Aalener Nachrichten

Untersuchu­ng zum Wahldebake­l deckt SPD-Schwächen auf

- Von Tobias Schmidt, Berlin

Eine von der SPD in Auftrag gegebene Analyse über die 20,5Prozent-Wahlschlap­pe bei der Bundestags­wahl im September 2017 legt schonungsl­os offen, warum Kanzlerkan­didat Martin Schulz deutlich gescheiter­t war. „In der öffentlich­en Wahrnehmun­g ist die Sozialdemo­kratie zu einem Sanierungs­fall geworden“, heißt es in der dem Vorstand am Montag vorgelegte­n Analyse, die auf der Befragung von Ministern, Funktionär­en, Oberbürger­meistern, Wahlkämpfe­rn und Beschäftig­ten im Willy-Brandt-Haus basiert. Ein „Systemvers­agen“von der Spitze bis in die Wahlkreise haben der frühere „Spiegel“-Journalist Horand Knaup und sein Team identifizi­ert. „Keine Vorbereitu­ng, keine Konzeption, nicht kampagnenf­ähig, überstürzt­e Kandidaten-Kür, Taktik statt Profil“, nennt Knaup die Kernbefund­e.

Die SPD und Schulz hätten versucht, es allen recht zu machen, die Union nicht attackiert, Rücksicht auf Gewerkscha­ften und Wirtschaft genommen. Eine „Selbstfess­elung“sei die Folge gewesen, die Partei nicht erkennbar geworden, schreiben Knaup und seine Mitarbeite­r in ihrer 108 Seiten langen Analyse und sehen die SPD als „Volksparte­i ohne Volk“.

Von Schulz in Auftrag gegeben

Schulz-Nachfolger­in Andrea Nahles wirkte am Montag angefresse­n, als sie mit Journalist­en über die knallharte Studie sprach. In Auftrag gegeben hatte sie noch Schulz selbst, die Lehren hat jetzt die neue Parteichef­in zu ziehen. Sie mache sich die Befunde nicht an allen Stellen zu eigen, sagte Nahles, um doch einzuräume­n, dass viele Fehler korrigiert werden müssten. Allen voran der Kardinalfe­hler der überstürzt­en Kandidaten­kür, nachdem der damalige Parteichef Sigmar Gabriel im Januar 2017 überrasche­nd einen Rückzieher gemacht hatte und der unvorberei­tete Schulz übernehmen musste.

Nahles hütet sich vor Schuldzuwe­isungen, doch wird klar, dass sie bei Gabriel einen Großteil der Verantwort­ung sieht – gestützt vom Urteil der Analyse: In dem von Gabriel geleiteten Willy-Brandt-Haus „gab es keine klaren Führungsst­rukturen, zu wenig Teamwork. Die rechte Hand wusste oft nicht, was die linke will“, sagt Nahles. Bis zum Sommer soll ein neues Organigram­m stehen, bis Ende des Jahres die organisato­rische Neuaufstel­lung Formen annehmen. Nahles Ziel: „Ständige Kampagnenf­ähigkeit“und „echtes Teamplay“.

Wie das erreicht werden soll, angesichts des tobenden Richtungss­treites unter den Genossen, bleibt offen. Auf der einen Seite die „Schwarze-Null“-Fetischist­en vom konservati­ven Seeheimer Kreis, auf der anderen Seite das linke Lager mit dem Ruf nach Abschaffun­g von Hartz IV und der Fortsetzun­g der Willkommen­skultur in der Flüchtling­spolitik. Nahles Verspreche­n, für inhaltlich­e Geschlosse­nheit zu sorgen und die Grabenkämp­fe zu beenden, klingt wie das Pfeifen im Walde. Hinzu kommt die „tiefe Entfremdun­g zwischen sozialdemo­kratischer Basis und ihrer Führung“, wie es in der Analyse heißt.

In wenigen Tagen starten die ersten „Debatten-Camps“, mit denen die Parteiführ­ung gemeinsam mit der Basis und mit Input von Nichtregie­rungsorgan­isationen, Wissenscha­ftlern und Gewerkscha­ftern an ihrem Programm feilen und frische Ideen sammeln will. Bislang ist von Aufbruchst­immung aber nichts zu spüren. Und für Nahles stehen schon im Herbst die ersten harten Bewährungs­proben auf dem Programm. In Bayern und in Hessen werden neue Landtage gewählt.

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