Augen zu und durch
Südkorea wird die letzte Pflichtaufgabe der DFB-Elf – ab dem Achtelfinale ist WM pur
KASAN - Im Campo Bahia, dem mittlerweile beinahe sagenumwobenen Quartier der deutschen Nationalelf bei der WM in Brasilien, prangte auf einem Banner ein Sinnspruch, der zum Leitmotiv für den Weg zum Titel wurde: „Ein guter Anfang braucht Begeisterung, ein gutes Ende Disziplin“. Das Motto passte wie die Faust aufs Auge zum Turnierverlauf. Ein furioses 4:0 gegen Portugal zum Start, am Ende schuftete man sich zum 1:0-Finalsieg gegen Argentinien.
Nun müsste es eher heißen: „Aller Anfang ist schwer.“Nach dem 0:1 zum Auftakt gegen Mexiko die Zitterpartie gegen Schweden, samt des erlösenden Treffers von Toni Kroos zum 2:1 in allerletzter Sekunde.
Daher sollte sich die Nationalelf vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Südkorea in Kasan (16 Uhr, ZDF und Sky) beim römischen Philosophen Cicero bedienen: „Aus kleinem Anfang entspringen alle Dinge“.
Löw zu spät zum Abschlusstraining
Doch wie immer bei dieser WM gilt auch: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Als die Nationalelf am Dienstag um 13.07 Uhr nach etwas mehr als einer Stunde Flugzeit in Kasan landete, war noch alles bestens. Sonne, schwül-heiße 30 Grad und mehr. Am Nachmittag zogen über der Stadt in Tatarstan schwere Gewitter mit Starkregen auf.
Das DFB-Abschlusstraining, geplant für 19 Uhr in der Kasan-Arena, wurde von der FIFA gestrichen, um den Rasen für das Spiel am Mittwoch zu schonen. Den Südkoreanern erging es nicht besser. Kurzerhand verlegte die Nationalelf ihre Einheit ins 30 Kilometer entfernte Elektron-Stadion. Bundestrainer Joachim Löw musste aber dennoch ins Kasan-Stadion, zur obligatorischen Pressekonferenz. Wegen des Staus kam er dann zehn Minuten zu spät zum Abschlusstraining seiner eigenen Mannschaft. „Das ist natürlich ein bisschen doof, wir hätten auch gerne die Atmosphäre im Stadion getestet, aber wichtig ist, dass wir hier auf dem Ausweichplatz auch gute Bedingungen und einen super Rasen haben“, sagte Teammanager Oliver Bierhoff.
An der Zielsetzung änderte dies alles nichts. „Wir müssen unsere Pflicht tun und das Spiel gewinnen, am besten nicht mit 1:0, sondern höher“sagte Marco Reus. Denn dann wären alle Rechenspiele obsolet. Ein Sieg mit zwei Toren Unterschied oder mehr garantiert Deutschland das Ticket fürs Achtelfinale. „Wir sollten mit unserem eigenen Ergebnis Klarheit schaffen“, forderte Löw.
Verzichten muss er gegen Südkorea definitiv auf Sebastian Rudy, der sich gegen Schweden die Nase brach. „Das Spiel ist zwei, drei Tage zu früh. Die Nase ist mehrfach gebrochen. Es macht keinen Sinn, auch nicht mit einer Maske, weil er eine Narkose bekommen hat“, sagte Löw. Mats Hummels ist dagegen wieder einsatzbereit, sein Nackenwirbel scheint wieder okay. „Mats kann spielen. Er hat zwei Tage trainiert und überhaupt keine Probleme.“
Wie schwer sich Favoriten teilweise in Gruppen mit UnderdogGegnern tun, zeigte sich am Montagabend, als Portugal mit einem 1:1 in letzter Minute beinahe gegen Iran ausschied und sich Spanien fast gegen Marokko blamierte (2:2).
Die Gruppenphase ist ein Stresstest für die Nerven in drei Etappen, Kaugummiartig gedehnt auf elf Turniertage. Schönheitspreise? Ruhm und Ehre? Später vielleicht.
Hummels ist fit, Rudy fällt aus
Darum gilt: Weg mit den Zweifeln, Augen zu und durch – ab ins Achtelfinale. Denn dann beginnt die wahre WM, dann kann sich die Mannschaft beweisen – wenn es hart auf hart kommt gleich gegen Brasilien. Wobei Löw dies dann auch genehm wäre. „So weit ist es noch nicht“, sagte der Bundestrainer zunächst, „wir müssen zunächst gegen Südkorea gewinnen.“Dann aber, betonte er mit dem wiedergewonnenen Selbstvertrauen des Titelverteidigers, „dann nehmen wir es wie es kommt“. Auch die Revanche für das Jahrhundertspiel, dem 7:1 im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien, wäre für ihn „okay“.
In der K.o.-Phase kommen eher Gegner, die mehr riskieren, die selbst mitspielen wollen. Das liegt dem Löw-Team. „Ab dem Achtelfinale geht es um alles oder nichts. Entweder man gewinnt oder man fährt nach Hause“, so der Bundestrainer. Von daher: „In den K.o.-Spielen ist natürlich eine erhöhte Dynamik und Brisanz.“WM pur.
Vorher wartet Südkorea, die letzte Pflichterfüllung. „Sie haben schon viele Mannschaften vor Probleme gestellt“, sagte Marco Reus, fügte aber hinzu: „Wir sind trotzdem überzeugt, wenn wir befreit aufspielen, mit der gleichen Leidenschaft auf den Platz gehen wie gegen Schweden, wird es Südkorea schwer haben.“
Auf dem Bus, der die Nationalelf zu den Flughäfen, Stadien und Hotels bringt, steht der Slogan: „Zusammen. Geschichte schreiben“.
Die Titelverteidigung wäre eine Riesengeschichte. Geldstrafen für Jubelrüpel: Die beiden DFBMitarbeiter Uli Voigt und Georg Behlau sind wegen ihres provokanten Jubels nach dem 2:1 gegen Schweden wegen unsportlichen Verhaltens zu Geldstrafen von je 4340 Euro verurteilt worden. Zusätzlich erhielten sie Verweise. Neben Voigt und Behlau kassierte der schwedische Offizielle Jan Gustavsson eine Verwarnung. Der DFB hatte beide Mitarbeiter bereits mit einem Innenraumverbot für das Spiel gegen Südkorea belegt. Die FIFA berücksichtigte dies bei ihrem Strafmaß.