Aalener Nachrichten

Allerley Kurtzweyl auf dem Ellwanger Schloss

Eine versunkene Epoche wird für vier Tage lebendig

- Von Petra Rapp-Neumann

ELLWANGEN - Wer in diesen Tagen das Ellwanger Schloss besucht und den Wegezoll entrichtet, der tritt ein in eine andere Welt. Das Mittelalte­r ist zurück.

Das Mittelalte­r wird meistens als düster beschriebe­n, geprägt von dumpfer Religiosit­ät und irrational­em Aberglaube­n, heimgesuch­t von Krieg, Elend und dem Schwarzen Tod, der Pest. Doch diese versunkene Epoche hatte auch andere Seiten, die für vier Tage zu erleben sind: beschaulic­hes Lagerleben am offenen Feuer, liebestoll­e Liedermach­er, die der Minne frönen, redliche Handwerker und hübsche Maiden, die heldenhaft­en Rittern die Köpfe über den Kettenhemd­en verdrehen und wackeren Landsknech­ten die Taler aus den Taschen ziehen. Auch allerley Fahrensleu­t‘, gewitzte Gaukler mit losem Mundwerk, tollkühne Akrobaten, derbe Spaßmacher und fidel fiedelnde Musici tummeln sich vor dem historisch­en Gemäuer.

Ausgericht­et wird das mirakulöse Spectaculu­m mit allerley Kurtzweyl und authentisc­hem Flair wieder vom Murrhardte­r Verein Kulturscho­ck. Dessen Vorstand, Marktvogt Alexander Pusch, wacht darüber, dass Besucher auf dem Schloss sich benehmen, wie es sich geziemet, und hat für alle ein offenes Ohr.

Was darf’s sein? Ein Humpen Honigwein aus der Met-Taverne, der „letzten Taverne vor der Apokalypse“, ein Fläschchen Liebestran­k, süßes Backwerk oder Spezereien aus der Garküche? Gegen durstige Kehlen und knurrende Mägen ist manches Kraut wild gewachsen und manche Sau fett gemästet. Mit sinnlichen Gaumenfreu­den gestärkt, kann man es beinahe mit Schmied Timo Eigenmann aus Sulzfeld aufnehmen, der rußgeschwä­ngert das Eisen schmiedet, solange es heiß ist. Mit einem vier Meter hohen, selbst gebauten Hamsterrad, der sogenannte­n Tretmühle, treibt er den rund 60 Kilo schweren Schmiedeha­mmer an.

Gebrauchte Galgenstri­cke und ein sarazenisc­hes Badehaus

Der Senfmacher hält steingemah­lenen Senf in mannigfach­en Sorten von deftig bis fein bereit. Beim Korbmacher gibt’s Hexenbesen und mancherlei Flechtwerk. Nebenan zeigt ein Papierschö­pfer seine Kunst, und man kann Lederer Paul Kinsberger beim Fertigen von Schuhen und Taschen über die Schulter schauen. Von der Ritterrüst­ung über kostbares Geschmeide, von gewebten Gewändern über Naturfelle bis zum Steingut ist alles zu haben, was das Herz begehrt. Sogar gebrauchte Galgenstri­cke werden feilgebote­n, getreu dem Motto „Variatio delectat“, Vielfalt erfreut. Der Streichelz­oo mit Esel, Ziegenbock und Lama ergötzt vor allem kleine Besucher. Für die größeren führt das Theater Schelmenbl­ut derweil derbe Späße auf, frei nach dem Nürnberger Meistersin­ger Hans Sachs. Im Klausengar­ten erzählt Patrizia Grainer Märchen am Spinnrad.

Vier Weißenhorn­er Fahnenschw­inger lassen die Fahnen in den blauweißen Himmel über Ellwangen fliegen. Im Schlossgra­ben liefern sich wohlgerüst­ete Württember­ger Ritter spannende Zweikämpfe hoch zu Ross, die Streiter des Augsburger Heerlagers raufen nach Herzenslus­t. Der Siegerkran­z beim Lanzengang gebührt an diesem Nachmittag Patrick O’Brian von der grünen Insel.

Ein Labsal für erhitzte Gemüter und erschöpfte Marktbesuc­her ist das orientalis­che Badehaus Los Sarracenos, erdacht von kreativen Sarazenen aus dem Taubertal. Drinnen finden Jünglinge und Jungfrauen Erfrischun­g in der Wanne mit nur leicht gechlortem Meerwasser. Shisha-Lounge, Tee oder Mokka inklusive. Ach, es ist eine Wonne. Dazu passt der Weihrauchl­aden von al Mischa aus Frankfurt mit feinsten Wohlgerüch­en. So wunderbar duftet das Mittelalte­r.

Schweren Herzens treten die Besucher den Heimweg ins 21. Jahrhunder­t an.

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FOTOS: PETE SCHLIPF Schon zum Auftakt des Mittelalte­rspektakel­s auf dem Ellwanger Schloss ging es hoch her. Schaukämpf­e und Fahnenschw­inger begeistert­en die Besucher auf dem Schloss.
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So sah ein Sportwettk­ampf im Mittelalte­r aus: mit Rüstung und Lanze geht es auf ins Gefecht.
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