„Große Kreisstadt“in der Warteschleife
Bad Waldsee besitzt alle Voraussetzungen – wegen einer Behörde aus Bayern und dem eigenen Zögern hat’s noch nicht geklappt
BAD WALDSEE - Im Büro des Bürgermeisters scheint die Zeit stillzustehen. Seine stolzen Vorgänger haben sich hier auf den Wänden verewigt, die Butzenscheiben in den Fenstern erinnern an die Zeit als Bad Waldsee noch den Österreichern gehörte und 500 Einwohner hatte. Sechs Jahrhunderte später leben in der Stadt 40 Mal so viele Menschen – genug, um sie zur Großen Kreisstadt zu ernennen und den Bürgermeister zum Oberbürgermeister. Roland Weinschenk hätte also eigentlich allen Grund stolz zu sein. Eigentlich. Denn noch überwiegt im Rathaus der Ärger über die Bevölkerungsstatistik. Die habe sich immer wieder verzögert. Das sei der Grund, warum das Kurstädtchen weder „groß“ist noch den „Kreis“im Titel trägt – obwohl Bad Waldsee schon seit Ende 2015 die dafür nötigen 20 000 Einwohner hat. „Große Kreisstadt ist Bad Waldsee wohl frühestens 2019“, sagt Bürgermeister Weinschenk. Was ist schiefgelaufen?
Ziemlich viel. Aber von vorne. Die Probleme begannen vor mehr als einem Jahr, als die deutschen Statis- tikämter Fehler in den Daten kommunaler Meldebehörden entdeckten. Schnell war klar, dass sie einem beispiellosen Daten-GAU auf der Spur waren. Im Statistischen Bundesamt wurde eine achtköpfige „Task Force“gebildet und mit der Fehleranalyse beauftragt. Ein mit der Materie vertrauter Volkswirt beim Statistischen Landesamt beschreibt die Situation gar als „die schwierigste in fast 30 Jahren Dienstzeit“.
Weißblaue Datenpannen
Nach Recherchen der „Schwäbischen Zeitung“traten die Pannen unter anderem in der Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB) auf. Diese ist bundesweit für rund ein Drittel aller Meldungen an die Statistikämter verantwortlich. Dementsprechend dramatisch waren die Folgen: Die AKDB musste die Zahlen für mehr als 1600 von ihr betreute Kommunen komplett neu liefern – unter anderem für Großstädte wie München, Augsburg oder Regensburg. Die Bevölkerungsstatistik verzögerte sich um fast acht Monate, andere Auswertungen verspäteten sich ebenfalls.
„Nennenswerte Probleme“für den kommunalen Finanzausgleich ergeben sich daraus für Bad Waldsee allerdings keine, heißt es vom Gemeindetag Baden-Württemberg. Auch um seine privaten Finanzen muss sich Bürgermeister Roland Weinschenk keine Sorgen machen. Denn auch ohne den prestigeträchtigen Titel Oberbürgermeister verdient Weinschenk bereits so viel wie einer. Der Grund: Bad Waldsee ist in einer Verwaltungsgemeinschaft mit Bergatreute – zusammen haben beide Gemeinden schon seit Jahren mehr als 20 000 Einwohner. Der Titel würde für die Stadt vor allem eines bedeuten: zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Aufgaben, die bisher das Landratsamt übernommen hat, beispielsweise das Ausländerrecht, Soziales und die Rechnungsprüfung wanderten ins Bad Waldseer Rathaus. Eilig scheint man es im Rathaus damit jedoch nicht zu haben. Dabei hätte die Verwaltung den Antrag längst stellen können. Denn die Stadt hat seit Ende 2015 durchgehend mehr als 20 000 Einwohner; die laut Gemeindeordnung für einen Antrag maßgeblichen Daten hat die Statistik zwar verspätet, aber immerhin dann Mitte September 2017 geliefert.
Theoretisch hätte Bad Waldsee den Titel sogar noch früher beantragen können – sagt Bernd Brenndörfer, Professor an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung in Kehl. Dem Verwaltungsrechtler zufolge könne das Innenministerium zwar den Nachweis fordern, dass die Einwoh- nerzahlen über einen gewissen Zeitraum konstant über 20 000 Einwohner geblieben sind. Aber: „Die Gemeinde muss für die Antragstellung keinen der Zeiträume abwarten. Sie kann einen Antrag auf Erklärung zur Großen Kreisstadt stellen und die Nachweise über die Einwohnerzah- len nachliefern.“Warum hat die Stadt also solange gezögert?
„Aufgrund der stark schwankenden Zahlen, die uns im vergangenen Jahr zugegangen sind, war diese Tendenz zuerst nicht eindeutig zu erkennen“, deshalb habe man erst den vom Innenministerium geforderten Zeitraum abwarten wollen, erklärt die Stadt auf Nachfrage. Tatsächlich schrumpfte die Kommune im zweiten Quartal 2017 um 42 Menschen, lag aber mit 20 061 Einwohnern immer noch über der Grenze. Mittlerweile ist die Gemeinde um weitere 193 Menschen gewachsen.
Ob Bad Waldsee jemals eine Große Kreisstadt wird, ist indes weiter offen. Aus dem Rathaus heißt es lediglich: „Die Aufarbeitung einer Kosten-Nutzen-Abwägung für den Antrag zur Großen Kreisstadt laufen derzeit. Diese wird dann dem Gemeinderat vorgestellt, der entscheiden wird, ob ein Antrag gestellt wird oder nicht.“