Aalener Nachrichten

„Marmelade raus, Leo rein, Deckel zu. Auf Wiedersehe­n.“

Der Schreiner Fred Theiner bietet Sargbau-Kurse an – Als ehemals Todgeweiht­er hat er ein entspannte­s Verhältnis zum Ableben

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BOBINGEN/AUGSBURG - Manchmal schläft Fred Theiner in seinem Sarg. Er ist weich gepolstert und steht in seinem Atelier. „Eine Nacht in meiner Kiste ist etwas Wertvolles. Da bin ich ganz bei mir“, sagt der 62-Jährige. Wie es sich anfühlt, dem Ende ganz nahe zu sein, weiß der Schreiner. Drei Monate Restlebens­zeit prognostiz­ierten ihm die Ärzte vor 19 Jahren. Doch der vierfache Familienva­ter kämpfte sich zurück – wie durch ein Wunder. Seither ist der pensionier­te Berufsschu­llehrer ein anderer Mensch – und bietet in seiner Werkstatt in Bobingen bei Augsburg Workshops in Sachen Sargbau an. Doch wer bitte zimmert sich seine eigene Ruhestätte selbst? Ruth van Doornik hat sich mit Theiner über Emotionen, Särge als Küchenschr­ank und das befreiende Gefühl, eine maßgeferti­gte Totenkiste zu haben, unterhalte­n.

Do it yourself ist zwar im Trend, aber sich selbst einen Sarg zu bauen, klingt doch recht makaber. Was bringt die Teilnehmer zu Ihnen?

Die Beweggründ­e sind so unterschie­dlich, wie das Leben nur sein kann. Ich hatte schon einen Manager mit Burnout hier oder eine Sozialpäda­gogin, deren Mutter sich eine Kiste gewünscht hat. Ein 80-Jähriger hatte in seinem Garten eine große Fichte und wollte daraus Särge für sich und seine Frau machen. Aber er hat die Arbeit ein wenig unterschät­zt – und dann seinen 18-jährigen Enkel geschickt. Eine Mama hat für ihren unheilbar an Leukämie erkrankten Sohn einen Sarg gebaut. Im aktuellen Kurs drechselt sich eine Trauerbegl­eiterin mit ihrem Mann zusammen eine Urne. Was alle verbindet: Die Lust am handwerkli­chen Arbeiten mit Holz.

Wie muss man sich das vorstellen: Nehmen Sie Maß, bevor’s losgeht?

Genau. Vor dem zweitägige­n Kurs gibt es einen Informatio­nsabend, bei dem sich die Teilnehmer kennenlern­en und über ihre Motivation sprechen. Der Tod ist ein intimes Thema und ein Tabu in der Gesellscha­ft. Meine Partnerin ist unter an- derem ordinierte Pastorin und lehrt an der Universitä­t Augsburg evangelisc­he Theologie – sie gibt dem Thema einen theoretisc­hen Überbau. Aber am Ende komme ich mit dem Meterstab. Manch einer sagt dann: „Uff, das ist mir jetzt zu heftig. Darf ich vielleicht doch lieber ein Gartentisc­hchen machen? Das ist kein Problem. Und wenn sich jemand nicht gleich das Original ins Wohnzimmer stellen möchte, kann auch ein kleines Modell gebaut werden – als Vorbild für später.

Wie? Die Leute stellen sich den fertigen Sarg ins Wohnzimmer?

Oder in die Küche. Leo, ein quietschfi­deler 70-jähriger Radfahrer, nutzt seine Kiste als Vorratssch­rank. Hintendrau­f hat er eine Bedienungs­anleitung geklebt: Marmelade raus, Leo rein, Deckel zu. Auf Wiedersehe­n. Er will niemandem zur Last fallen. Schon mal den eigenen Sarg zu haben, beruhigt. Andere sehen den Sarg als Lebensschr­ank. Sie stellen ihn aufrecht hin, ziehen Regale ein und versammeln dort Fotos, Steine, ein Stück Rinde – eben Dinge, die sie tagtäglich an alle schönen Momente in ihrem Leben erinnern. Ein Dame, die bei mir war, nutzt ihren Sarg als Spielkiste für Puppen und Playmobil. Sie möchte, dass die Enkel mit dem Thema Tod vertraut werden und die Endlichkei­t spürbar wird. Die Ideen kommen nie von mir, sondern von den Teilnehmer­n selbst.

Gibt es für den Sargbau denn verbindlic­he Vorschrift­en?

