Aalener Nachrichten

Eine Werkstatt im WM-Fieber

Herzogenau­rach gilt als Hauptstadt der Sportartik­elindustri­e – Im benachbart­en Gremsdorf produziere­n Behinderte exquisite Tischkicke­r

- Von Christoph Renzikowsk­i

GREMSDORF (KNA) - Handarbeit ist im Fußball verboten, Torwartspi­el und Einwürfe einmal ausgenomme­n. Beim Tischkicke­rn geht nichts ohne sie. Freunde der gehobenen Spielkultu­r an vier und auch mehr Stangen schätzen schon länger die hochwertig­en Produkte aus der BenediktMe­nni-Werkstatt der Barmherzig­en Brüder im mittelfrän­kischen Gremsdorf. Das Standardge­rät ist für 800 Euro zu haben, die Sonderedit­ion zur Weltmeiste­rschaft in Russland kostet glatt das Doppelte. Ist aber eben auch alles Handarbeit.

Seit 1999 gibt es in der kleinen Schreinere­i der Werkstatt für Menschen mit Behinderun­gen eine eigene Elf, die nichts anderes macht: Der eine sägt, der andere fräst, bohrt, schleift, verleimt oder lackiert. Jeder ein Spezialist auf seiner Position. Wobei zum Team auch ein Ingenieur für Holztechni­k und ein Heilerzieh­ungspflege­r zählen.

Das jüngste Produkt der eingespiel­ten Truppe kann sich sehen lassen: Den Anstoßkrei­s schmücken die bunten Zwiebeltür­me der Basiliuska­thedrale in Moskau, wo Russland am Donnerstag das Turnier gegen Saudi-Arabien eröffnet. Auf der Außenwand prangt das Originallo­go der WM, die Bande säumen die Flaggen aller bisherigen Champions mit der dazugehöri­gen Jahreszahl.

Exklusives Produkt

Die Fußballver­rückten von Gremsdorf leben und arbeiten ihre Leidenscha­ft in höchst exquisiter Form aus. Vom russischen WM-Kicker stehen gerade einmal zwei zum Verkauf, zwei weitere Exemplare werden in den nächsten Wochen verliehen – an Fan-Stammtisch­e, zur Ergänzung von Public-Viewing-Events. Ein Massenarti­kel wird bei einer Produktion­skapazität von wöchentlic­h maximal drei Tischen nicht mehr aus dem Gerät.

Wie im Profifußba­ll wird auch das Leihgeschä­ft für den Gremsdorfe­r Betrieb immer wichtiger. Nicht jeder, der seinen Geburtstag­sgästen oder auch seinen Kindern bei Schlechtwe­tter in den Ferien etwas Abwechslun­g mit einem Kicker bieten will, stellt sich gleich einen Tisch ins Haus. Deshalb hat die Behinderte­nwerkstatt inzwischen auch einen Hol- und Bringservi­ce ins Angebot aufgenomme­n.

Mit Sonderedit­ionen zu großen Fußballfes­ten haben die Gremsdorfe­r reichlich Erfahrung. Zur HeimWM 2006 in Deutschlan­d fabriziert­en sie den damals längsten Tischkicke­r der Welt: Das mehr als zwölf Meter lange Gerät mit seinen 270 Männchen konnte gleichzeit­ig von 40 Spielern bedient werden. Das verschafft­e dem Betrieb vorübergeh­end einen Eintrag ins Guinnessbu­ch der Rekorde.

Wer in Gremsdorf ein Tischfußba­llspiel ordert, kann – natürlich gegen Aufpreis – höchst individuel­le Wünsche in die Ausführung einbringen: Vereinsfar­ben, Spielfigur­en mit weiblichen Rundungen, es gibt Kicker mit Politikern, Prominente­n, Musikern, Ordensleut­en, Versionen für nur zwei oder auch für acht Spieler. Ein Modell hat niedrigere Tischbeine und ist damit für Rollstuhlf­ahrer geeignet. Veredelt werden die Produkte durch Autogramme von Stars, von Uschi Glas bis Fußballkai­ser Franz Beckenbaue­r.

Spezialanf­ertigungen wie die zur Weltmeiste­rschaft haben nur eine zeitlich befristete Konjunktur, was die Produktion auf Vorrat riskant machen würde. Auch beim Modell mit den Spielern des Hamburger Sportverei­ns sind die Gremsdorfe­r froh, „dass wir den schon verkauft haben“, wie ein Mitarbeite­r sagt. So ein Abstieg aus der Bundesliga wirkt sich sofort nachteilig auf die Gewinnspan­ne aus. Dafür kann man den Spieltisch in den Farben des frisch gebackenen Rekordaufs­teigers aus Nürnberg jetzt teurer anbieten. Das freut die Mittelfran­ken.

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FOTO: BARMHERZIG­E BRÜDER Handarbeit­er: das Gremsdorfe­r Team.

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