Präzedenzfall Befangenheit
Grünen-Klage: Wer vertritt den Gemeinderat? Dürfen Grüne mit abstimmen?
AALEN - Wegen der Aufhebung des Vertrags mit dem ehemaligen Stadtwerke-Chef Cord Müller hat die Grünen-Fraktion im Aalener Gemeinderat bekanntermaßen sowohl den ganzen Gemeinderat als auch Oberbürgermeister Thilo Rentschler vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart verklagt. Neben der Frage, wer eigentlich die Prozesskosten zahlt, scheint sich schon jetzt zu zeigen, welchen – salopp gesagt – Rattenschwanz dieser Kommunalverfassungsstreit, wie es juristisch heißt, mit sich zieht. An diesem Donnerstag soll der Gemeinderat nämlich darüber entscheiden, wer ihn gegen die Klage der Grünen vertritt. Und die spannende Frage ist: Dürfen die Grünen darüber mit abstimmen oder sind sie als Kläger dabei befangen?
Gericht setzt Streitwert auf 10 000 Euro fest
Die finanzielle Seite des Verfahrens ist da fast schon schnell erzählt: Das Stuttgarter Verwaltungsgericht hat den Streitwert der Auseinandersetzung laut Sitzungsvorlage für diesen Donnerstag auf 10 000 Euro festgesetzt. Wird ein Anwalt tätig, ergeben sich daraus nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Gebühren in Höhe von 1685,85 Euro. Die Sitzungsvorlage weist aber ausdrücklich darauf hin, dass die Anwaltskosten aufgrund einer anwaltlichen Honorarvereinbarung auch höher ausfallen können. Die Grünen lassen sich vor Gericht von einer Freiburger Kanzlei vertreten, die auch die Klageschrift ausgearbeitet hat. Und auch OB Thilo Rentschler wird in dem Verfahren von einer Anwaltskanzlei vertreten werden. Wer den beklagten Gemeinderat vertritt, genau darum soll es am Donnerstag eben dort gehen. Wird auch für ihn noch eine Anwaltskanzlei tätig werden, so könnte es am Ende tatsächlich so sein, dass die Stadt die Prozesskosten für drei beteiligte Parteien – GrünenFraktion, OB und Gemeinderat – übernehmen muss. „Im Moment bezahlen wir die Anwaltskosten aus gener Tasche, sagt der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Michael Fleischer, auf Nachfrage der „Aalener Nachrichten“. Am Ende werde aber sicher „nach Recht und Gesetz“verfahren werden, ei- sprich in solchen Kommunal verfassungs streitigkeiten sei es üblich, dass die Kommune die Kosten für alle Prozess beteiligten übernehmen müsse. Zunächst wird am Donnerstag im Gemeinderat aber der Antrag der Verwaltung zur Abstimmung stehen, dass Ober bürgerme ist erThilo Rentschler den Gemeinderat gegen die Klage der Grünen vertreten soll. Und ihm dafür gestattet werden soll, in Un- tervollmacht damit auch eine Anwaltskanzlei zu beauftragen. Beschlossen werden muss dies schon deshalb, weil der OB nach der Gemeindeordnung zwar der Vorsitzende, aber nicht der Vertreter des Gemeinderats ist.
Dass eine Fraktion den ganzen Gemeinderat verklagt, das ist wohl hin und wieder in der Republik schon vorgekommen. Die Frage aber, ob die Mitglieder einer Fraktion, die Klägerin ist, darüber mit
abstimmen dürfen, wer den Gemeinderat in Gänze gegen diese Klage vertreten soll, scheint hingegen juristisches Neuland zu sein. „Das vorliegende Problem (...) ist in der Rechtsprechung bislang nicht diskutiert worden“, heißt es denn auch in der Sitzungsvorlage zu der anscheinend ungeklärten Frage, ob die Grünen im Rat in dieser Abstimmung befangen sind oder nicht. Befangenheit liegt nach Maßgabe der baden-württem- bergischen Gemeindeordnung dann vor, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit einem Mitglied des Gemeinderats selbst oder nahe stehenden, dort genau beschriebenen Personen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil vielfältiger Art bringen kann. Weil die Lage unklar ist, hat das Stuttgarter Regierungspräsidium auf Nachfrage der Stadt empfohlen, die Mitglieder der GrünenFraktion sollen selbst „zur Vermeidung jeglicher Interessenkollission“, wie es in der Vorlage heißt, auf eine Teilnahme an der Abstimmung verzichten. Dies gebiete die politische Rücksichtnahme innerhalb des Gemeinderats. Gibt es keinen freiwilligen Verzicht, müsste der Gemeinderat selbst über eine mögliche Befangenheit der Grünen abstimmen. Auch das sieht in solchen Zweifelsfällen die Gemeindeordnung ausdrücklich vor. Wie sich die Grünen in der Sitzung am Donnerstag verhalten werden, darüber hat laut Fleischer die Fraktion am Montagabend beraten. Am Donnerstag, in der Sitzung, werde man sich dann erklären, sagt Fleischer abermals auf Nachfrage.
Das sind die Klagepunkte der Grünen
Nach Auskunft von Ulrike Zeitler, Pressesprecherin des Verwaltungsgerichts Stuttgart, wollen die Grünen mit ihrer Klage gegen OB Thilo Rentschler feststellen lassen, dass er sie in ihren „organschaftlichen Rechten“dadurch verletzt habe, dass er für die Gemeinderatssitzung am 14. Dezember vergangenen Jahres den Tagesordnungspunkt, der sich mit der Aufhebung des Vertrags mit Müller befasst hatte, nicht rechtzeitig bekannt gegeben habe. Außerdem werfen die Grünen Rentschler vor, für diesen Verhandlungspunkt keine ordnungsgemäßen Unterlagen zur Verfügung gestellt zu haben. Und die ausgegebene Tischvorlage, so der dritte Klagevorwurf gegen den OB, habe keine Angaben über die Hintergründe und die Konditionen für die Vertragsauflösung mit Müller gemacht. Ihre Klage gegen den Gemeinderat machen die Grünen daran fest, dass der es mehrheitlich abgelehnt habe, dass die Aufhebungsvereinbarung im Wortlaut im Rat vorgelesen wird. Auch dadurch sehen sich die Grünen in ihren „organschaftlichen Rechten“verletzt.
Gericht muss Unterlagen beschaffen
Um zu klären, ob die Vorwürfe zutreffen, gilt für das Verwaltungsgericht der sogenannte Amtsermittlungsgrundatz. Das Gericht müsse von sich aus tätig werden, um zum Beispiel alle erforderlichen Unterlagen wie Protokolle zu erhalten, die es brauche, um zu einer Entscheidung zu kommen, erklärt seine Sprecherin.