Umstrittene Rückholaktion
Ermittler prüfen nun die Aussagen des Irakers Ali B.
WIESBADEN (dpa/ume) - Bei der Aufklärung des mutmaßlichen Mordes an der 14-jährigen Susanna gleichen die Ermittler nun Aussagen des Verdächtigen Ali B. und weiterer Zeugen ab. Die Ermittler arbeiten laut Staatsanwaltschaft Wiesbaden auf Hochtouren an der Auswertung der Angaben des Irakers. Der Haftbefehl gegen den 20-Jährigen lautet auf dringenden Verdacht des Mordes und der Vergewaltigung. Der abgelehnte Asylbewerber gestand am Wochenende, die 14-Jährige umgebracht zu haben. Nach einer Flucht in den Irak war er am Samstag zurück nach Deutschland geflogen worden. Er sitzt in Untersuchungshaft.
Der Freiburger Strafrechtler Thomas Wahl sagte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, die Bundespolizei habe bei der ungewöhnlich schnellen Rückholung von Ali B. in einer Grauzone operiert.
RAVENSBURG - Ende vergangener Woche war Ali B., der Verdächtige im Mordfall Susanna, im Irak verhaftet worden – schon am Samstag wurde er zurück nach Deutschland gebracht. Ein zumindest ungewöhnliches Vorgehen, findet Thomas Wahl vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg. Nach Ansicht des Juristen operierte die Bundespolizei bei der Rückholung des tatverdächtigen Irakers in einer Grauzone. Ulrich Mendelin hat Wahl befragt.
Herr Wahl, in Deutschland wird darüber diskutiert, wie Straftäter unter den Asylbewerbern schneller abgeschoben werden können. Warum hat man den Verdächtigen im Fall Susanna überhaupt zurück nach Deutschland geholt?
Grundsätzlich muss man zwischen Abschiebung und Auslieferung trennen. Eine Abschiebung hat ausländerrechtliche Gründe, weil eine Person aus rechtlichen Gründen nicht mehr in einem bestimmten Land leben darf. Die Auslieferung steht im Zusammenhang mit dem Strafrecht. Prinzipiell sollten Straftaten dort verfolgt werden, wo der Tatort war. Das hat praktische Gründe: Im Tatort-Staat stehen die Beweismittel und die Zeugen zur Verfügung. Also ist das Verfahren einfacher durchzuführen.
Aber theoretisch hätte man Ali B. auch im Irak den Prozess machen können?
Im Prinzip ist so etwas möglich. Denn es gibt bestimmte Hinderungsgründe, die einer Auslieferung entgegenstehen können. Viele Staaten liefern beispielsweise eigene Staatsbürger nicht aus. Das heißt aber nicht, dass ein mutmaßlicher Straftäter dann nicht verfolgt wird. Sondern dann gilt der schöne lateinische Satz: „Aut dedere aut judicare“. Also auf Deutsch: Wenn du einen mutmaßlichen Straftäter nicht auslieferst, dann verfolge ihn nach deinem eigenen Recht.
Der Mordfall Susanna wird nun in Deutschland verhandelt. Der Darstellung der Bundesregierung zufolge wurde Ali B. von der Regierung der autonomen Republik Kurdistan abgeschoben. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Ein Staat kann einen eigenen Staatsbürger eigentlich gar nicht abschieben. Jedenfalls nicht nach dem Völkerrecht. Nun kann es sein, dass die tatsächlichen rechtlichen Verhältnisse in der Autonomieregion nicht mit dem Völkerrecht in Einklang stehen. Zumindest ist der Vorgang ungewöhnlich, denn auch an einer Abschiebung sind normalerweise die Justizbehörden beteiligt – das war hier aber nicht der Fall.
Die ganze Aktion ging äußerst zügig vonstatten ...
Dass ein Tatverdächtiger so schnell nach Deutschland gebracht wird, ist sehr, sehr ungewöhnlich. Schon, dass die Bundespolizei involviert war, ist nicht das übliche Vorgehen. Normalerweise würde in vergleichbaren Fällen das Bundeskriminalamt eingeschaltet, und dann begleiten Beamte des zuständigen Landeskriminalamtes die Rückführung nach Deutschland. Stattdessen kamen Bundespolizisten – da gewinnt man schon den Eindruck, dass die Bundespolizei, die ja eigentlich für Abschiebungen zuständig ist, einen Fehler ausmerzen wollte. Rechtlich ist das eine Grauzone.
Kann ein solches Vorgehen vor einem deutschen Gericht noch einmal zu einem Problem werden?
Nein. Es gibt viele Fälle, die außerhalb des regulären Auslieferungsverfahrens stattfinden, denken Sie an den Fall Krombach ...
... den Fall des Arztes, der in Lindau seine 14-jährige Stieftochter Kalinka getötet hat und Jahre später vom leiblichen Vater des Opfers nach Frankreich entführt wurde ...
... wo er im wahrsten Sinne des Wortes vor der französischen Justiz abgesetzt wurde. Und auch umgekehrt gibt es Fälle, bei denen ein Verdächtiger auf dubiose Weise vor der deutschen Justiz landet. Für die Gerichte spielen solche Ereignisse grundsätzlich keine Rolle.
Ist das Geständnis von Ali B., das dieser vor kurdischen Sicherheitskräften abgelegt hat, vor einem deutschen Gericht verwertbar?
Grundsätzlich ja – aber das muss das Gericht bewerten. Wenn das Geständnis förmlich in das Verfahren eingebracht werden soll, müssen die deutschen Behörden womöglich ein Rechtshilfeersuchen an die irakischen Behörden oder die Behörden der kurdischen Autonomieregierung stellen, damit der Vernehmungsbeamte noch einmal die Aussage niederlegt. Dann kann auch ein Vernehmungsprotokoll aus Kurdistan in einem deutschen Verfahren verwertet werden.
Besteht die Möglichkeit, dass der Verdächtige – im Fall einer Verurteilung – einen Teil seiner Strafe im Irak absitzen wird?
Sehr, sehr unwahrscheinlich. Wir nennen das Vollstreckungshilfe. Die setzt erstens das Einverständnis des Betroffenen voraus. Zweitens findet Vollstreckungshilfeverkehr mit dem Irak derzeit nicht statt. Es gibt keinen völkerrechtlichen Vertrag mit dem Irak, der das Verfahren regeln würde.
Sind Gründe denkbar, dass Ali B. – wiederum im Fall einer Verurteilung – nach Verbüßung seiner Strafe möglicherweise nicht aus der Haft heraus abgeschoben werden kann?
Es kann natürlich sein, dass sich in vielen Jahren, wenn der Täter seine Strafe abgesessen hat, die Lage ändert. Aber grundsätzlich ist eine Abschiebung schon denkbar. Nicht abgeschoben werden können Menschen, die zum Beispiel politisch verfolgt werden, oder denen die Todesstrafe droht – aber den Presseberichten zufolge lagen solche Gründe bei Ali B. bisher nicht vor.