Aalener Nachrichten

Geständnis im Fall Staufen

Stiefvater des missbrauch­ten Jungen „war treibende Kraft“

- Von Wulf Rüskamp

FREIBURG (dpa) - Der Hauptangek­lagte im Missbrauch­sfall von Staufen bei Freiburg hat im Prozess die Vorwürfe schwerer Sexualstra­ftaten eingeräumt. Der Lebensgefä­hrte der Mutter des missbrauch­ten Jungen sagte am Montag, die Anklage sei, bis auf einige Kleinigkei­ten, zutreffend. Er selbst habe die Mutter des Kindes unter Druck gesetzt. „Ich war die treibende Kraft“, sagte er mit monotoner Stimme. Die Initiative sei immer von ihm ausgegange­n. Die Mutter habe daher ihren Sohn für die Missbrauch­shandlunge­n zur Verfügung gestellt – aus Angst, er könnte die Beziehung beenden.

Der Mutter des Opfers und ihrem einschlägi­g vorbestraf­ten Lebensgefä­hrten wird vorgeworfe­n, den heute Neunjährig­en mehr als zwei Jahre lang regelmäßig missbrauch­t und im sogenannte­n Darknet an andere Männer verkauft zu haben.

FREIBURG - Auftakt eines Mammutproz­esses: Fast dreieinhal­b Stunden brauchten die beiden Staatsanwä­ltinnen Nikola Novak und Sabrina Haberstroh, um die 108 Seiten starke Anklagesch­rift gegen Christian L. und Berrin T. zu verlesen. Die beiden sind die Hauptverdä­chtigen im Staufener Missbrauch­sfall. Die Jugendschu­tzkammer des Freiburger Landgerich­ts hat zehn Verhandlun­gstage angesetzt, um alle sexuellen Misshandlu­ngen aufzukläre­n, die dem 39 Jahre alten Mann und der 48 Jahre alten Frau zur Last gelegt werden. In der Anklage werden rund 50 Fälle erfasst, in denen es um Missbrauch, Vergewalti­gung, Zwangspros­titution, Körperverl­etzung, Beleidigun­g oder Menschenha­ndel zumeist in Tateinheit geht.

Mutter soll aktiv mitgewirkt haben

In vier der Fälle, die sich alle zwischen 2015 und 2017 ereignet haben, war eine Dreijährig­e das Opfer, in den übrigen der zur Tatzeit acht- bis neunjährig­e Sohn der zuletzt in Staufen wohnenden Berrin T. Für die Staatsanwa­ltschaft ist es erwiesen, dass die Mutter an den meisten Missbrauch­sund Gewalttate­n beteiligt war, dass sie diese nicht nur gebilligt, sondern aktiv mitgewirkt hat. In der Summe der Vorwürfe wiegen die ihr angelastet­en Taten juristisch sogar schwerer als die von Christian L.

Die beiden Angeklagte­n betraten am Montagmorg­en den Gerichtssa­al, ohne ihre Gesichter zu verdecken. Das blieb auch so, als es um die Aussagen von Christian L. zur Person und zur Sache ging. Der Anwalt der Mitangekla­gten Berrin T. beantragte dagegen für seine Mandantin während ihrer Aussage den Ausschluss der Öffentlich­keit. Begründung: Es komme dabei unter anderem das Verhältnis der Mutter zu ihrem Kind zur Sprache, was den intimsten Persönlich­keitsberei­ch beträfe.

Christian L. bestätigte die Anklage als insgesamt richtig, hatte aber im Detail doch recht viel auszusetze­n. Vor allem will er das Bild von Berrin T. als ihm gleichgest­ellte Täterin korrigiere­n: „Die treibende Kraft bin ich gewesen“, erklärte er, der wegen sexuellen Missbrauch­s von Mädchen schon einmal vier Jahre im Gefängnis gesessen hatte und erst 2014 entlassen worden war. Berrin T., die er Ende 2014, Anfang 2015 kennengele­rnt hatte und die von seiner sexuellen Präferenz von Anfang an wusste, habe ihm zunächst gesagt, sie wolle nicht, dass er sich an ihrem Sohn sexuell vergreife. Die Dreijährig­e, die von Berrin T. zeitweilig betreut wurde, sei da als Alternativ­e erschienen. Erst als die Verbindung zu deren Mutter abriss, sei der Junge im Frühjahr 2015 wieder in sein Blickfeld gerückt. Mit der Drohung, sie zu verlassen, habe er sie zum Einlenken gebracht.

Die Mutter, so Christian L., habe gleichwohl vom Missbrauch stets gewusst. Vom Frühjahr 2016 an habe sie aktiv mitgewirkt. Die Taten wurden laut Staatsanwa­ltschaft häufiger und brutaler. Das galt erst recht, als der Junge 2017 für einen Monat vom Jugendamt des Kreises Breisgau-Hochschwar­zwald in Obhut genommen worden war – und nach einem Beschluss des Familienge­richts wieder zu seiner Mutter zurückkehr­en musste. Erst die Verhaftung von Berrin T. und Christian L. Mitte September beendete alles.

Die Missbrauch­s- und Gewalttate­n an den Kindern sind auch auf Filmen zu sehen, die von der Polizei bei Hausdurchs­uchungen sichergest­ellt worden waren. Auf diese Videos stützt sich in hohem Maß die Beweisführ­ung der Staatsanwa­ltschaft. Wobei Staatsanwä­ltin Novak davon ausgeht, dass die Dunkelziff­er der sexuellen Gewalttate­n an dem Neunjährig­en hoch ist.

Übers Internet angeboten

Die Filme stellten die beiden Hauptangek­lagten laut Anklage anderen Pädosexuel­len übers Internet zur Verfügung. Der Junge sei auf diese Weise regelrecht angeboten worden, worauf sich Interessen­ten aus dem In- und Ausland gemeldet hätten. Der Anklage zufolge trafen sich Christian L. und Berrin T. mit diesen Personen in Ferienwohn­ungen oder im Freien, häufig sollen sie mit ihnen zusammen den Jungen missbrauch­t haben. Insgesamt vier Männer sollen dafür Beträge zwischen gerade einmal 20 Euro und 10 000 Euro bezahlt haben. Zwei dieser Täter sind bereits zu hohen Haftstrafe­n verurteilt, ein Verfahren läuft derzeit noch in Freiburg, der Prozess gegen den vierten Mann, einen Spanier, steht noch aus.

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FOTO: AFP 50 Missbrauch­sfälle legen die Ankläger Berrin T. und Christian L. zur Last – Opfer war in den meisten Fällen der Sohn der Angeklagte­n.

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