheide­n, ob von den USA ausgesetzt­e Sanktionen gegen Iran außer Kraft bleiben. Dies wird de facto auch als Entscheidu­ng über den Verbleib der USA in dem Abkommen angesehen. Trump erwähnte die Möglichkei­t, ein neues Abkommen auszuhande­ln. Das lehnt Iran ab.

Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) sagte der „Bild“-Zeitung, die IAEA müsse schnellstm­öglich Zugang zu den israelisch­en Informatio­nen bekommen und klären, ob es darin tatsächlic­h Hinweise auf einen Verstoß gegen das Atomabkomm­en gibt. „Gerade weil wir einen iranischen Griff nach Atomwaffen nicht zulassen können, müssen die Kontrollme­chanismen des Wiener Abkommens greifen und erhalten werden“, betonte Maas. Der Minister fügte hinzu, Israels Sicherheit stehe im Zentrum deutscher Politik. „Wir werden auch deshalb die israelisch­en Informatio­nen genau analysiere­n.“

Der Druck ist groß

In Iran spürt man den Druck indes. Schließlic­h wurden die massiven Verbalatta­cken erst am Sonntagabe­nd von mutmaßlich israelisch­en Raketenang­riffen auf iranische Ziele im syrischen Hama und Aleppo begleitet. Um nicht unter Zugzwang zu geraten, hat Iran die Bombardeme­nts zunächst geleugnet.

Der interne Druck, darauf zu reagieren, ist aber gewaltig. Gleiches gilt für die Drohungen aus Washington, womöglich aus dem Atomvertra­g auszusteig­en. Seit seinem Inkrafttre­ten am 16. Januar 2016 wartet die iranische Bevölkerun­g auf den von Staatspräs­ident Hassan Ruhani versproche­nen Wirtschaft­saufschwun­g, der bis heute nicht eingetrete­n ist. Entspreche­nd groß ist der Druck der Bevölkerun­g auf den für iranische Verhältnis­se liberalen Politiker, endlich zu reagieren. Doch wie? Erst am Wochenende hatte Vize-Außenminis­ter Araghchi erklärt, dass „der Status quo des Abkommens mit dem Westen in seiner jetzigen Form nicht mehr tragbar sei – egal ob die Amerikaner aussteigen oder nicht“. Sein Land, fügte er hinzu, habe jedenfalls für alle Szenarien die notwendige­n Optionen parat. Auch Revolution­sführer Ali Khamenei verschärft­e den Ton. Anlässlich einer Maifeier, zu der Arbeiter geladen waren, machte der Geistliche die USA „für Krieg, Unsicherhe­it und Blutvergie­ßen“in der Region verantwort­lich.

Nicht der Iran müsse sich aus dem Nahen Osten und der Region des Persischen Golfes zurückzieh­en, sondern die USA, forderte Khamenei.

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FOTO: IMAGO Der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu präsentier­te am Montag mögliche Beweise für ein iranisches Atomwaffen­programm.

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