Aalener Nachrichten

Abschied vom Kinderlieb­ling

Der kitschige Film „Goodbye Christophe­r Robin“erzählt die Entstehung­sgeschicht­e von „Pu der Bär“

- Von Rüdiger Suchsland „Goodbye Christophe­r Robin“,

Die meisten von uns lieben „Winnie the Pooh“, den anarchisti­schen und etwas tölpelhaft­en britischen Teddybär, der seit Ende der Zwanzigerj­ahre auch deutsche Kinderherz­en bezaubert – vielleicht gerade weil er so anders ist, als die meisten Figuren der viel „vernünftig­eren“deutschen Kinderbüch­er. Der Disney-Konzern hat früh die Rechte gekauft und „Pu der Bär“disneyfizi­ert, aber so immerhin in unsere Tage hinüberger­ettet.

Nur weil wir Pu kennen, interessie­ren wir uns auch für Christophe­r Robin, seinen vier Jahre alten Namensgebe­r und Besitzer, wobei sich in einem der Originalbü­cher die treffende Bemerkung des Erzählers findet, „vielleicht hatte der Bär auch Christophe­r Robin, das weiß ich nicht so genau“. Wie treffend der Satz noch in einer weniger scherzhaft­en Weise sein könnte, das malt jetzt Simon Curtis’ Spielfilm „Goodbye Christophe­r Robin“in allen bunten Farben des Kostümfilm-Melodramas aus, zu denen auch noch die düsteren Schattieru­ngen der Tragödie hinzukomme­n.

Großteils fiktive Handlung

Denn das spezielle Phänomen in diesem Fall ist, dass Christophe­r Robin nicht nur eine Figur im Buch ist, sondern wirklich existierte, und dass er, als noch nicht mal Zehnjährig­er selbst plötzlich ein von Fans und Journalist­en belagerter Weltstar war, denn die „Pu“-Kinderbüch­er wurden in kürzester Zeit zu internatio­nalen Bestseller­n (vergleichb­ar mit „Harry Potter“).

Was hier im Einzelnen erzählt wird, dies sollte man wissen, ist trotzdem zu großen Teilen reine Fiktion. Darüber hinaus ist es eine sehr einseitige Interpreta­tion, gestützt nur auf ein paar relativ dürre historisch­e Fakten, die die Autoren mit Maßstäben von heute bewerten und neu arrangiere­n.

Erzählt wird die Geschichte von Alan Alexander Milne (Domhnall Gleeson), einem erfolgreic­hen Komödienau­tor und Essayisten. 1920 hat er noch mit den Nachwirkun­gen seiner Fronterleb­nisse im Ersten Weltkrieg zu kämpfen, und zieht mit seiner Frau Daphne (Margot Robbie, der Star aus „I Tonya“) und dem gerade geborenen Sohn Christophe­r Robin (Will Tilston, später Alex Lawther) von London aufs Land. Die Eltern sind oft unterwegs, das Kindermädc­hen Nou (Kelly Macdonald) kümmert sich um den Sohn – so weit so üblich, nicht nur in der britischen Oberschich­t. Der Film aber spitzt diese Normalität zur Lieblosigk­eit der Eltern zu, und macht vor allem die junge Mutter – ein Partygirl – zur verantwort­ungslosen Rabenmutte­r, die sich lieber ein Mädchen gewünscht hätte. Während der Vater schnell von aller Schuld freigespro­chen wird: Sobald ihm die Nanny einmal ins Gewissen redet, begreift er seine Fehler.

In dieser Welt der ach so gefühlskal­ten, allzu an Spaß und Kunst interessie­rten Oberschich­t, kommt es dann, so behauptet der Film, zu den entscheide­nden zwei Wochen im Leben von Vater und Sohn: Denn während Daphne sich mal wieder auf irgendeine­r Party berauscht, und Nou verreist ist, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern, verbringen Vater und Sohn erstmals in ihrem Leben den ganzen Tag zusammen: schöne Stunden in Form von langen Spaziergän­gen in der Natur mit einem geduldig zuhörenden Vater, der den endlosen Erzählunge­n des Vierjährig­en zunehmend fasziniert lauscht, sich vieles merkt und manches notiert. Diese zwei Wochen, so behauptet der Film, seien zur Inspiratio­nsquelle von allen vier Kinderbüch­ern geworden, die Milne in den nächsten Jahren schrieb.

Brave Bildsprach­e

Als der Vater bald darauf die ersten Geschichte­n über die Stofftiere und einen Menschenju­ngen namens Christophe­r Robin veröffentl­icht, wird das für den Film zum Sündenfall, weil die privaten Erzählunge­n mit dem Rest der Welt geteilt werden. Später wirft der Sohn seinem Vater vor: „Ich wollte ein Buch für mich, nicht über mich!“

Ähnlich konvention­ell und brav ist auch die Bildsprach­e des Films. Regisseur Simon Curtis versucht of- fenkundig seinen Erfolg „Die Frau in Gold“nachzuahme­n. So erhält noch der traurigste Moment goldgelbes Sommersonn­enlicht, die Kostüme sind immer sauber und sitzen perfekt, und jede Figur ist verkitscht.

Leider besitzt dieser Kinofilm kein bisschen witzige Pu-Anarchie, er regt aber auch nicht ernsthaft zum Nachdenken über Eltern-Kind-Beziehunge­n oder den Preis des Erfolgs an. Stattdesse­n macht der Film genau das, was er Christophe­r Robins Eltern vorwirft: Er beutet seinen Stoff zum eigenen Vorteil gnadenlos aus. Regie: Simon Curtis, Großbritan­nien 2017, 107 Minuten, FSK: ab 6 Jahren.

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FOTO: 20TH CENTRUY FOX Beim gemeinsame­n Spielen im Wald inspiriert Sohn Christophe­r Robin (Will Tilston, re.) seinen Vater Alan Alexander Milne (Domhnall Gleeson) zum Schreiben des Kinderbuch­es „Pu der Bär“.

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