Trinkgeld geben – muss das eigentlich sein ...?
Tut überhaupt nicht weh und hilft viel. Von Birgit Kölgen Der Arbeitslohn darf nicht zum Almosen werden. Von Dirk Uhlenbruch
Okay, das kann nervig werden – wenn im Bus der Umschlag für den Fahrer herumgeht, und man hat gerade keinen kleinen Schein. Oder wenn der Kofferboy in den Staaten, wo das Servicepersonal praktisch vom Trinkgeld lebt, erwartungsvoll in der Hotelzimmer- tür steht, und man kramt vergeblich nach ein paar Dollars. „So sorry, I have no ... äh!“Auf Reisen ist man manchmal überfordert, aber im Prinzip gebe ich gern ein Trinkgeld. Nie würde ich in meinem Stammcafé einen Assamtee für 2,60 Euro bestellen, ohne auf drei Euro aufzurunden, manchmal auch auf vier. Ich weiß, das sind mehr als die empfohlenen fünf bis zehn Prozent, aber dafür lässt mich die vertraute Kellnerin auch stundenlang bei einem einzigen Getränk die Zeitungen lesen oder mit Freundinnen plaudern. Wir sind nicht kleinlich miteinander.
Über Trinkgeld wird hierzulande nicht verhandelt, es ist die freiwillige Anerkennung einer gelungenen Dienstleistung. Selbst Wirte nehmen mittlerweile gern ein Trinkgeld an, sie müssen wohl auch mehr rechnen als früher. Und manche, die diesbezüglich nicht verwöhnt sind, wie Taxifahrer, Zimmermädchen oder Toilettenfrauen, freuen sich besonders über ein paar Münzen und bedanken sich oft herzlich. Sicher gibt es auch Fälle von Frechheit. Aber bitte: Das ist für mich kein Grund zu geizen.
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Ich fürchte, ich benehme mich wie ein Schwein – hier in der Metzgerei meines Vertrauens: Gerade eben hat die überaus zuvorkommende Fleischereifachverkäuferin 100 Gramm Schwarzwälder Schinken – „bitte extra dünn“– speziell für mich aufgeschnitten, obwohl die Maschine so kurz vor Feierabend bereits geputzt war. Ohne Klagen, ohne Murren. Und jetzt zahle ich den verlangten Betrag – und hinterlasse nicht einmal ein sattes Trinkgeld. Eine Schande ist das! Ach so, Sie meinen tatsächlich, das sei weder üblich noch nötig. Puuh, da habe ich aber noch mal Schwein gehabt.
Warum also – pardon, werte Kellner, Friseure, Handwerker und Taxifahrer – sollte ich euch anders, großzügiger behandeln? Nicht, dass ich über die Maßen geizig wäre, aber: Freundlichkeit ist eine Schlüsselqualifikation für einen Dienstleister, die keiner gesonderten Honorierung bedarf. Und für die, zugegeben, allzu häufig kargen Löhne ist einzig und allein der Arbeitgeber zuständig. Mag er die guten Leistungen seines Personals doch bitte einpreisen und anständig vergüten. Dann zahlen alle Kunden gleichermaßen für den gleichen Service. Ein faires Geschäft.
Außerdem: Gerechte Gehälter dürfen weder dem Zufall noch der Spendierfreudigkeit der Kunden überlassen bleiben. Es heißt ja Arbeitslohn – und nicht Almosen.
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