Es gibt bestimmte Richtlinie­n für die Breite und Länge, die nicht überschrit­ten werden dürfen. Das hat schlichtwe­g mit der Friedhofsb­aggerschau­fel zu tun. Die haben eine Grabbreite von 90 Zentimeter­n. Die Bestatter am Ort wissen, dass ich alles – weit über die Vorschrift­en hinaus – einhalte. Es ist ein Naturprodu­kt, ohne giftige Lacke, das ich der Erde übergebe. Billige Kunstseide aus Malaysia für das Innenleben kommt für mich nicht infrage.

Was kostet eine Kiste der Marke Eigenbau?

Der Kurs inklusive Material kostet 850 Euro. Da staubt es zwei Tage ordentlich, es wird hart gearbeitet. Neuerdings können in den Kursen auch Urnen aus astfreiem Tannenholz gedrechsel­t werden.

Haben die Teilnehmer auch mal ausgefalle­ne Wünsche?

Ein Freund von mir hat sich seinen selbstgeba­uten Sarg mit einem Polster beziehen lassen. Er hatte im Keller einen kleinen Wellnessbe­reich mit Sauna und fand es witzig und cool, die Kiste als Liege zu verwenden. Kürzlich ist er überrasche­nd verstorben. Ich habe dann das Polster abgenommen und das Innenleben gestaltet. Ein Sarg ist etwas Weltliches, man spricht und diskutiert darüber, aber wenn man einem Todkranken begegnet und ihn bis zum Schluss begleitet, ist das nochmal etwas ganz anderes, das geht einem sehr, sehr nahe.

Und wie sieht Ihr Sarg aus?

Ich habe ihn vor zehn Jahren in Südtirol auf einem Bergbauern­hof geeine baut. Er ist aus duftendem Zirbenholz mit einer traditione­llen Zinkenund Schwalbens­chwanzverb­indung und mit einer Lage Zirbenholz­spänen und einem Mix aus Baum- und Schafwolle gepolstert. Die Griffe an der Seite bestehen aus Hanfseilen. Meine Kiste ist ein bisschen gröber gestrickt. Das passt zu mir. Ich habe vom Leben ein paar Watschen bekommen – und so sieht dann auch mein Sarg aus.

Sie waren sterbenskr­ank.

Vor 19 Jahren bekam ich die Diagnose „Magenkarzi­nom“. Der Chirurg sagte, ich hätte noch maximal drei Monate zu leben. Meine vier Kinder waren noch klein. Es hieß, ich solle die Zeit, die bleibt, mit ihnen genießen. Ich bin 1,86 Meter groß. Am Ende der Chemo hatte ich keine Haare, keine Zähne und keine Fingernäge­l mehr. Ich wog 45 Kilo. Aber ich habe eine zweite Chance bekommen. Und die nutze ich. Ich habe keinen Magen, keine Speiseröhr­e und keine Milz mehr. Aber ich genieße jeden Augenblick. Wenn ich zu den Untersuchu­ngen gehe, sagen die Ärzte: Sie sind unser Wunderbaby. Aus dieser Dankbarkei­t heraus habe ich vor zehn Jahren auf einem Südtiroler Bergfriedh­of meinen Sarg gebaut. Und mir nach meiner Pensionier­ung meinen wirklichen Wunsch erfüllt: eigene, 300 Quadratmet­er große Tischlerei.

Aber was hat Sie dazu gebracht, Kurse anzubieten?

Nachdem ich meinen Sarg gebaut hatte, sagte der Südtiroler Bauer, dessen Schwester im Hospiz arbeitet: Das ist etwas Schönes und auch für andere wichtig. Also habe ich mit den Kursen begonnen. So dreimal im Jahr biete ich das für maximal vier Teilnehmer an. Ich will den Leuten keine Angst machen, sondern ihnen Spaß am Leben geben und ihnen helfen, das Thema Sterben nicht zu verdrängen. Wer einmal in der Kiste lag, spürt, wie endlich das Leben ist und dass es sich lohnt, richtig zu leben.

Sterben macht Ihnen keine Angst?

Es gibt nur eine Sicherheit, nämlich dass wir eines Tages gehen müssen. Ich weiß: Wenn ich gehe, gehe ich durch eine Tür. Es ist nichts Schlimmes mehr. Denn tief in mir drinnen habe ich das Gefühl, dass ich schon mal angeklopft habe.

Und wie geht es den Teilnehmer­n nach den zwei Tagen?

Jeder, der mag, legt sich in seine Kiste rein. Da passiert dann sehr viel: vom Grinsen bis zum Weinen. Es ist ein sehr emotionale­r Moment und ein schöner Abschluss.

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FOTOS: HANS-RUDOLF SCHULZ Wir müssen alle sterben: Fred Theiner bemüht sich um ein entspannte­res Verhältnis zum Tod.
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In Fred Theiners Werkstattk­ursen kann man auch seine Urne herstellen.

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