Allerley Kurtzweyl auf dem Ellwanger Schloss
Eine versunkene Epoche wird für vier Tage lebendig
ELLWANGEN - Wer in diesen Tagen das Ellwanger Schloss besucht und den Wegezoll entrichtet, der tritt ein in eine andere Welt. Das Mittelalter ist zurück.
Das Mittelalter wird meistens als düster beschrieben, geprägt von dumpfer Religiosität und irrationalem Aberglauben, heimgesucht von Krieg, Elend und dem Schwarzen Tod, der Pest. Doch diese versunkene Epoche hatte auch andere Seiten, die für vier Tage zu erleben sind: beschauliches Lagerleben am offenen Feuer, liebestolle Liedermacher, die der Minne frönen, redliche Handwerker und hübsche Maiden, die heldenhaften Rittern die Köpfe über den Kettenhemden verdrehen und wackeren Landsknechten die Taler aus den Taschen ziehen. Auch allerley Fahrensleut‘, gewitzte Gaukler mit losem Mundwerk, tollkühne Akrobaten, derbe Spaßmacher und fidel fiedelnde Musici tummeln sich vor dem historischen Gemäuer.
Ausgerichtet wird das mirakulöse Spectaculum mit allerley Kurtzweyl und authentischem Flair wieder vom Murrhardter Verein Kulturschock. Dessen Vorstand, Marktvogt Alexander Pusch, wacht darüber, dass Besucher auf dem Schloss sich benehmen, wie es sich geziemet, und hat für alle ein offenes Ohr.
Was darf’s sein? Ein Humpen Honigwein aus der Met-Taverne, der „letzten Taverne vor der Apokalypse“, ein Fläschchen Liebestrank, süßes Backwerk oder Spezereien aus der Garküche? Gegen durstige Kehlen und knurrende Mägen ist manches Kraut wild gewachsen und manche Sau fett gemästet. Mit sinnlichen Gaumenfreuden gestärkt, kann man es beinahe mit Schmied Timo Eigenmann aus Sulzfeld aufnehmen, der rußgeschwängert das Eisen schmiedet, solange es heiß ist. Mit einem vier Meter hohen, selbst gebauten Hamsterrad, der sogenannten Tretmühle, treibt er den rund 60 Kilo schweren Schmiedehammer an.
Gebrauchte Galgenstricke und ein sarazenisches Badehaus
Der Senfmacher hält steingemahlenen Senf in mannigfachen Sorten von deftig bis fein bereit. Beim Korbmacher gibt’s Hexenbesen und mancherlei Flechtwerk. Nebenan zeigt ein Papierschöpfer seine Kunst, und man kann Lederer Paul Kinsberger beim Fertigen von Schuhen und Taschen über die Schulter schauen. Von der Ritterrüstung über kostbares Geschmeide, von gewebten Gewändern über Naturfelle bis zum Steingut ist alles zu haben, was das Herz begehrt. Sogar gebrauchte Galgenstricke werden feilgeboten, getreu dem Motto „Variatio delectat“, Vielfalt erfreut. Der Streichelzoo mit Esel, Ziegenbock und Lama ergötzt vor allem kleine Besucher. Für die größeren führt das Theater Schelmenblut derweil derbe Späße auf, frei nach dem Nürnberger Meistersinger Hans Sachs. Im Klausengarten erzählt Patrizia Grainer Märchen am Spinnrad.
Vier Weißenhorner Fahnenschwinger lassen die Fahnen in den blauweißen Himmel über Ellwangen fliegen. Im Schlossgraben liefern sich wohlgerüstete Württemberger Ritter spannende Zweikämpfe hoch zu Ross, die Streiter des Augsburger Heerlagers raufen nach Herzenslust. Der Siegerkranz beim Lanzengang gebührt an diesem Nachmittag Patrick O’Brian von der grünen Insel.
Ein Labsal für erhitzte Gemüter und erschöpfte Marktbesucher ist das orientalische Badehaus Los Sarracenos, erdacht von kreativen Sarazenen aus dem Taubertal. Drinnen finden Jünglinge und Jungfrauen Erfrischung in der Wanne mit nur leicht gechlortem Meerwasser. Shisha-Lounge, Tee oder Mokka inklusive. Ach, es ist eine Wonne. Dazu passt der Weihrauchladen von al Mischa aus Frankfurt mit feinsten Wohlgerüchen. So wunderbar duftet das Mittelalter.
Schweren Herzens treten die Besucher den Heimweg ins 21. Jahrhundert an.