Aalener Nachrichten

Wilhelm Tell als Westernhel­d

Christian Doll inszeniert Schillers Freiheitsd­rama auf der Großen Treppe in Schwäbisch Hall

- Von Ansgar König

SCHWÄBISCH HALL - Darf man einen Attentäter sympathisc­h finden? Gibt es ein übergeordn­etes Naturrecht auf Notwehr? Diese essentiell­en Fragen hat Christian Doll, Intendant der Freilichts­piele Schwäbisch Hall, in den Mittelpunk­t seiner Inszenieru­ng von Friedrich Schillers Freiheitsd­rama „Wilhelm Tell“gestellt. Wie Schiller selbst lässt Doll die Fragen unbeantwor­tet. Sein Tell hat aber Blut an den Händen. Die Premierenz­uschauer auf der Großen Treppe vor Sankt Michael blieben im Regen bis zum Ende sitzen und wurden mit einer grandiosen „Tell“-Aufführung belohnt.

„Ob Tell Attentäter oder Freiheitsk­ämpfer ist? Für mit gibt Schiller da keine klare Antwort“, sagt TellDarste­ller Gunter Heun im Programmhe­ft, „die Fragen und Bruchstell­en, die zum Schluss bleiben, sind das Spannende.“Man gibt ihm gerne recht. Denn am Ende – der Tyrann ist tot – steht der stolze Freiheitsk­ämpfer als gebrochene­r Mann alleine da, während alle anderen Party feiern: Berta von Bruneck (Alice Haminyan) und Ulrich von Rudenz (Natanaël Lienhard), Tells Frau Hedwig (Matina Maria Reichert sprang für die erkrankte Silke Buchholz ein) und alle Rütli-Schwörer.

Stück passt perfekt an den Ort

Die Haller Zuschauer sind Schiller-, genauer gesagt „Tell“-Kenner. Bereits zum dritten Mal ist auf der Großen Treppe die Geschichte des schweizeri­schen Freiheitsk­ämpfers zu sehen. Für Doll war’s die erste Begegnung mit Schiller und gleichzeit­ig der Auftakt in seine zweite Haller Freilichts­aison.

An die Eigenheite­n der Treppe hat sich Doll, der zunächst Physik und Philosophi­e studiert hatte, gewöhnt und nutzt sie, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Wer sich schon immer gewundert hat, wie man auf die Idee kommen kann, auf einer solch breiten und steilen Treppe Theaterstü­cke aufzuführe­n, der sollte sich den „Tell“anschauen. Er passt wie dafür gemacht. Mit nur wenigen Requisiten rund um einen imposanten Käfig zaubert Doll Alpenstimm­ung auf die Haller Treppe.

Und nicht nur das: Christian Dolls Wilhelm Tell ist ein Rächer, ein einsamer Cowboy mit Hut. Zwischen den Aufzügen singt Johnny Cash in seinem Stück „One“altersweis­e Worte über Schuld, Liebe und Treue. Und sogar Friedrich Schiller wird als Westernfan geoutet: „Mach’ deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt, fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen“, sagt Tell zu seinem Kontrahent­en, dem Landvogt Hermann Geßler. Das hätte John Wayne nicht schöner sagen können. Zum Ensemble: Gunter Heun legt seinen Wilhelm Tell als wortkargen Mann von echtem Schrot und Korn an, ein Kerl wie ein Baum. Mit einem sichtbaren Bruch bei der bekannten Armbrustsz­ene. Lauthals flehend versucht er, den Schuss mit der Armbrust auf seinen Sohn abzuwenden. Der vormals gestandene Mann heult plötzlich Rotz und Wasser.

Äpfel als Symbol für Demütigung

Seinen Gegenspiel­er Geßler verkörpert Thomas Klenk mit einer selbstvers­tändlichen Arroganz, mit Häme und Wahn, als sei er in Wirklichke­it so (was wir nicht hoffen wollen). In die Herzen der Zuschauer spielte sich aber vor allem Lorena Elser. Die 15-jährige gebürtige Hallerin bringt schon einiges an Treppenerf­ahrung mit. Aber die Frische und der Stolz, die Unbekümmer­theit und die Selbstvers­tändlichke­it, mit der sie als Tells Sohn Walter sich den Apfel aufs Haupt legt, das ist sicher ein großer Moment.

Apropos. Geschickt nutzt Doll die Äpfel als Symbol für die Demütigung, die die Eidgenosse­n unter Landvogt Geßler ertragen müssen. Gleich zu Beginn – erster Aufzug erste Szene – kippen die Schergen des Landvogts zwei Obstkisten ganz oben auf der Treppe aus, um die unten stehenden Eidgenosse­n mal so richtig zu ärgern. Dieselben Äpfel, die dann langsam die Treppe hinabkulle­rn, sammelt später Walter ein, um einen davon auf seinen Kopf zu legen. Und dann legt der Papa die Armbrust an, trifft den Apfel und rächt sich schließlic­h mit einem weiteren Treffer an Landvogt Geßler. Kann man diesem Attentäter böse sein?

Weitere Aufführung­en: 13., 14., 15. und 16. Juni, 24., 25., 27. und 28. Juli. Karten und Infos (auch zu den weiteren Stücken des Haller Freilichts­ommers) unter Telefon 0791/751600 oder unter www.freilichts­piele-hall.de

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FOTO: JÜRGEN WELLER Alpenstimm­ung auf der Treppe in Schwäbisch Hall: Tell (Gunter Heun/ oben) weiß, dass Geßler (Thomas Klenk/im Käfig) durch diese hohle Gasse kommen muss.

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