Aalen – ein Ort, an den man gerne zurückkehrt
Autorin Dagrun Hintze spricht über Aalen, Europa und ihr Stück „Wir sind die nebelfreie Stadt“
AALEN - Am Freitag um 20 Uhr feiert in der Aalener Stadthalle die Produktion „Wir sind die nebelfreie Stadt“Premiere. Unser Redakteur Ansgar König hat sich im Vorfeld mit der Autorin Dagrun Hintze über Aalen, Europa und das Stück selbst unterhalten. Das Treffen fand mitten in Aalen, im Café Dannenmann, statt. Hintze bestellt eine Apfelschorle. „Das heißt doch hier auch Apfelschorle?“, fragt die Hamburgerin die Bedienung. Die lächelt zustimmend. Das Apfelschorle? Die Apfelschorle? Clash of cultures – eine Norddeutsche auf der Schwäbischen Alb. Es ist laut im Dannenmann, viele junge Menschen, ein Aalener Treffpunkt, der auch im Stück selbst als solcher auftaucht.
Frau Hintze, wie und zu welchem Zweck ist das Stück mit dem Aalener Bürgerchor entstanden?
Ich kam auf Empfehlung von Karen Köhler, die 2015 den Schubart-Literatur-Förderpreis der Stadt Aalen erhalten hatte, in Kontakt mit Regisseurin Tina Brüggemann und Intendant Tonio Kleinknecht. Im Herbst 2015 fuhr ich dann nach Aalen, traf mich mit den beiden, um das Stück „Samstag in Europa“für den Boulevard Ulmer Straße vorzubereiten. Die Idee war, dem Stück mit einem Bürgerchor einen Rahmen zu geben. Anfang 2016 fuhr ich nochmals hierher, um 24 Aalenerinnen und Aalener für den Text des Bürgerchors zu interviewen. Der Bürgerchor fand im Stück aus logistischen Gründen lediglich als Videoeinspielung Platz. Mittlerweile sehe ich das aber als glückliche Fügung, denn jetzt ist eine eigenständige Produktion daraus geworden.
Was waren das für Menschen, die sie damals interviewt haben?
Ganz unterschiedliche, teils vorher ausgewählt, teils haben mir die Gesprächspartner weitere empfohlen. Ziel war, möglichst die ganze Bandbreite dessen abzubilden, was Aalen ausmacht. Ich sprach zum Beispiel mit einer älteren Dame und ihrer Mutter, die die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Aalen miterlebt hat. Ich sprach mit dem langjährigen Vorsitzenden eines Schützenvereins, mit einer ehemaligen MohrenBesucherin, mit einem Mann aus dem Iran, mit einer koptischen Christin aus Ägypten, die schon lange in Aalen wohnt, mit einer Familie, die nach dem Krieg aus den ehemaligen Ostgebieten nach Aalen floh, mit zwei Lokalpolitikern, ich war in der LEA in Ellwangen. Ich sprach mit einer türkischen Frau der dritten Ge- neration, die mir sagte, dass sie nie weiter als 40 Kilometer von Aalen weg wohnen will. Das fand ich beeindruckend. Aalen scheint offensichtlich ein Ort zu sein, an den man gerne zurückkehrt. Wie haben die Gesprächspartner mitgearbeitet? Es ist ja oftmals schwierig, sich einer Fremden im Gespräch zu öffnen. Aber alle Interviewten waren authentisch, keineswegs brauchtümlerisch. In meinen Interviews habe ich durchaus dezidierte Aussagen erhalten. Ich hatte stets das Gefühl, dass alle Spaß an der Entstehung des Stücks hatten, Spaß daran, über Aalen zu sprechen. Sie interessierten sich fürs Theater und waren stolz, ihren Teil beigetragen zu haben.
Und welches Bild von Aalen haben Sie gewonnen?
Zunächst habe ich ja mein eigenes Bild von den Schwaben mitgebracht. Ich war zum ersten Mal hier auf der Schwäbischen Alb. Ich habe die Alb dann als einen Landstrich kennen gelernt, in dem es durchaus soziale Kontrolle gibt, die aber gepaart mit Herzlichkeit und viel Gastfreundschaft. Ich habe zum Beispiel gelernt, dass Gastarbeiterkinder der dritten Generation eingesessener sein können als so mancher Blutschwabe. Eine Frau hat mir erzählt, dass die Italiener in Schwarzarbeit viele Eigenheime in Aalen gebaut haben – und das im Land von „Schaffa, schaffa, Häusle baua“. Diese Art von Humor fand ich klasse.
Im Stück heißt es: „Wenn es uns hier nicht gelingt, solidarisch zu sein, wie funktioniert das dann mit Europa?“Welche Rolle spielt der europäische Gedanke?
So viel ich weiß, leben hier über 100 Nationen: Das ist sehr viel für eine Stadt dieser Größe. Eine Stadt wie Aalen kann durchaus Vorbildcharakter für Europa haben. Wir müssen schließlich lernen, mit unterschiedlichen Gesellschaften zurechtzukommen. Im Prinzip funktioniert eine Stadt wie Europa, es muss ein Ausgleich zwischen verschiedenen Interessengruppen gefunden werden. Der im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber meinte sinngemäß sogar, dass die Nationalstaaten die Demokratie nicht mehr retten können, dass die Bürgermeister ran müssen, dass die Probleme dort gelöst werden können und sollen, wo sie entstehen – auf lokaler Ebene. Ich habe den Eindruck, dass das hier in Aalen ganz gut funktioniert. Soziale Kontrolle bedeutet auch, dass jeder jeden kennt, dass man miteinander redet – und das ist das Allerwichtigste.
Haben Sie eine grobe Vorstellung, wie der Freitagabend in der Aalener Stadthalle ablaufen wird?
Nein, mir ist zwar einiges erzählt worden, aber im Vergleich zu „Samstag in Europa“scheint sich noch einiges geändert zu haben.
Und wie sind Sie als Hamburgerin mit dem Schwäbischen klar gekommen?
Es war ungewohnt, aber ich kann das Schwäbische ganz gut verstehen. Der Dialekt ist gemütlich, schön.