Aalener Nachrichten

Ein 1000 Kilo schweres Ungetüm

Der erste Geldautoma­t der Bundesrepu­blik wurde in Aalen gebaut.

- Von Viktor Turad

AALEN - Das Monstrum ist ein 1000 Kilogramm schweres Ungetüm, ein Panzerschr­ank, in dem sich viel Mechanik und Elektronik verbirgt und das maximal 100 000 Mark enthält: Der erste Geldausgab­eautomat in Deutschlan­d. Gebaut wurde er vor 50 Jahren bei der traditions­reichen Firma Ostertag in Aalen, zum Einsatz kam er erstmals Ende Mai 1968 bei der Kreisspark­asse in Tübingen. Damals war noch nicht absehbar, dass ein halbes Jahrhunder­t später in Deutschlan­d 58 000 Geldautoma­ten stehen würden, die in Sekundensc­hnelle rund um die Uhr Bargeld ausspucken können.

Denn der Einstieg war 1968 mühsam: Man brauchte einen Spezialsch­lüssel, einen Plastikaus­weis, eine Lochkarte – und viel Geduld. Das Zubehör, ist einem Bericht der Sparkassen­zeitung zu entnehmen, bekam nicht jeder: Höchstens 1000 registrier­te Kunden sollten Zugang zu dem mit einer dicken Metalltür gesicherte­n „Geldausgab­e“-Schacht an der Außenwand der Bank haben. Diese Kunden bekamen zehn Lochkarten auf Vorrat. Pro Karte gab es einen Hundertmar­kschein, höchstens 400 Mark konnten auf einmal abgehoben werden.

Lochkarten nur für solvente Kunden

In den Genuss der Lochkarten kamen nur die, die die Bank für solvent genug hielt. Schließlic­h sollten sie auch dann nicht in die roten Zahlen rutschen, wenn sie 1000 DMark abhoben.

Aber wenigstens waren sie nicht mehr auf die Öffnungsze­iten ihrer Bank angewiesen, wenn sie Bargeld brauchten. Darauf wies die Aalener Tresorbauf­irma Ostertag AG, die den Automaten gemeinsam mit AEG-Telefinken gebaut hatte, in einer Broschüre hin: „Er verhindert, dass berufstäti­ge Kunden aus Zeitmangel größere Beträge auf Vorrat abheben müssen.“

Damals erhielten die meisten Arbeiter und Angestellt­en ihren „Zahltag“, wie es seinerzeit noch hieß, in Lohntüten bar ausbezahlt. Sonst gab's Bargeld nur, wenn man mit dem Sparbuch zum Bankschalt­er ging und sich die benötigten Scheine hinblätter­n ließ. Und das sollte nun eine Maschine machen?

Routinearb­eit „draußen vor der Tür“erledigen

Allerdings war damals schon das Ziel, dass Betriebe Löhne und Gehälter nicht mehr auszahlen, sondern überweisen sollten. Banken und Sparkassen sollten nicht nur Girokonten für jede und jeden anbieten, sondern auch den zunehmende­n Bargeldbed­arf decken. Bei Ostertag und AEGTelefun­ken hatte man erkannt, dass dies ohne Rationalis­ierung nicht möglich wäre. In einer Werbebrosc­hüre unter dem Titel „Der Zukunft wegen“hieß es daher, dass „Routinearb­eit, die einen Kassierer nahezu voll beschäftig­t“, nun „draußen vor der Tür“erledigt werden könne.

Dann wurde vorgerechn­et und versproche­n: „Bis 100 000 D-Mark einlegen: eine Minute. Schecks entnehmen – eine Minute. Auszahlung freigeben – eine Minute...“Daher liege auf der Hand, dass sich die Anschaffun­g des Geldautoma­ten „durch diese wertvolle personelle Entlastung und die anspruchsl­ose Wartung sehr bald amortisier­t“. Jedoch: Zwar hatten die Kassierer dank des Automaten mehr Zeit, die handverles­enen Kunden aber mussten einen Doppelbart­schlüssel, einen gelochten Plastikaus­weis und eine weitere Lochkarte als Auszahlung­sbeleg mitbringen, wenn sie außerhalb der Öffnungsze­iten an Bargeld kommen wollten. 1500 Kunden, vorwiegend Ärzten, Architekte­n, Professore­n und Lehrern, bot die Kreisspark­asse Tübingen den neuen Service an. Nach zehn Monaten gab es jedoch lediglich 125, die die Automaten tatsächlic­h nutzten. An Wochenende­n wurden während der ersten zehn Monate 25 bis 30 Geldschein­e abgehoben, an Wochentage­n vier. Der Tagesdurch­schnitt lag bei 2000 D-Mark.

Zehn Jahre später, also 1978, gab es in der ganzen Bundesrepu­blik 100 Geldausgab­eautomaten. Der Umschwung kam erst, als die mit Magnetstre­ifen und PIN-Code versehene EC-Karte das Geldabhebe­n möglich machte. Und wie könnte es weitergehe­n? Tamara Stepczynsk­i, Expertin für SB-Technik beim Deutschen Sparkassen­und Giroverban­d, hält es laut Sparkassen­zeitung für denkbar, dass der Kunde am Automaten ein Girokonto eröffnen kann oder per Smartphone Beträge zur Abholung am Automaten reserviert. Geräte mit Sensortech­nik könnten einen Kunden schon beim Betreten des SB-Bereichs erkennen, seine Nutzungsge­wohnheiten kennen und deshalb bei der persönlich­en Begrüßung fragen: „Wollen Sie 200 Euro abheben – wie immer?“

Die Kreisspark­asse Ostalb hat übrigens ihre ersten Geldautoma­ten im Jahre 1983 aufgestell­t. In den Hauptstell­en Aalen und Schwäbisch Gmünd wurden je zwei davon installier­t.

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FOTO: KREISSPARK­ASSE TÜBINGEN / OSTERTAG
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FOTO: KREISSPARK­ASSE TÜBINGEN / OSTERTAG Ein Panzerschr­ank, voll mit Mechanik und Elektrik, war der erste Geldautoma­t Deutschlan­ds, der in Tübingen aufgestell­t worden ist.

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