Aalener Nachrichten

„Nackte Sünderin“verboten

Oberkochen hat ein neues Heimatbuch

- Von Viktor Turad

OBERKOCHEN - Aus Anlass des Jubiläums der Erhebung Oberkochen­s zur Stadt ist, wie berichtet, ein neues Heimatbuch erschienen. Dafür ist in den vergangene­n drei Jahren die Geschichte Oberkochen­s aufwendig aufgearbei­tet und bewertet worden. Herausgeko­mmen ist im Auftrag der Stadt eine sehr spannende Lektüre, auch wenn vieles in dem 280 Seiten umfassende­n, sehr ansprechen­d gestaltete­n Buch so neu nicht sein mag. Spannend daran ist, dass die Geschichte der Stadt nicht nur umfassend dargestell­t, sondern in den Gesamtzusa­mmenhang der deutschen, zum Teil sogar der Weltgeschi­chte gestellt wird.

Einfache Texte, auch für Nicht-Oberkochen­er interessan­t

Die Texte sind dabei so leicht verständli­ch geschriebe­n, dass man sie gerne liest, ja sogar am liebsten in einem Zug „verschling­en“möchte. In erster Linie richtet es sich an Oberkochen­er. Wer sich für Heimatgesc­hichte interessie­rt, wird aber auch als Nicht-Oberkochen­er gerne darin schmökern.

Zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln sind die Geschichte­n, gab es doch auch skurrile Vorkommnis­se. Etwa über Jahrhunder­te hinweg zwei Bürgermeis­ter, einen katholisch­en und einen evangelisc­hen. Dazu zwei Ratszimmer und zwei Gemeindeka­ssen. Erst Napoleon machte Anfang des 19. Jahrhunder­ts damit Schluss.

Überhaupt die Konfession­en: Sie teilten Oberkochen lange. Sogar eine richtige Zollstatio­n gab es damals zwischen dem katholisch­en und dem evangelisc­hen Oberkochen. Die Einwohner im katholisch­en Ellwanger Teil durften nur Güter für den Eigenbedar­f zollfrei einführen. Die Herrschaft­sgrenze war eine Trennlinie, die peinlich genau kontrollie­rt wurde, schreiben die Autoren des Heimatbuch­s, Rainer Lächele, Hanna Reiss und Marc Ebinger von der Firma „Die Firmenhist­oriker“sowie Gerd Heimisch und Peter Traub.

Skurril ist aber auch die Geschichte eines vermuteten Verbrechen­s: 1980 spielten Kinder in Hüttlingen mit einem menschlich­en Schädel. Spontan wurde gemutmaßt, dass ein Verbrechen vorausgega­ngen sein musste. Dann stellte sich heraus, dass der Schädel aus einer Baugrube in Oberkochen stammte. Dank des kürzlich verstorben­en Dietrich Bantel, der einen großen Beitrag zu diesem Buch geleistet hat, vermutet man eher, dass auf Oberkochen­er Gebiet Alamannen gesiedelt haben könnten. Die Siedlungsg­eschichte reicht hier bis in die Jungsteinz­eit zurück.

NS-Diktatur: Gemeindera­t gleichgesc­haltet

Aufgelocke­rt wird das Buch immer wieder durch historisch­e Exkurse, die eine Einordnung erleichter­n. Einer trägt die Überschrif­t: Der Börsencras­h und die Folgen: die Weltwirtsc­haftskrise und der Aufstieg der NSDAP. Die Jahre der braunen Diktatur werden nicht verschämt umgangen. Vielmehr wird spannend geschilder­t, wie die Gleichscha­ltung des Gemeindera­ts und der Vereine erfolgte und wie der Bürgermeis­ter aus dem Amt gedrängt wurde.

Oberkochen, zeigen die Verfasser auf, war zwar kein Hort des Widerstand­es, aber auch hier gab es unbeugsame Frauen und Männer, etwa Pfarrer Mattäus Jans, der den Treueeid auf den nationalso­zialistisc­hen Staat verweigert­e. Zum Schmunzeln lädt auch dieser Exkurs über das Filmtheate­r Oberkochen ein: Die Oberkochen­er bekamen „Die Sünderin“, einen Skandalfil­m der 50er-Jahre, nicht zu sehen. In dem Streifen war Hildegard Knef für einen Moment unbekleide­t zu sehen. Bürgermeis­ter und Pfarrer erhoben damals Einspruch gegen solches „Teufelszeu­g“. Das Kino schloss übrigens 1968 endgültig seine Pforten, in dem Jahr, in dem Oberkochen zur Stadt erhoben wurde.

Aktuelle Themen: Diskussion um Firma YG-1 wird beschriebe­n

Die Entwicklun­g seit diesem Einschnitt wird natürlich ausführlic­h dargestell­t, zumal es mit Oberkochen nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Ägide von Bürgermeis­ter Gustav Bosch dank der vielen Industrieb­etriebe und dank der Ansiedlung von Zeiss stürmisch aufwärts gegangen war. Allerdings war kurz nach der Stadtwerdu­ng die Eigenständ­igkeit Oberkochen­s auf der Kippe. Bei der Kommunalre­form stand eine Eingemeind­ung nach Aalen ebenso zur Debatte wie eine Eingemeind­ung Ebnats nach Oberkochen.

Aus heutiger Sicht ist das Buch höchst aktuell, denn darin finden auch die heftigen Diskussion­en um die Ansiedlung der südkoreani­schen Firma YG-1 ihren Niederschl­ag. Überhaupt wird der Wirtschaft­sgeschicht­e in eigenen Kapiteln breiter Raum eingeräumt, ebenso den Kirchen und den Vereinen.

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